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Flagge zeigen. Tasha Dougé hat ein Sternenbanner aus Synthetik-Haar gewebt.

© Anthony Lewis

Rassismus-Ausstellung in Dresden: Die Erfindung des Anderen

Von der Vermessung zur Vernichtung: Das Dresdner Hygiene-Museum präsentiert mit mehr als 400 Exponaten die Geschichte des Rassismus.

Rassismus ist eine Ideologie, die mit Wissenschaft nichts zu tun hat. Die Behauptung, dass Menschen aufgrund äußerlicher Unterschiede, etwa ihrer Hautfarbe, verschiedenen Rassen angehören, diente als Rechtfertigung von Versklavung, Unterdrückung und Ausbeutung. Doch entstanden ist Rassismus als ideologisches Konzept im Zeitalter der Aufklärung, und betrieben wurde er lange mit den Mitteln der Wissenschaft.

Die Rassismus-Ausstellung, die im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden mit mehr als 400 Exponaten von der „Erfindung der Menschenrassen“ – so der Untertitel – erzählt, beginnt mit einem ganzen Raum voller Dokumente einer Pseudo-Wissenschaft. Gipsbüsten, Vermessungsinstrumente, Zeichnungen, Abgüsse von Schädeln, Zahlen- und Farbskalen, aufgereiht in wabenförmigen Vitrinen. Sie atmen den Geist des Positivismus, des Versuches, die Natur in Ordnungssystemen zu erfassen und zu hierarchisieren. Daran arbeiteten europäische Zoologen und Anthropologen seit dem 18. Jahrhundert, und mit Menschen verfuhren sie dabei ähnlich wie mit Tieren und Pflanzen.

Der Göttinger Anatom Johann Friedrich Blumenbach entwickelte ein System von menschlichen „Varietäten“, bei dem er kaukasische, mongolische, äthiopische, amerikanische und malayische „Nationengesichter“ voneinander unterschied. An der Spitze der Schöpfung stand selbstverständlich der weiße Europäer, den Blumenbach als Kaukasier bezeichnete. In den USA wird dieser Begriff bis heute benutzt. Visualisiert wurde die Systematik des Rassentheoretikers durch Skulpturen, die der Bildhauer Eduard Schmidt von der Launitz um 1850 in antikisierender Manier schuf. Die Französische Revolution hatte für die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gekämpft, doch gelten sollten sie nur für einen kleinen Teil der Menschheit, die Herrenspezies aus dem Norden.

Den Rassismus nicht ausstellen, sondern widerlegen

Als 1793 in Paris der französische Nationalkonvent zusammentrat, gehörte ihm auch ein schwarzes Mitglied an. Jean-Baptiste Belley, ein aus dem Senegal stammender ehemaliger Sklave, vertrat die Interessen der Kolonie Saint-Domingue. Ein Porträt des klassizistischen Malers Anne-Louis Girodet-Trioson zeigt ihn in Abgeordneten-Kleidung, mit um die Hüfte geknoteten Bändern in den Nationalfarben. Doch die Hand des Delegierten weist aufs Geschlecht, ein Hinweis auf seine angebliche Unzivilisiertheit.

Rassismus nicht ausstellen, sondern widerlegen, das ist der Anspruch der Schau. Dabei stand das Team um die Kuratorin Susanne Wernsing vor der Herausforderung, Stereotype so darzustellen, dass sie nicht weiter reproduziert werden. Weil alle mit der Ausstellung beschäftigten Wissenschaftler weiß sind, wurde während der Vorbereitungen ein Beirat gegründet, dem auch schwarze Aktivisten und Künstler angehören. Sie begleiten die Ausstellung mit Kommentaren, Kunstwerken und Videos und heben die historische Argumentation auf die Höhe aktueller Debatten.

Die Büste zeigt den Typus eines „Äthiopiers“, um 1850 nach den Ideen des Rassentheoretikers Blumenbach geformt.
Die Büste zeigt den Typus eines „Äthiopiers“, um 1850 nach den Ideen des Rassentheoretikers Blumenbach geformt.

© Universität Jena

„Es hat Hunderte Jahre gedauert, das Konstrukt des Rassismus aufzubauen, es wird Hunderte Jahre dauern, es wieder abzubauen“, sagt eine der Aktivistinnen, die Soziologin Natasha A. Kelly. Zu den besonders makabren Exponaten gehört die Büste eines „Caffernprinzen“. Johann Gottfried Schadow, bis heute für seine Quadriga auf dem Brandenburger Tor berühmt, modellierte sie 1821 nach einem Kopf, der in Madagaskar vom Leichnam eines Mannes abgetrennt worden und nach Berlin gebracht worden war.

