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Kultur: Raus aus dem Wohnzimmer Donaueschingen feiert das Streichquartett

Vor zwei Jahren ging ein Riss durch die Szene für Neue Musik in Donaueschingen: Zum ersten Mal in der Geschichte des Festivals wurden einige Uraufführungen von unterschiedlichen Interpreten angepackt. Die einen im Publikum fanden sich erhellt (weil man niemals zweimal in denselben Notenfluss steigt), die anderen vergrätzt (weil sie sich über Gebühr belehrt fanden).

Vor zwei Jahren ging ein Riss durch die Szene für Neue Musik in Donaueschingen: Zum ersten Mal in der Geschichte des Festivals wurden einige Uraufführungen von unterschiedlichen Interpreten angepackt. Die einen im Publikum fanden sich erhellt (weil man niemals zweimal in denselben Notenfluss steigt), die anderen vergrätzt (weil sie sich über Gebühr belehrt fanden). Mittlerweile ist aus dem Riss eine Linie geworden. Allerdings eine, die keinen festen Halt verspricht.

Das Prinzip des Infragestellens von Musik erstreckte sich in diesem Jahr hauptsächlich auf das Streichquartett: einst der Stolz des bürgerlichen Wohnzimmers, heute eher das klassische Abonnentensorgenkind. Zentral aufgeboten wurde das Arditti-Quartet, flankiert von potenziellen Nachfolgern wie dem Jack-Quartet aus New York und dem Pariser Quatuor Diotima. Wahrhaft olympisch setzte das Arditti-Quartet das einstündige „The Anatomy of Desaster“-Stück des Österreichers Bernhard Lang um, in dem Haydns „Sieben letzte Worte“ erst gesampelt und dann stellenweise manisch umkreist werden. Das hat minimalistische Tendenzen, aber auch einen Zug ins Traumverlorene, und die Ardittis hieven das betörende Stück noch etwas höher, indem sie es ihm mit einer geradezu Schubertschen Delikatesse begegneten. Diese Qualität behält das Arditti-Quartet über die ganzen drei Tage und alle Konzertstrecken hinweg bei: Es verwandelt sich Stücke an. Das hat etwas Transzendierendes.

Im Jack-Ensemble hingegen herrschte eine sehr amerikanische Mischung aus Pragmatik und Präzision vor: Aus dem vielleicht besten Material, dem Streichquartett Nr. 6 des Schotten James Dillon, einem mikropolyphonen, tüftelig organisierten Prozess, filterten sie vor allem die perfekte Mechanik in der Klangverteilung heraus. Bei den Ardittis wurde das Stück menschlicher, klanglich weicher, während das Quatuor Diotima sich Dillon auf eine schon fast kratzbürstige Art vom Klangkörper zu halten trachtete.

Grundverschieden auch wie die Amerikaner und die Franzosen mit einem Nicht-Stück von Peter Ablinger verfuhren. Simuliert werden sollte, wie ein Ensemble eine ins Nichts sich verfiepende Diskantfolge probt. Das Jack-Quartet ging so lange ernsthaft mit der Sache um, bis dem Publikum der Geduldsfaden riss – und Quatuor Diotima lösten die Situation dramatisch auf, spielten Theater, in Alltagskleidern und zur nicht geringen Gaudi der Zuschauer.

Kaum aber wähnte man sich restlos aus allen Wohnzimmerzusammmenhängen gelöst, saß man auch schon wieder mitten drin in der guten Stube: sechs Flügel, im Zwölfteltonabstand gestimmt, was aus jeder Tonleiter ein Glissando macht. Vorher hatte der an die Stuttgarter Oper wechselnde Chefdirigent des großartigen SWR-Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg, Sylvain Cambreling, den Erfinder dieser Technik vorgestellt: Ivan Wyschnegradsky, als Komponist von nicht unbeträchtlichem Einfluss auf Olivier Messiaen und Pierre Boulez. Seine Idee von der Auflösung fester Klänge sponn Georg Friedrich Haas mit „limited approximations“ weiter, einer perfekt instrumentierten, ungeheuer farbigen Komposition, die man in jedes Repertoireprogramm integrieren könnte.

Und dann ist da noch Vinko Globokar, der in „Radiographie d’un roman“ für Riesenbesetzung und Chor in 32 Kleinstszenen Revue passieren lässt, was so alles in den Wortschatz seiner (und unserer) Kämpfe gehört. Globokar, 76, ist so etwas wie das politisch-ästhetische Gewissen Donaueschingens. Wenn es sein musste, ließ er mitten im Jugoslawienkrieg die Halle mit Stacheldraht pflastern. Er wollte nie viel von Wohnzimmern wissen, doch weiß er jetzt, was übrig bleibt vom Widerstand, wenn es gut geht: Dass sich immer ein paar gleichgesinnte Leute finden. Zum Schluss ließ Globokar das SWR-Vokalensemble vier Kreise bilden, wie beim Sorbentanz, und man drehte und wiegte sich selig, während ein unverkennbar von Donauwellen bewegtes Schifferklavier vorne an der Bühne ein paar letzte Schnaufer tat. Keine Resignation, nein, sondern einfach nur: schön. Mirko Weber

Alle Konzerttermine der Radioübertragungen finden sich auf www.swr2.de

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