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Eine überdimensionale Goldene Lola-Trophäe, die höchste Auszeichnung des Deutschen Filmpreises, steht am Mittwoch (25.04.2012) in Berlin auf der Bühne des Friedrichstadtpalastes. 1800 Gäste werden am Freitag (27.04.2012) zur 62. Verleihung des Deutschen Filmpreises (Lola) erwartet.

© dpa

Regie-Runde: Die Waldmeister

Vor der Verleihung des Filmpreis 2012: ein Gespräch mit den Regisseuren Christian Petzold, Hans Weingartner und David Wnendt über das liebe Geld, die Geborgenheit am Set und das Drehen außerhalb der Stadt.

Können Sie vom Filmemachen eigentlich leben?

CHRISTIAN PETZOLD: Inzwischen schon, aber es ist wie mit mittelständischen Handwerksbetrieben: Die einen stehen vor der Insolvenz, die anderen exportieren nach China. Als ich studierte, machte man sich noch wenig Gedanken übers Geldverdienen.

HANS WEINGARTNER: Ich habe meine Filme von Anfang an selber produziert, weil ich schon für mein Debüt „Das weiße Rauschen“ keinen Produzenten fand. Über die Preisgelder – auch vom Deutschen Filmpreis – konnte ich mich über Wasser halten. „Die fetten Jahre sind vorbei“ wurde ein Hit, so war ich eine Zeit lang ganz gut abgesichert

800 000 Zuschauer, das ist die höchste Zahl in dieser Runde.

WEINGARTNER: Das Geld ist verbraten, langsam wird’s eng, zumal „Die Summe meiner einzelnen Teile“ nicht nominiert ist. Die 250 000 Euro wären die Grundfinanzierung fürs nächste Projekt gewesen. Wir Regisseure stehen voll im Wettbewerb, pro Jahr kommen 100 neue von der Uni! Darum geht’s auch in meinem Film: Unsere Gesellschaft verlangt immer mehr Effizienz und Durchsetzungsvermögen.

DAVID WNENDT: Für meine Abschlussarbeit an der HFF Potsdam habe ich recherchiert, was aus den Absolventen früherer Jahrgänge geworden ist. Über 50 Prozent bleiben im Filmbereich. Manche haben nur alle paar Jahre was zu tun, aber selbst bei dem viel beschäftigten Carsten Fiebeler gibt es Zeiten, in denen er mit wenig Geld auskommen muss. Projekte hängen in der Warteschleife, werden abgesagt – und schon hast du ein paar saure Jahre.

Christian Petzold (51), studierte an der Berliner dffb und hat seit seinem Debüt „Pilotinnen“ elf Filme gedreht, darunter „Die Innere Sicherheit“, „Yella“ und „Jerichow“, letztere mit Nina Hoss. In Barbara spielt Hoss eine DDR-Ärztin, die flüchten will. Petzold gewann einen Silber-Bären dafür. 235 000 Zuschauer bisher, sein persönlicher Rekord.
Christian Petzold (51), studierte an der Berliner dffb und hat seit seinem Debüt „Pilotinnen“ elf Filme gedreht, darunter „Die Innere Sicherheit“, „Yella“ und „Jerichow“, letztere mit Nina Hoss. In Barbara spielt Hoss eine DDR-Ärztin, die flüchten will. Petzold gewann einen Silber-Bären dafür. 235 000 Zuschauer bisher, sein persönlicher Rekord.

© Thilo Rückeis

PETZOLD: Aber Klaus Lemke hat recht, wenn er sich darüber aufregt, dass wir jammern, obwohl wir ein weitgehend selbstbestimmtes Leben führen und vom öffentlichen Fördersystem profitieren.

WEINGARTNER: Arthouse hängt in den Seilen. Man findet kaum noch einen Verleiher, ohne den man aber keine Fördergelder bekommt. 2009 hab ich ein halbes Jahr an einem Film gearbeitet, niemand wollte ihn finanzieren. Wir waren bei 30 Sendern. Das ist hart: ein halbes Jahr deines Lebens in die Tonne zu treten.

"Druck ist nicht gut für die Kunst"

Warum machen Sie es trotzdem, aus Idealismus?

WNENDT: Für meine Generation ist die prekäre Existenz fast schon normal. Eine feste Anstellung bekommt keiner mehr. Filmemacher ist ein toller Beruf, das Damoklesschwert nehme ich in Kauf.

