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Rebecca Horn-Retrospektive: Die Luftschreiberin

Rebecca Horn lässt Buchstaben an Drähten zittern, erfindet Malmaschinen und beschwört die Liebe. Das Lehmbruck Museum in Duisburg widmet der Künstlerin eine Retrospektive.

Die Schuhe sehen ganz schön alt aus. Rebecca Horn scheint sie lange getragen und außerdem in einer anderen Epoche gekauft zu haben: Die Zehen münden in endlosen Schnäbeln, wie bei einer Fußbekleidung aus dem 15. Jahrhundert. Vielleicht stammen sie aber auch aus den Achtzigerjahren – eine Zeit, die diese modische Zuspitzung ebenfalls kannte. Solche Gedanken schießen einem im Duisburger Lehmbruck Museum durch den Kopf. Man steht vor einer der jüngsten kinetischen Skulpturen von Rebecca Horn, und für die mentale Zeitreise sorgt die Künstlerin selbst mit dem Titel der Arbeit: „Aus dem Mittelalter entwurzelt“ (2017).

Mit 73 Jahren hat Horn nun den Lehmbruck-Preis erhalten, der mit 10 000 Euro dotiert, an ein außerordentliches skulpturales Lebenswerk geknüpft und mit einer Ausstellung verbunden ist. Zwei Jahre, nachdem sie einen Schlaganfall erlitten und sich anschließend mühsam ein Stück körperliche Autonomie zurückerobert hat. „Aus dem Mittelalter entwurzelt“ erzählt ganz sicher auch davon, denn aus den Schuhen, die in Bronze gegossen sind, wachsen unterschiedlich lange Stäbe. Ihre langsamen, gegenläufigen Bewegungen erinnert an die Gehversuche zweier ultradünner Beine.

Horn lehrte fast zwei Jahrzehnte an der Berliner UdK

Die Künstlerin war immer eine Freundin starker emotionaler Bilder, das zeigt auch die Retrospektive in Duisburg, an deren Eröffnung sie krankheitsbedingt nicht teilnehmen konnte. Im Lehmbruck Museum hängt unter anderem „Amore Continental“ (2008), eine Apparatur mit altmodischer Schreibmaschine. An dünnen Drähten zittern rote Buchstaben, zusammen ergeben sie das Wort „Amore“. Liebe, das ist ein ebenso fragiler wie unbeständiger Zustand, und der Aufwand, den Horn betreibt, um diesen Begriff in die Luft zu schreiben, wirkt wie eine poetische, vergebliche Beschwörung.

Ihre „Pfauenmaschine“, die sie 1982 auf der 7. Documenta installierte – und die zum Auftakt der Ausstellung auch in Duisburg zu sehen war –, gibt sich ungleich martialischer. Man sieht ein monumentales, sich langsam spreizendes Rad. Anstelle der Federn finden sich Kiele aus Metall mit pfeilspitzen Enden wie Waffen. Gefahr für Leib und Leben, auch das ist ein immerwährendes Thema im Werk der Künstlerin, die vor einem Jahrzehnt in Berlin mit einer großen Schau im Martin-Gropius-Bau gewürdigt wurde. In Berlin lehrte sie ab 1989 fast zwei Jahrzehnte an der Universität der Künste, als erste Professorin dieser Institution.

In ihrer Arbeit manifestiert sich Sinnliches und Poesie, Feminismus und Body Art

Selbst wer ihren Namen nicht gleich mit konkreten Arbeiten verbindet, erinnert sich sofort an Bilder. Horn war allein viermal auf der Documenta in Kassel vertreten, ihre Installationen haften lange im Gedächtnis. So wie die Geigen, denen mechanische Hände schräge Töne entlocken. Oder die Taktstöcke, aus denen unvermittelt schwarze Tinte spritzt, und jene Malmaschinen, die Museumswände mit abstrakten Kürzeln füllen.

