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Protestaktion zum Gedenken an George Floyd vor dem Kapitol in Washington

© dpa/AP/Jacquelyn Martin

Rassismus in den Vereinigten Staaten: Die USA kämpfen noch immer mit der Ursünde Sklaverei

Mauern aus Geld und Vorurteilen trennen die Gesellschaft: Die Folgen der Sklaverei sind in den USA noch lange nicht überwunden.

Manches Unrecht ist von einer Dimension, die eine Gesellschaft über Generationen verfolgt. Oder länger. Unter der „Ursünde“ leidet, theologisch gedeutet, die Menschheit bis heute. Adam und Eva wurden samt Nachkommen aus dem Paradies vertrieben.

Den Ersten Weltkrieg interpretieren Historiker als „Urkatastrophe“, die das 20. Jahrhundert in Europa prägte. Nun werden die Rassenunruhen in den USA als Folge der „Ursünde Sklaverei“ gedeutet. Manche sprechen vom „Geburtsfehler“ der USA. Können die Vereinigten Staaten dieser Last je entkommen?

Obama und der moralische Bogen des Universums

Barack Obama, ihr erster schwarzer Präsident, hat in seinen Reden oft ein Zitat des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King verwandt: „The arc of the moral universe is long, but it bends toward justice.“ King wiederum hatte sich diese Mut machende Botschaft aus einer Predigt des Theologen Theodore Parker geliehen, der Mitte des 19. Jahrhunderts für die Abschaffung der Sklaverei warb. Über lange Zeit, länger als ein Menschenleben, geht die Entwicklung in Richtung Gerechtigkeit.

Alle können dazu beitragen „to form a more perfect Union“, formulierte Obama in seiner Rede zur Rassenfrage 2008 – Politik als permanente Reparatur der Geschichte. Rückschläge sind nicht ausgeschlossen. Zum Beispiel jetzt unter Präsident Donald Trump.

Europäer dominierten den Sklavenhandel

Die Sklaverei ist älter als die 1776 gegründeten USA. Sie war bereits in der Antike verbreitet. Amerikaner haben sie nicht erfunden. Sie stellten nur zum geringen Teil die Sklavenhändler, die Afrikaner als Zwangsarbeiter in die „Neue Welt“ brachten. Das Museum für afroamerikanische Geschichte in Washington ist ein guter Lernort dafür.

Den Sklavenhandel für die Plantagen – zunächst in der Karibik und in Südamerika, danach in Nordamerika – dominierten vom 16. bis 18. Jahrhundert Portugiesen, Briten, Spanier, Franzosen und Niederländer. Diese wiederum fingen nicht die Sklaven in Afrika; das taten überwiegend Afrikaner. Im Verlauf von 400 Jahren wurden etwa 12 bis 13 Millionen Afrikaner als Sklaven über den Atlantik gebracht.

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Das Wirtschaftsmodell der Plantagenbesitzer beruhte auf Sklaverei

Bei der Gründung der USA und in der Verfassungsdebatte war die Sklaverei ein zentraler Streitpunkt. Die christliche Religion und ihr Menschenbild verboten es, Menschen zu Besitz zu erklären. Das wussten Verfassungsväter wie Thomas Jefferson. Doch viele waren zugleich Plantagenbesitzer. Ihr Wirtschaftsmodell basierte auf Sklaverei, freilich mehr in den Agrarstaaten im Süden als im Norden, wo man auf Manufaktur und ab dem 19. Jahrhundert auf Industrialisierung setzte.

1794 verboten die USA Zulieferungen für den Sklavenhandel wie Schiffe und Ausrüstung und 1808 die Einfuhr von Sklaven. Offiziell durften nur noch Sklaven verkauft werden, die im Land waren, oder deren Kinder. Auch Großbritannien verbot 1808 den Sklavenhandel.

Der Verfolgungsdruck war freilich begrenzt. Zwischen 1810 und 1860 kamen 3,5 Millionen Sklaven über den Atlantik. Der Bürgerkrieg (1861 bis 1865) beendete die Sklaverei auch im Süden.

Dies führte zusammen mit der Industrialisierung im Norden zur „Great Migration“. Am Alltag der Afroamerikaner im Süden hatte die Befreiung wenig geändert. Sie waren nicht mehr Sklaven. Doch für ihre Arbeitskraft gab es nur Hungerlöhne.

Barack und Michelle Obama im Jahr 2017.
Barack und Michelle Obama im Jahr 2017.

© REUTERS/Brendan McDermid

Der Urgroßvater von Michelle Obama war noch Sklave

Die Ökonomie des Südens war durch den Krieg und das Ende der gewohnten Wirtschaftsweise zusammengebrochen. Millionen Afroamerikaner migrierten nach Norden, darunter die Vorfahren der früheren First Lady Michelle Obama. Ihr Ururgroßvater Jim Robinson, um 1850 geboren, war noch Sklave auf der Plantage Friendfield in South Carolina gewesen. Ihr Großvater Fraser Robinson, 1912 geboren, arbeitete in einem Sägewerk, schloss sich in der „Great Depression“ dem Zug nach Norden an und fand eine Anstellung bei der Post in Chicago.