PETZOLD: Der Schlecker-Frau geht es schlechter. Warum macht man Filme? Weil man Filme gesehen hat, die einem die Augen geöffnet haben. Und die nicht gedrehten Filme sind vielleicht gar nicht gestorben, sondern kommen wieder hoch, in einem späteren Projekt.

WEINGARTNER: Ich habe jedenfalls keine Lust mehr, Autorenfilmer zu sein, also gleichzeitig zu schreiben und Regie zu führen. Man braucht zwei völlig verschiedene Persönlichkeiten, der Wechsel ist anstrengend. Als Autor muss ich einsam sein, offen wie ein Schwamm, sensibel und verletzlich, ich lebe in meinen Träumen. Als Regisseur bin ich der Checker, der Manager, der Durchsetzer, der Überreder, der sozial Kompetente, der Gruppenführer. Und der, der sich und den Film verkaufen muss. Danach brauche ich Monate, um runterzukommen und wieder schreiben zu können.

PETZOLD: Ich genieße diesen Wechsel. Am Ende von Dreharbeiten habe ich eher das Problem, wieder im Alltag zurechtzukommen. Man wird ja bekocht, lebt in einer gated community, einem geschlossenen sozialen Raum. Und dann schreibt plötzlich keiner mehr die Dispos und man muss selber einkaufen gehen.

WEINGARTNER: Druck ist nicht gut für die Kunst, wer kreativ arbeitet, sollte den Kopf frei haben. Das Paradox ist, dass wir die Angst loswerden müssen, gleichzeitig sind die Ängste der Stoff, aus dem Kunst entsteht. Aber wenn das Buch von einem anderen stammt, ist es weniger schlimm, wenn es nicht funktioniert. Wenn ich nur mehr Drehbücher geschickt bekommen würde!

PETZOLD: Ist doch ein irrer Moment, wenn man beim Drehen merkt, dass das eigene Script nichts taugt.

WEINGARTNER: Mann, du findest in den schlimmsten Sachen noch was Positives. Du planst doch bestimmt genau, schreibst Storyboards, beobachtest den Sonnenstand an den Locations ...

PETZOLD: Letzteres schon, aber ich schreibe keine Storyboards. Meine Drehbücher entstehen ja zusammen mit Harun Farocki, ich bin nie einsam beim Schreiben. Dann kommen die Schauspieler und machen etwas ganz anderes aus dem Text. Die Folge ist gekränkte Eitelkeit, aber auch das finde ich gut.

Hans Weingartner (41) stammt aus Österreich, studierte Neurowissenschaften, später Film in Köln. Nach „Das Weiße Rauschen“ landete er mit „Die fetten Jahre sind vorbei“ 2004 einen Kinohit. In "Die Summe meiner einzelnen Teile" spielt Peter Schneider einen Mathematiker, der nach einem Burn-out im Wald lebt. 21 000 Zuschauer.
Hans Weingartner (41) stammt aus Österreich, studierte Neurowissenschaften, später Film in Köln. Nach „Das Weiße Rauschen“ landete er mit „Die fetten Jahre sind vorbei“ 2004 einen Kinohit. In "Die Summe meiner einzelnen Teile" spielt Peter Schneider einen Mathematiker, der nach einem Burn-out im Wald lebt. 21 000 Zuschauer.

© Thilo Rückeis

WNENDT: Weil mich meine eigenen Beobachtungen in Ostdeutschland zu dem Film über Neonazis inspiriert haben, lag es nahe, dass ich das Buch selber verfasse. Die Distanzierung fällt in der Tat schwer. Man ist befangen, wenn eine Szene nicht funktioniert: Liegt es am Schauspieler, oder ist mein Text missraten?

WEINGARTNER: Und jeder denkt, du hast deine eigene Geschichte aufgeschrieben. In jedem Interview musst du die Hosen runterlassen, immer kommt die Frage: Wie war das mit Ihrem Burn-out?

PETZOLD: Am schönsten wäre es, wenn es so ginge wie in den Sechzigern bei Anthony Mann. Du bekommst drei Bücher im Jahr, realisierst eins nach dem anderen, bist ein solider Handwerker. Die überlange Beschäftigung mit einem Film ist nicht gut: Noch Monate nach der Premiere sitzt du hier im Hotel im siebten Stock und redest über „Barbara“. Da muss ein Film ja besonders wertvoll sein.