Die Ausstellungsmacher haben die Skulptur auf den Vitrinenboden gelegt, als wollten sie den Kopf nun endlich zur Ruhe betten. Dazu passt ein Text des in Tansania geborenen, heute in Berlin lebenden Aktivisten Mnyaka Sururu Mboro, der einige Meter weiter an der Wand hängt: „Zerschnitten, vermessen, untersucht und ausgestellt / Unsere Urgroßväter und -mütter in Schachteln gestapelt / Im Museum sind noch immer Köpfe ausgestellt / Die Köpfe ,der Anderen‘ / Unsere Köpfe.“

Das Hygiene-Museum hat selber eine rassistische Geschichte

Von der Vermessung führte ein Weg zu Ausgrenzung, Diskriminierung und Vernichtung. Aus Polizeibeständen stammen ein Album „zur Bestimmung von Gesichtsteilen der aus Frankreich vertriebenen Ausländer“ aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, Tafeln mit Fotos von „bekannten Sozialdemokraten“ und Proben mit „typischen Handschriften“ von Einbrechern oder Betrügern. Daneben liegen Utensilien zur Bestimmung von Fingerabdrücken. Heute werden die Fingerabdrücke von Asylbewerbern europaweit mit dem Softwareprogramm Eurodac abgeglichen. Zu sehen ist auch ein schreibtischgroßer Computer-Vorläufer, die Dehomag-Tabelliermaschine, die Daten aus Volkszählungen verarbeitete. Sie wurde vom amerikanischen Konzern IBM hergestellt und half den Nationalsozialisten bei der Organisation des Holocaust.

Nilpferdpeitsche, Fußfesseln und „Sklavenzügel“ wurden vor 1888 in Westafrika benutzt.
Nilpferdpeitsche, Fußfesseln und „Sklavenzügel“ wurden vor 1888 in Westafrika benutzt.

© Museum der Kulturen Basel

Das Hygiene-Museum hat selber eine rassistische Geschichte. 1912 als Institution zur populären Gesundheitsaufklärung gegründet, stellte es sich nach 1933 bereitwillig in den Dienst der nationalsozialistischen Propaganda. Die Wanderausstellung „Blut und Rasse“ illustrierte eine Tafel zur „geistigen Überfremdung durch die Juden“ mit Porträts von Intellektuellen wie Alfred Kerr und Theodor Wolff. Ein „Columbus-Großglobus“, den Hitler dem Jugendfunktionär Baldur von Schirach schenkte, demonstrierte 1939 auf der „Deutschen Kolonialausstellung“ weltpolitische Ansprüche. Die nach dem Ersten Weltkrieg verlorenen Kolonien sind farblich hervorgehoben, man wollte sie zurückhaben.

„Ich bin kein Rassist“ sagt ein Mitglied des Ku-Klux-Klan

Rassismus verbreitet Hassbotschaften. „In Klein-Kleckersdorf wird aufgeräumt“ heißt ein antisemitisches Puppenspiel, das 1935 von einer Berliner Spielzeugfirma vertrieben wurde. Es geht um Gleichschaltung und Vertreibung in einem Musterort. Als Bösewicht fungiert der Geschäftsmann Ephraim Cohn, dessen Kopf allen „Stürmer“-Klischees entspricht. Am Ende der Vorstellung wird er von Kasperl verprügelt und auf den Müllplatz geworfen. Das Plakat zur Propagandaausstellung „Der ewige Jude“ ist nur als unscharfe Silhouette zu sehen, der Begleittext verweist auf die anhaltende Wirkungsmacht von antisemitischen Klischees. Auf andere Bilder verzichtet die Ausstellung ganz, etwa auf Fotos von sogenannten Völkerschauen, bei denen Afrikaner und Indianer wie Tiere in Zoos oder auf Rummelplätzen vorgeführt wurden.

„Ich bin kein Rassist“, sagt ein junger Mann, den Mo Asumang in ihrer Videoinstallation „help me“ auftreten lässt. Er trägt die gespensterhafte Kluft des Ku-Klux-Klans und erzählt, dass er sich bloß aus zeremoniellen Gründen kostümiere. Die Moderatorin und Filmemacherin hat sich mit Rechtsradikalen getroffen und sie freundlich befragt. Ein älterer Amerikaner erzählt Asumang, dass ihr schwarzer Vater ein „Gen-Entführer“ sei, der seine eigene Rasse aufbessern wollte. Rassismus gibt es nicht. Darin sind sich jedenfalls die Rassisten einig.

Deutsches Hygiene-Museum Dresden, bis 6. Januar. Der Katalog (Wallstein-Verlag) kostet 16,90 €. Infos: www.dhmd.de

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