zum Hauptinhalt
Allzeit gewaltbereit. Szene aus Thomas Heises 1992 entstandenem Dokumentarfilm „Stau – jetzt geht’s los“ über rechtsextreme Jugendliche in Halle.

© Tsp

Rechtsextremismus im Film: Missachtete Dokumente einer Bedrohung

Schon vor 20 Jahren zeigten Dokumentarfilme die Entschlossenheit der Neonazi-Szene. Heute sind sie eine Chronik des Versagens.

„P 38, acht Millimeter“, sagt Peter und hält seine Pistole hoch, „das ist mein Begrüßungsgeld gewesen damals im Westen, das war das erste, was ich mir geholt habe.“ Eine Walther P 38 – einst Lieblingswaffe der Wehrmacht, später Lieblingswaffe von Terroristen. Im Hintergrund läuft der Fernseher, ein Zeichentrickfilm.

Halle-Neustadt, 1992. Der Dokumentarfilmer Thomas Heise begleitet junge Rechtsradikale mit der Kamera und lässt sie reden, über Volk und Ehre, über Adolf Hitler, über Ausländer. Er filmt sie beim Feiern, wenn sie „Sieg Heil“ rufen zu „Thunderstruck“ von AC/DC, er filmt sie beim Herumalbern an der Gedenkstätte Buchenwald. „Ganz normal“ seien sie, sagt einer von ihnen, „nur ein bisschen rechts.“

Vom Moment des höchsten Erschreckens über die Mordserie der Zwickauer Naziterroristen aus betrachtet, wirkt das, was damals aufgenommen wurde, wie ein Menetekel. Aber was zeigen die Bilder eigentlich, was bedeuten sie? Und wozu haben sie geführt? „Wir sind da, und das sollen die Leute mitkriegen“, sagt der smarte Rechtsradikale Ronny. Sie waren immer schon da. Nur haben es viele nicht immer gesehen.

„Stau – Jetzt geht’s los“, heißt Heises erster Film aus Halle. Ein paar Jahre später, 1999, folgte „Neustadt (Stau – Der Stand der Dinge)“, schließlich „Kinder. Wie die Zeit vergeht“, gedreht im Jahr 2007. Es gab Proteste gegen einige Aufführungen seiner Filme. Sie seien zu unkritisch, hieß es, es fehle die Haltung. Heute sind sie eine Chronik zur Zeit. Aber auch übers Versagen.

Etwa zur selben Zeit wie Heise, 1993, drehte der Regisseur Winfried Bonengel ebenfalls einen Dokumentarfilm über die rechte Szene. „Beruf Neonazi“ war noch umstrittener als „Stau“, in manchen Städten durfte der Film zunächst gar nicht gezeigt werden, später mussten Veranstalter zu Beginn distanzierende Erklärungen verlesen. Bonengels Protagonist Bela Ewald Althans wurde 1996 unter anderem wegen Volksverhetzung zu einer Haftstrafe verurteilt, Teile des Films galten vor Gericht als Beweis.

In einer tiefenhermeneutischen Untersuchung des Films kam der Soziologe Hans-Dieter König zu dem Schluss, dass Althans zwar einerseits als bösartiger Antisemit, anderseits aber auch als gut aussehender, verführerischer „Yuppie-Nazi“ wahrgenommen werde. Schuld daran sei, neben dem postmodernen Zeitgeist, das politische Klima der frühen neunziger Jahre, während derer die Deutschen ihre historisch bedingten Schuld- und Schamgefühle verloren hätten. Demnach wären vor allem zu nette Nazis, naive Dokumentarfilmer und Helmut Kohl verantwortlich für den Rechtsextremismus in Deutschland – so macht man es sich bequem.

Die Dokumentationen zeigen keine Gewaltszenen. Das übernehmen die Spielfilme.

Im Wesentlichen gibt es drei Arten von Filmen, die sich mit Rechtsradikalismus beschäftigen. Neben den Dokumentarfilmen wie die von Heise und Bonengel, die zusammengesetzt sind und spätestens beim Schnitt einer Regie folgen, sind das vor allem Reportagen wie die von Spiegel TV, bei denen Journalisten bei laufender Kamera auf zumeist überraschte Szenefiguren zugehen und Fragen stellen, die niemand beantworten will. Hier kommt zuweilen etwas zum Vorschein, was bei Heise nahezu vollständig fehlt: brutale körperliche Gewalt.

Das wird aber erst so richtig klar, wenn man die dritte Kategorie daneben betrachtet: den Spielfilm. Das ist oft eine Mischung aus Kitsch, Klischee und Recherchiertem, nicht selten auch mit einer Botschaft versehen. „American History X“ gehört zu den bekannteren Filmen dieser Gattung (ja, nicht nur in Deutschland gibt es Rassisten). In „Kriegerin“ von David Wnendt (Interview links) wird die Geschichte einer jungen rechtsradikalen Frau erzählt, die den Antisemitismus schon als Mädchen von ihrem Opa übernommen hat. In diesem Film kostet eine Walther P 38, „scheckbuchgepflegt“, 600 Euro, ein realistischer Preis. Peter, der junge Nazi aus dem Film von Heise, hatte für seine Walther damals nur 179 Mark bezahlt, allerdings war das auch die Schreckschussversion.

Echt oder unecht, dass ist eine Frage, die Dokumentarfilmer betrifft, auch dann, wenn sie sich so zurückhalten, wie Heise es tut. So sagt bei einem rechten Schulungsabend Konrad, der eine Parteikarriere eingeschlagen hat, man wolle sich vor der Kamera wie immer verhalten und alles sagen, nur eben nicht strafrechtlich Relevantes. Und bevor Peter seine Pistole zeigt, meint man ihn fragen zu hören: „Noch mal?“ Als wäre der erste Take danebengegangen, und das bei einem Dokumentarfilm. Die Grenze zur Dokusoap kommt ganz nah.

Doch was ändert das am Befund? Mindestens 138 Menschen wurden seit Anfang der neunziger Jahre nachweislich von Rechtsextremisten totgeschlagen, erschossen, erstochen, Tausende verletzt mit zum Teil schlimmen Folgen für den Rest ihres Leben. Aufmerksamkeit wurde ihnen weit weniger geschenkt als den Tätern. Die Filme von damals und heute, sie helfen, zu sehen, was da war und ist an Rechtsradikalismus mitten in der Gesellschaft, aber sie helfen nicht, zu verstehen.

Ohnehin ist das ein Teil des Problems: das Verstehen wollen, das übergeht ins Verständnisvolle, Erklärende. Zwischen zwei Aufregungen über schreckliche Taten wird das Thema dann ratlos abgeschoben zu den Sozialarbeitern. Doch die kommen nicht ran, nicht nah genug, längst nicht so nah jedenfalls, wie es Thomas Heise gelang.

Am Ende des ersten Films von 1992 steht Ronny am Rande der Plattenbausiedlung, Springerstiefel, hochgekrempelte Jeans, schwarze Jacke. Er hebt den durchgestreckten Arm, in der Hand eine Pistole. Er drückt ab, einmal, zweimal, dreimal; worauf er zielt, ist nicht zu sehen. Das nächste Bild zeigt, frontal, einen Wecker, den Kugeln treffen, erst genau in die Mitte, dann auch am Rand. Er sieht fast aus wie ein Gesicht.

Zur Startseite