WNENDT: Besser, man würde mit der Schrotflinte schießen. Dann würde eher mal eine Kugel ins Schwarze treffen als bei einem Schuss nur alle drei Jahre.

Der Regisseur am Set - Diktator oder mütterlicher Typ?

Wie sind Sie am Set, eher der Diktator oder der mütterliche Typ?
WEINGARTNER: Ich dachte immer, ich bin der totale Hippie. Aber dann habe ich Videos von mir beim Drehen gesehen ... Wobei ich den Schauspielern gegenüber offen und zugänglich bin. Es gibt Szenen, die ich klassisch nach Drehbuch realisiere, und andere, in denen es bloß eine Handlungsanleitung gibt. Da ist die Baustelle, da ist Plane, die klaut ihr jetzt, und wir heizen mit der Kamera dokumäßig hinterher. Das macht am meisten Spaß.

WNENDT: „Kriegerin“ ist mein erster Langspielfilm, da verbietet sich der Diktator. Wir haben bei Dessau gedreht, dort schon vorher gemeinsam gewohnt und Originalschauplätze gesucht, dieses Authentische war mir wichtig. Das Ziel war, möglichst viel Freiraum zu schaffen, damit es lebendig bleibt. Bei der aufwendigen Party-Szene war das nicht einfach

PETZOLD: Für die Arbeit im Kollektiv habe ich mir einiges selbst beigebracht. Ich veranstalte mit den Schauspielern vorher eine Art Seminar: Wir schauen uns Fotos an, hören Musik, gucken Filme, und lesen das Drehbuch, kalt, ohne zu spielen. Dann mieten wir einen Bus und reisen wie eine Drückerkolonne gemeinsam zu den Drehorten, halten uns ein paar Tage am fertig eingerichteten Set auf, gehen spazieren, reden und machen Fotos, zum Beispiel von Barbara im Arztkittel, wie in August Sanders Serie „Deutsche Menschen“. Es geht darum, die eigene Vorstellung loszuwerden und sich zu öffnen für das, was man nicht selbst ist. Ein Filmteam ist keine Selbsterfahrungsgruppe.

David Wnendt.
David Wnendt.

© Thilo Rückeis

Und beim Dreh selbst?

PETZOLD: Die Schauspieler werden nicht vor 8 Uhr geweckt, beim Frühstück besprechen und proben wir dann die Szenen des Tags. Der Kameramann und der Tonmann schauen sich die letzte Probe an, und während die Schauspieler in die Maske gehen, besprechen wir, wie wir filmen, was wir zuletzt gesehen haben.

WEINGARTNER: Coole Methode.

PETZOLD: Nur dass die Produzenten entsetzt sind, wenn sie um 11 ans Set kommen und noch nichts gedreht ist. Aber es funktionierte gut bei „Barbara“, wir brauchten nur wenige Takes. Es ist nicht einfach, zwischen Regie und Schauspiel eine Sprache zu finden, die nicht nach Fünfzigerjahre klingt und sich bewusst ist, dass wir kein Theaterstück abfilmen. Ich wusste nie, was ich Schauspielern sagen soll. Mit dieser Methode ist es präziser.

"Im Wald bist du im Mutterbauch"

Eine DDR-Ärztin will flüchten, eine Neonazi-Frau will raus aus der Gruppe, ein Mann lebt im Wald. Ihre Filme handeln alle von Aussteigern, von Kriegern auf verlorenem Posten. Alle drei sind im Osten gedreht, „Barbara“ und „Kriegerin“ enden mit einer Flucht über die Ostsee. Warum wollten Sie von diesen Outcasts erzählen?

PETZOLD: 98 Prozent aller Filme handeln von Flucht und Grenzüberschreitungen. Ich war gerade mit meinen Kindern in „Hunger Games“: Flucht, Kriegerinnen, ein toll gefilmter Wald, alles da.

WEINGARTNER: Mir geht es weniger um Flucht als um Verweigerung – wobei mein Film zwar in Portugal endet, aber gedreht haben wir auch an der Ostsee. Martin will keine psychiatrische Behandlung mehr, will sich nicht mehr in die Matrix der Effizienzgesellschaft einfügen lassen. Da macht Martin nicht mehr mit. Er streift die Zivilisation ab und geht in den Wald.

