zum Hauptinhalt
Jan Bosse Jan Bosse inszeniert in Wien, Zürich, Stuttgart, Frankfurt, Berlin. Klaus Dörr, den Interimschef der Volksbühne am Rosa-Luxemburg- Platz, kennt er aus seinen Zeiten am Gorki-Theater.

© Georg Soulek/TT

Regisseur Jan Bosse beim Theatertreffen: Der Körper des Spielers

Jan Bosse gastiert beim Berliner Theatertreffen mit „Die Welt im Rücken“, nach dem Roman von Thomas Melle. Eine Begegnung mit dem Ausnahmeregisseur.

Irgendwann, gegen Ende des Gesprächs in einem Café am Berliner Helmholtzplatz, nennt sich Jan Bosse selbst einen „Rollkoffer-Regisseur“. Er gehört zur reisenden Künstler-Kaste, die mal hier, mal dort inszeniert. Zur A-Liga in seinem Fall, Burgtheater, Deutsches Theater, Schauspielhaus Zürich, Schauspiel Frankfurt, diese Kategorie. Bosse legt verlässlich sehenswerte Arbeiten vor, er ist gut im Geschäft und auch in Berlin regelmäßig präsent, wo er hauptsächlich lebt. Wenngleich nicht mehr so kontinuierlich wie in der Zeit, als Armin Petras ihn als Hausregisseur ans Gorki-Theater holte, als Wessi unter Ossis, als Fachmann für die Mitte. „Du bist doch Stuttgarter, du kennst die Schwaben in Berlin!“, sagte Petras zu ihm. Jan Bosse, 1969 in Stuttgart geboren, studierte in Berlin an der Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst.

Beim Theatertreffen war allerdings seit zehn Jahren keine seiner Arbeiten mehr zu sehen. 2007 war er gleich doppelt eingeladen, mit seiner urkomischen „Viel Lärm um nichts“-Inszenierung aus Wien und dem toll verdichteten „Werther“ vom Gorki, im Jahr darauf kam er mit seinem Zürcher „Hamlet“, mit dem entfesselten Ego-Shooter Joachim Meyerhoff in der Rolle des Dänenprinzen. Und dann? Wurde das „Schauspielertheater mit klassischen Stücken, das anscheinend mein Steckenpferd ist, vermehrt nicht mehr eingeladen, sondern eher das Experiment – das ich als Zuschauer sehr schätze“, sagt Bosse. Und zwar völlig beschwerdefrei. Das Theatertreffen ist ja auch nicht das Karrieremaß aller Dinge.

Zeitlos gutes Zusammenspiel

Trotzdem beweist sich an einer Inszenierung wie „Die Welt im Rücken“, mit der Bosse jetzt zur Bestenschau kommt, was die Modewellen der Vergangenheit zu Unrecht verdrängt haben: leuchtende Erzählungen, die ihre Form nicht wichtiger nehmen als den Inhalt. Eben kein konservatives Theater, nicht der 80er-Jahre-Backlash, der jetzt mancherorts als Gegenmodell zum postdramatischen Overkill angeboten wird, sondern zeitlos gute Zusammenspiele einer intelligenten Regie mit außergewöhnlichen Schauspielern. Im konkreten Fall: von Bosse und Meyerhoff, die seit 15 Jahren eine fruchtbare Arbeitsfreundschaft pflegen, seit dem Start mit einem „Godot“ in Hamburg.

„Die Welt im Rücken“ entstand am Akademietheater Wien. Darin zieht Meyerhoff, der ja selbst auch Schriftsteller ist, den Zuschauer drei Stunden lang solo mit dem gleichnamigen Roman von Thomas Melle in den Bann. Melle beschreibt darin seine manisch-depressive Erkrankung, staunenswert reflektiert und im beharrlichen Ringen darum, „sprachliche Bilder für etwas zu finden, das eigentlich unsagbar ist“, sagt Bosse.

