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Kritische Beobachterin. Małgorzata Szumowska beim Internationalen Filmfestival in San Sebastian.

© imago images/Future Image

Regisseurin Małgorzata Szumowska: „Mir fällt es schwer, um den polnischen Film keine Angst zu haben“

Die Satire „Der Masseur“ von Małgorzata Szumowska zielt auf das neureiche Polen. Ein Gespräch über verlorene Spiritualität und autoritäre Tendenzen im Nachbarland.

Frau Szumowska, in „Der Masseur“ taucht ein geheimnisvoller Ukrainer namens Zhenia in einer Gated Community auf. Mit der magischen Kraft seiner Hände sorgt er für Verwirrung. Wo haben Sie diese Wohnsiedlung gefunden?
Ganz nahe bei Warschau. Es hat mich selbst überrascht, dabei ist es in Polen populär, in Gated Communities zu leben. Die Bewohner glauben, ein Recht auf diese Wohnform zu haben, weil sie hart arbeiten. Ich hatte so etwas Verrücktes nicht erwartet, das aussieht wie eine Szenerie aus der „Truman Show“. Unsere Szenenbildnerin machte mich darauf aufmerksam. Die Häuser sind alle identisch, riesengroß und mit Garten.

In den auf alt getrimmten Häusern sieht man keine einzige Antiquität – ist das auch eine Folge des Zweiten Weltkriegs, der Warschau verheert hat?
Es fehlen Antiquitäten, weil diese mit der alten polnischen Intelligenzija assoziiert werden, zu der etwa meine Eltern gehörten. Diese Schicht schwindet dahin. Die neue gehobene Mittelklasse Polens ist nicht mehr mit gehobener Bildung und Intellektualität verknüpft. Ihre Vertreter sind mit dem aggressiven Kapitalismus amerikanischer Prägung aufgewachsen. Sie gehören meiner Generation an, haben als Jugendliche den Niedergang des Kommunismus erlebt. In den 1990er Jahren machten sie dann das große Geld. Alte Möbel bedeuten für sie Vergangenheit, sie wollen aber im Jetzt leben. Mein Vater fragte mich immer: Willst du etwas haben oder willst du etwas sein? Ich wollte selbstverständlich immer etwas sein. Diese Generation aber ist auf das Materielle konzentriert.

Zhenia scheint ein Element der Gefahr zu verkörpern, so verschenkt er zum Beispiel Honig aus dem verstrahlten Pripyat.
Er ist eine Mischung aus allem, aus Schwarz und Weiß, so wie der satanische Zauberkünstler Voland in Michail Bulgakows Roman „Der Meister und Margarita“. Er symbolisiert die Sehnsucht nach etwas Metaphysischem, nach etwas Seltsamem, etwas Abstraktem.

Ihre Filme sind sehr körperlich. In „Body“ geht es um Magersucht, in „Die Maske“ um die sozialen Folgen für einen durch einen Unfall entstellten Mann. Ist die Hauptfigur deshalb ein Masseur?
Ja, denn er kommt den Menschen sehr nah, er fasst sie an. Für mich gehören Körper und Seele zusammen. Ich glaube aber, dass viele diesen Zusammenhang vermeiden wollen, weil in der Beziehung von Körper und Geist etwas Unbehagliches liegen könnte.

Ist der Mangel an Spiritualität oder auch Geborgenheit ein zentrales Thema für Sie?
Ja, unbedingt. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der das Spirituelle viel präsenter war. Das ist paradox, denn die Kirche war während des Kommunismus überpräsent. Sie kämpfte ja mit aller Macht gegen dieses Regime und trug entscheidend zu dessen Sturz bei. Deshalb galt Religion als etwas Positives.