Barbara trifft sich mit ihrem West-Freund heimlich im Wald, in „Kriegerin“ grenzen die Plattenbauten an Wald und Wiesen, „Die Summe meiner einzelnen Teile.“ spielt fast vollständig im Wald. Ein Leitmotiv?

WNENDT: Wir haben eben vor allem diese Landschaft: ein bisschen Küste, aber viel mehr Wald.

WEINGARTNER: Wir kommen daher, in „Gladiator“ stürmen die Germanen aus dem Wald. Als Kinder in Vorarlberg haben wir dort Hütten gebaut und uns eine Parallelwelt eingerichtet. Ich liebe den Moment, wenn man in den Wald hineingeht. Die Geräusche ändern sich, es wird stiller, die Vögel zwitschern, der Boden wird weicher, du bist im Mutterbauch.

PETZOLD: Wir haben alle Grimms Märchen gelesen. Ein Held ist einer, der in den Wald geht und verändert zurückkommt. Man muss sich nur den Säulenwald in Fritz Langs „Nibelungen“ anschauen. Der Wald ist romantisch und schön, aber es geht auch Gefahr von ihm aus. Er spendet Trost, es verschwinden jedoch auch Kinder darin.

Petzold über die "Subventionsstadt" Berlin

Die Stadt scheint als Schauplatz im deutschen Film jedenfalls ausgedient zu haben. Warum eigentlich?

PETZOLD: Ich wohne seit 25 Jahren in Berlin und habe die Stadt noch nicht begriffen. Ich habe gerade einen fantastischen „Lettre“-Essay gelesen: Berlin war einmal der weltgrößte Industriestandort. Erst nach dem Krieg, in dem nur 25 Prozent der Industrieanlagen zerstört wurden, zerlegte sich Berlin und wurde zur Subventionsstadt. Bei „Gespenster“ wollte ich davon erzählen: Dass die Stadt nicht weiß, wer sie ist, und künstliche Zentren baut wie den Potsdamer Platz. Berlin ist wie eine neu eingerichtete Kneipe, in der ich nicht weiß, wo ich mich hinsetzen soll. In der Provinz bin ich Gast und beobachte etwas. Aus dieser detektivischen Perspektive entsteht eine Erzählhaltung.

WNENDT: Als ich nach dem Abitur wegen eines Fotoprojekts durch die Lausitz reiste und immer wieder junge Rechtsradikale sah, war das eine fremde Lebenswelt für mich. Nicht dass ich nicht in Berlin hätte drehen wollen, aber ich wollte diese andere Welt erkunden. Ich habe dann Frauen aus der Neonazi-Szene interviewt, nicht um ihre Lebensgeschichten und Widersprüche zu bebildern, die darin bestehen, dass es in der NS-Ideologie für Frauen nur die untergeordnete Rolle der Hausfrau und Mutter gibt, sie selber aber kämpferisch waren, politisch aktiv, auch aggressiv. Ich wollte das wie gesagt nicht abbilden, aber es hat mich inspiriert.

WEINGARTNER: In der Stadt zu drehen, ist stressig. Es gibt keine Parkplätze, es ist eng und laut, außerdem hat das Fernsehen die Stadtbilder verbraucht, der „Tatort“, die Krimi-Serien

PETZOLD: Die Krimis spielen in der Stadt, ohne dass sie ein Gesicht hätte. Die Städte sind nicht erkennbar. Der deutsche Abbildrealismus kaschiert nur die eigene Standpunktlosigkeit

WNENDT: Drehen auf dem Land ist gut fürs Team. Man wohnt am gleichen Ort, verbringt die gesamte Zeit zusammen ...

WEINGARTNER: ... und es ist gut für den magischen Filmraum, in den man sich hineinbegibt. Das gab es auf der Hütte in „Die fetten Jahre ...“, „Free Rainer“ drehten wir in Belzig in einem alten Hotel, und jetzt waren wir im Wald.

PETZOLD: Es gibt diese Sehnsucht. Ich dachte lange, die Hollywoodstudios seien so ein Ort, ein geschütztes Labor. Aber James Stewart sagte einmal: Nein, die Studios sind Fabriken. Man kommt um 8, der Pförtner grüßt einen, um 17 Uhr ist Feierabend. Ich bin ebenfalls Anhänger des Schullandheims. Aber unsere Filme wären erwachsener, wenn sie etwas mehr aus der Fabrik kämen.

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