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Liebesdienst. Simon Rattle am Pult der Berliner Philharmoniker.

© Stephan Rabold

Rattle dirigiert Puccinis "Manon Lescaut": Die Liebe ist eine wüste Sache

Nach drei szenischen Aufführungen in Baden-Baden dirigiert Simon Rattle Puccinis „Manon Lescaut“ jetzt in der Philharmonie - hingebungsvoll und harsch.

Alles, was man tut, soll möglichst relevant sein – erst recht, wenn es in öffentlichem Kulturauftrag geschieht. Da können Legitimationsblumen prächtige Blüten treiben. Sie ranken sich auch um die „Manon Lescaut“-Produktion der Berliner Philharmoniker, die nach drei szenischen Aufführungen in Baden-Baden nun für einen Abend in der Philharmonie zu hören ist. „Was macht eine Frau glücklich – Geld oder Liebe? Die Frage könnte aktueller nicht sein.“ Mit diesen Worten stimmt die Homepage der Rattle-Truppe auf ihren Puccini-Abend ein. Während man darüber rätselt, welchen gesellschaftlichen Diskurs man da wieder verpasst hat – Frauenquote für Führungskräfte oder Mütterrente? –, tritt Simon Rattle ans Pult. Und man spürt: Hier geht es um noch ganz andere Rechtfertigungen.

Es ist der erste Puccini überhaupt für den Philharmoniker-Chef, für die meisten seiner Musiker ebenfalls. Hier etwas abzuliefern, was aus dem Stand das Niveau einer eingespielten Operncompagnie erreicht, ist unmöglich. Und wäre ja auch zu wenig. Die Erwartungen, die die philharmonischen Grenzgänge wecken, sind nicht zu erfüllen. Sich von ihnen zu lösen, scheint gleichermaßen undenkbar. Ein Dilemma, aus dem Rattle durch große Sorgfalt zu entkommen sucht.

Dabei kann er nicht auf das intuitive An- und Abschwellen der Orchesterwellen setzen, wie es sich in der Opernpraxis einstellen mag. Und Puccini, das ist Wellenreiten. Das Gefühl für den Scheitelpunkt der Wassermassen entscheidet über Wohl und Wehe der Aufführung. Rattle aber bugsiert seine Sänger immer wieder unter die Orchesterwucht. Leichtigkeit ist seiner „Manon“ gänzlich fern, ein seltsamer Kontrapunkt zum Rührstück um eine flatterhafte junge Frau.

Eva-Maria Westbroek wächst in die Titelrolle auch erst über das Drama hinein. In ihm angekommen, gestaltet sie souverän, mehr an Glaubhaftigkeit denn an Solistenglanz interessiert. Wie sie ihren mittellosen Liebsten damit zur Weißglut treiben kann, bleibt allerdings ihr Geheimnis. Massimo Giordano als Des Grieux tritt mit bewunderungswürdiger Standhaftigkeit hinter die auffahrenden Philharmoniker. Ein Tenor mit starker maskuliner Basis, weniger hochfliegend als ausdauernd, nie aufgebend, auch wenn die Wellen über ihm zusammenschlagen. Einer, der die Zumutungen des Verismo alla berlinese zu nehmen weiß.

Die Liebe, das macht Rattles ebenso hingebungsvolles wie harsches Dirigat deutlich, ist eine wüste Sache. Sie bringt uns nicht immer Heil.

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