Er und Meyerhoff hatten sich das Buch unabhängig voneinander als Sommerferienlektüre vorgenommen, absichtslos. Und entflammten restlos dafür. Schon darin liegt wohl eine Ursache für das großartige Ergebnis: Es ist ein Lustprojekt, keine Auftragsarbeit. Die beiden sind auch nicht mit einer fertigen Fassung ans Werk gegangen. Vielmehr, so erzählt es Bosse, schlug der bekanntlich zur Entgrenzung neigende Schauspieler vor: „,Ich komme nach Berlin und lese das ganze Buch einmal vor.‘ Typische Meyerhoff-Idee.“

In der Inszenierung gibt es diese furiose Szene, in der Joachim Meyerhoff seinen gesamten Körper fotokopiert und die Einzelbilder, mit Leiter und Tacker bewaffnet, zu einem riesigen Kreuzigungsbild zusammensetzt. Teilweise sind die Kopien vorproduziert, die Szene würde sonst ewig dauern. Aber auch so war der Vorgang bei den Proben eine Plackerei. Mal ging der Tacker kaputt, dann fiel der Arm von der Wand, und zudem ist Meyerhoff bekanntlich ein Hektiker, der sich in seiner Spielwut gerne mal selbst überholt.

Das Chaos auszuhalten

Wochenlang funktionierte die Szene nicht. Aber die beiden haben daran festgehalten. Auch das ist ja eher ungewöhnlich fürs Theater – sich Freiheit zu erlauben und das Chaos auszuhalten, das mit ihr einhergeht.

Der Autor Thomas Melle hatte sich zur Wiener Premiere angekündigt. Klar war das für die Künstler mit Sorgen verbunden. Nicht nur, ob es dem Schriftsteller gefällt. „Sondern man denkt ja als der vermeintlich Normale, selbst wenn man dieses tolle Buch gelesen hat, sofort in den Klischees von Krankheit“, sagt Jan Bosse. Was, wenn Melle während der Aufführung einen manischen Schub bekommt und ausrastet? Ist nicht passiert. „Die Welt im Rücken“ geizt nicht mit abgründig komischen Beschreibungen seiner Zwischenrufe, Pöbeleien und Handgreiflichkeiten im Wahn. Einmal schreibt er über den Stückemarkt des Theatertreffens, wo seine Farce „Licht frei Haus“ gelesen wird. Er ist längst abgedriftet, trinkt und redet Unsinn, bilanziert lakonisch: „So war auch dieses Festival geschafft und mein Ruf als halbirrer Kauz weiter gefestigt.“

Ach ja, der Ruf. Jan Bosse erzählt, dass es während der Proben zu „Othello“ 2010 in Wien (ebenfalls mit Meyerhoff) noch viele Diskussionen um die Sorge von Shakespeares Cassio gab, sein „guter Ruf“ könne leiden. Ob das nicht längst obsolet sei, außer vielleicht in Bankerkreisen, wo man Skandale fürchten müsse. Inzwischen weiß Bosse es besser. Klar, gerade in dieser überschaubaren, verquatschten, lästergeilen Theaterwelt schwirren die Gerüchte. Vor zwei Jahren wurde ihm selber mal eins zugetragen, der Herr Intendant X erzähle, tja, der Jan, bei dem liefe es nicht so, der sei wohl in der Krise, übermüdet wahrscheinlich, kein Wunder nach 15 Jahren. „Ich höre das und denke: Hey, ich bin nicht in der Krise. Aber um uns herum ist die Krise der Dauerzustand!“

Womit wir beim Thema Volksbühne wären. Ein Haus, das auch den jungen Regiestudenten Jan Bosse geprägt hat und dessen Geister in Gestalt von Milan Peschel nebst „Krise“-bedrucktem Volksbühnen-Beutel in Bosses „Hauptmann von Köpenick“ auch am Deutschen Theater lebendig sind. Nach Chris Dercons vorzeitigem Aus wird die Volksbühne jetzt interimistisch von Klaus Dörr geleitet. Den kennt der Regisseur bestens, aus Gorki- wie aus Stuttgarter Zeiten. Gut, fürs Erste steht er mit Ulrich Khuon in festen Verabredungen, „aber wenn Dörr ein Gastspiel möchte, jederzeit“. Die Volksbühne kann gerade jede Hilfe brauchen. Und perspektivisch wär’s schön, wenn Bosse nicht nur einen Rollkoffer in Berlin hätte.

„Die Welt im Rücken“, Haus der Berliner Festspiele, 20. und 21. Mai. Beide Vorstellungen sind ausverkauft

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false