Hat das auch mit Ihrer Kindheit im sehr katholischen Krakau zu tun?
Menschen wie mein Vater Maciej Szumowski, ein bekannter Journalist, nahmen Religion ernst und betrachteten sie philosophisch. So kommt es, dass das immer ein Teil meines Lebens war. Dann kollabierte der Kommunismus, meine Eltern starben und in meinem Leben änderte sich sehr viel. Erst mit über dreißig begann ich zu verstehen, dass Gott eventuell nicht existiert. Doch ich glaube immer noch, dass es da etwas gibt – die einen nennen es Gott, die anderen sprechen von einer Energie.

Was hat dieser Verlust an Geistigkeit für Folgen?
Die Menschen versuchen, den Mangel an Spiritualität durch Yoga oder Ayurveda zu ersetzen. Ich finde beides wunderbar, halte es aber für ein Missverständnis. Ich will die Welt nicht reparieren oder retten, sondern höchstens den Seelenzustand derjenigen ändern, die meine Filme ansehen. Ich glaube, es liegt auch an der Verdrängung des Lesens durch die sozialen Medien. Lesen ist großartig und kann einen spirituellen Raum eröffnen. Wird es durch etwas anderes ersetzt, verstärkt das den geistig-seelischen Mangel.

Hat die Beschränkung der Presse in Polen diese Tendenz verstärkt? Am vergangenen Donnerstag erst hat das Parlament ein umstrittenes Mediengesetz verabschiedet ...
Ein Freifahrtschein in die autoritäre Gesellschaft. Es gibt noch eine unabhängige Presse und den Fernsehkanal TVN, die Menschen ermöglichen, zu sehen, was die Regierung wirklich tut. Staatliches Fernsehen zeigt als Fake News eine Version der Wirklichkeit wie im Kommunismus. Deshalb will die Regierung TVN zumachen und dann wohl die unabhängige Presse. Wir steuern das Vorbild Ungarn an. Mir fällt es schwer, um den polnischen Film keine Angst zu haben.

Gibt es genug Publikum für so subtile Gesellschaftskritik?
Meine Filme haben außerhalb Polens eine lautere Stimme. Zuweilen ist diese Differenz der Wahrnehmung zwischen In- und Ausland radikal. „Die Maske“ wurde in Polen als explizite Kritik an der polnischen Gesellschaft empfunden. Mir geht es eher um eine Kritik der Neureichen. Häufig reagieren Leute beleidigt. Ich werde oft als internationale Regisseurin angesehen. Jemand Internationales ist nicht polnisch …

Ergeht es Ihnen da ähnlich wie Krzysztof Kieślowski, der seine späten Filme in Frankreich drehte?
Kieślowski wurde deswegen völlig abgelehnt. Das muss an unserer Mentalität liegen, nicht an der Politik. Das drastischste politische Problem, das wir zurzeit in Polen haben, ist das strikte Abtreibungsverbot. Es bringt viele Frauen in eine dramatische Situation, und das ist schrecklich. Vielleicht haben wir die Zensur ja internalisiert. Wir Polen fühlen uns wegen unserer Geschichte immer unterschätzt und unterbewertet. Und wenn jemand wie ich etwas Internationales macht – in meinem gerade fertiggestellten Film „Infinite Storm“ spielt Naomi Watts mit –, dann werden meine Landsleute misstrauisch.

Früher mussten viele Polen als Gastarbeiter nach Westeuropa emigrieren, jetzt kommen die Ukrainer als billige Arbeitskräfte nach Polen, so wie die Hauptfigur Zhenia. Verkörpert er für seine Klientel den verlorenen polnischen Osten in der heutigen Ukraine, der so häufig romantisiert wird?
Das Romantische liegt für uns unter anderem in der russischen Sprache, denn in ungefähr der Hälfte der Ukraine wird Russisch gesprochen. Das erinnert uns an die Kindheit, an die sichere und warme Zeit. Einerseits hasste ich es, andererseits wuchs ich mit Tarkowskis Filmen und Dostojewskis Romanen auf. Generell begegnen die Polen Ukrainern sehr offen. Und ohne ausländische Arbeitskräfte kann die Wirtschaft nicht wachsen, genau wie in Deutschland: Bestimmte Arbeiten wollen die Einheimischen nicht mehr machen.

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