Man kann das theatralisch finden und der Künstlerin effekthafte Überwältigung unterstellen. Gerade vor dem „Schildkröten-Seufzerbaum“ von 1994, einer riesigen Skulptur mit Schalltrichtern an gewundenen Messingröhren, aus denen es im Lehmbruck Museum unverständlich flüstert, wehrt sich einiges im Innern gegen diese alle Aufmerksamkeit aufsaugende Erlebniskunst. Und doch hat sich Rebecca Horn eine autonome Position jenseits aller konzeptuellen, minimalistischen Moden erarbeitet. In ihrem Werk manifestieren sich Fülle, Theatralik, Sinnliches, Poesie, Feminismus und Body Art – und ebenso Aspekte, die über das Konkrete hinausweisen. Wer wie Horn eine wilde „Painting Machine“ (1988) konzipiert, der macht sich nicht zuletzt über den Abstrakten Expressionismus lustig. Und über jene Ehrfurcht, die den malenden Berserkern von damals entgegengebracht wird.

Die Ausstellung bietet einen konzentrierten Eindruck des Werks

Rebecca Horn überlässt die große Geste lieber ihren Maschinen. Aus den künstlerischen Prothesen, die sie sich in den frühen Siebzigern in ihrem New Yorker Atelier baut – Krallen zum Beispiel, mit denen sie einen Raum durchmisst und gleichzeitig die Wände berühren kann –, entstehen allmählich komplexe Automaten. Horn hat oft auf ihre Biografie verwiesen. 1967, nach frühen Experimenten mit Polyester und Fiberglas, hatte sie ernste Probleme mit ihren Lungen. Die Zeit der Genesung im Sanatorium und ihre Isoliertheit überbrückt die junge Künstlerin mit Zeichnungen von Hilfsmitteln zur Aneignung des Raums. Mit bildhaften Extensionen, die den eigenen Körper nach Belieben ergänzen und verlängern.

Davon erzählen in Duisburg auch die frühen Videos ihrer Performances, von denen einige während ihrer New Yorker Zeit in den Siebzigerjahren entstanden. Und obgleich das Museum der Ausstellung bloß seinen Anbau zur Verfügung stellt, ergibt sich ein konzentrierter Eindruck des Werks, für das die Künstlerin schon 1992 mit dem Kaiserring der Stadt Goslar und im Jahr darauf mit einer Retrospektive im Guggenheim-Museum in New York gewürdigt wurde.

Ein neuer Zyklus

Die eigentliche Sensation aber sind ihre jüngsten Skulpturen aus den vergangenen zwei Jahren . „Hauchkörper als Lebenszyklus“ lautet der etwas eigentümliche Ausstellungstitel. „Hauchkörper“ stehen tatsächlich im Zentrum der Schau, mit denen Rebecca Horn einen neuen Zyklus ihrer Arbeit einläutet. Aus grauen Plinthen erheben sich schlanke, immer noch pfeilspitze Messingstäbe. Nun aber bewegen sie sich sanft schwankend, fast meditativ aneinander vorbei.

Das neue Werk hat ein langsames, bedächtiges Tempo und verzichtet völlig auf die Dramatik früherer Arbeiten. Der Betrachter steht vor ihm, wird von den gold glänzenden Streben überragt und verfällt allmählich ihrem ruhigen Rhythmus. Jeder Stab lässt sich als Individuum lesen und das Dutzend als Gruppe, in der jeder eine andere Richtung anpeilt. Am Ende aber überwiegt ein Gesamtbild der Harmonie. Zweifellos schlägt Rebecca Horn hier neue Töne an; in diesem Spätwerk bündeln sich ihr Wissen und ihr Können zu Skulpturen von beinahe klassischer Schönheit.

Lehmbruck Museum, Duisburg, Friedrich-Wilhelm-Str. 40; bis 2. April. Di-Fr 12 – 17 Uhr, Sa/So 11 – 17 Uhr. Der Katalog kostet 36 Euro. Informationen: www.lehmbruckmuseum.de

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