The Negro Motorist Green Book: Film und Wirklichkeit

Der Süden hielt an der Rassentrennung in Schulen, Restaurants, öffentlichen Verkehrsmitteln fest. Was das für die Schwarzen dort, aber auch für schwarze Besucher aus dem Norden bedeutete, schildert der Oscar-prämierte Film „Green Book“. Der Titel nimmt Bezug auf den Reiseführer „The Negro Motorist Green Book“ mit Informationen, wo Schwarze tanken, essen und schlafen können; er erschien von 1936 bis 1966 jährlich neu und ist ebenfalls ein wichtiges Exponat im Museum für Afroamerikanische Geschichte.
Der Norden kannte offiziell keine Apartheid. In der Praxis schon. Afroamerikaner hatten geringere Bildung und geringere Einkommen. Mauern aus Geld und Vorurteilen trennten Wohngebiete, Schulen, Vereine nach der Hautfarbe.

Mauern aus Geld und Vorurteilen

Nur langsam bekamen die Mauern Risse. Im Zweiten Weltkrieg kämpften viele Truppen nach Hautfarbe getrennt, auch wenn Präsident Roosevelt die Jobs in Militär und Regierung 1941 für alle Bürger geöffnet hatte. Die Leistungen schwarzer Einheiten wie der Tuskegee Airmen mit den ersten schwarzen Kampfpiloten oder des 761. Panzerbataillons stellten aber das Bild vom überlegenen weißen Soldaten in Frage.

Auch im zivilen Leben blieb Fortschritt ein mühsamer Kampf. Erst um die rechtliche Emanzipation, dann darum, dass die Gesetze Anwendung finden. Der 1870 verabschiedete 15. Verfassungszusatz, der Schwarzen das Wahlrecht zusprach, stand lange auf Papier.

Mitunter bestätigten die Verfassungsrichter fragwürdige Zustände, etwa 1896 mit dem Urteil, ein getrenntes Schulwesen verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Schulen könnten „separate but equal“ sein.

Rosa Parks, Freedom Riders und andere Helden

Die Bürgerrechtsbewegung brachte in den 1950er und 1960er Jahren Ikonen hervor: Rosa Parks weigerte sich 1955 in einem Bus in Montgomery, ihren Sitz an einen Weißen abzutreten. Sie wurde verhaftet. Schwarze reagierten mit dem Boykott der Verkehrsbetriebe. 1956 erklärte der Supreme Court die Rassentrennung in Bussen für verfassungswidrig.

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1954 korrigierte er sein „Separate but equal“-Urteil. Präsident Eisenhower musste jedoch 1957 Militär schicken, um den Schulgang von neun mutigen schwarzen Schülern in Little Rock, Arkansas, gegen einen hasserfüllten Mob zu erzwingen. Kurz darauf trat der Civil Rights Act in Kraft, der Versuche, schwarze Bürger am Wählen zu hindern, unter Strafe stellte.

Nach dem Protest schwarzer Studenten in Greensborough beendeten Lokale die Rassentrennung am Tresen. „Freedom Riders“ aus dem Norden halfen, die Segregation in Fernreisebussen zu beenden. 1964, 1965 und 1968 folgten Gesetze zur Gleichheit des Wahl-, Arbeits-, Wohn- und Mietrechts.

Schritt für Schritt. Die 6-jährige Ruby Bridges erkämpfte sich 1960 ihren Weg in eine „weiße“ Schule in Louisiana. Szene aus dem Film „Ruby Bridges – Ein Mädchen kämpft für sein Recht“ von 1998.
Schritt für Schritt. Die 6-jährige Ruby Bridges erkämpfte sich 1960 ihren Weg in eine „weiße“ Schule in Louisiana. Szene aus dem Film „Ruby Bridges – Ein Mädchen kämpft für sein Recht“ von 1998.

© imago/United Archives

Martin Luther King Prophezeiung vor seiner Ermordung

Ja, der Bogen der Geschichte biegt sich hin zu Gerechtigkeit. 1968 sind die USA ein anderes Land als vor Abschaffung der Sklaverei. 2020 haben Afroamerikaner deutlich mehr Rechte und Chancen als 1968. Eine schwarze Mittelschicht ist entstanden, der es besser geht als vielen Weißen. Ein Schwarzer ist zwei Mal zum Präsidenten gewählt worden.

Die Mehrheit der Afroamerikaner ist aber weiter vielfältig benachteiligt. Die größte Hürde ist die ökonomische und soziale Chancengleichheit. Martin Luther King hatte das kurz vor seiner Ermordung vorhergesagt.

Die praktischen Folgen der „Ursünde Sklaverei“ werden mit jeder Generation ein wenig kleiner. Überwunden sind sie noch lange nicht.

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