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Hat sich durchgekämpft: Die Rapperin Ebow.

© Foto: Marko Mestrovic

Rapperin Ebow und ihr neues Album „Canê“: Flexen für die Freiheit

Free Kurdistan, Prada-Tasche und lesbische Lovesongs: Eine Begegnung mit der Rapperin Ebow, die auf ihrem neuen Album „Canê“ die Ambivalenzen feiert.

Ebow lebt im Dazwischen. Zwischen Alkohol und Vitamintabletten, queer in der Liebe und straight bei der Familie, Depri zu Hause und Insta Live, Religion und tausenden Sünden. Es ist eine endlose Kette an Gegensätzen, die Ebow in „Canê“ aufzählt, dem titelgebenden Track ihres vierten Albums. Nüchtern bringt die Rapperin damit auf den Punkt, was sie als Person und Künstlerin vor allem ausmacht: Ambivalenzen. „Unsere Seele ist komplex“, sagt die 32-Jährige bei einem Treffen in einem kleinen Kaffee auf der Neuköllner Hermannstraße. „Unser Dasein ist nicht schwarz-weiß, wir sind zwischen den Dingen gefangen. Und das ist okay.“

Ihr Album „Canê“ – kurdisch für „Seele“ oder „Liebling“ – spiegelt diese Gegensätzlichkeit auch in der Struktur. Während die erste Hälfte des großteils von Ebow langjährigem Partner Walter P produzierten Albums dominiert ist von basslastigen Beats, Politik und Posen, geht es in den letzten fünf Tracks um Liebe, Sex und Introspektion, der Sound häufig eher Neunziger-R’n’B als Rap. Es ist die typische Mischung aus tanzbaren Beats und politischen, poetischen Lyrics, mit denen sich Ebow in der Rapszene einen Namen gemacht hat.

„Free my people / Free meine Leute / Kurdistan / Free meine Träume“, so beginnt der erste Track des Albums, „Dersim62“. Die Leute, das sind einerseits die Kurd:innen in der Türkei, von denen Ebow abstammt. Schon als kleines Kind nahmen ihre Eltern sie mit auf Demos. Die Leute sind aber auch alle mit sogenanntem Migrationshintergrund in Deutschland. Ebows Großeltern kamen als Gastarbeiter:innen nach Deutschland. Ebow selbst, die mit bürgerlichem Namen Ebru Düzgün heißt, ist in München geboren und aufgewachsen. Einer ihrer bekanntesten Songs ist „K4L“, kurz für „Kanak for Life“. Eine Selbstermächtigungshymne, die sich den rassistischen Ausdruck aneignet und umdeutet.

„Ich will einen guten Song schreiben und keine Doktorarbeit.“

Ebow spielt auch auf ihrem neuen Album mit den typischen Markern von Straßenrap. Dem Posen mit aufgemotzten Karren etwa, im Video zu „Araba“, türkisch für „Auto“. Obwohl sie ihren Master in Architektur macht, kann sie sich mit Studenten-Rap und akademischen Vokabular nicht identifizieren. „Viele führen Diskurse in einem Fachjargon, der nicht zugänglich ist für die Leute, die es betrifft.“

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Ihr Rap ist eine Schnittstelle zwischen Akademie und Straße, soll aber in erster Linie emotional berühren. „Ich will einen guten Song schreiben und keine Doktorarbeit.“ Ebows Songs sind nie didaktisch, das ist ihre Stärke. Gleichzeitig beschäftigt sie sich mit bisher unterbelichteten Themen. Die Hälfte des fast fünfminütigen Tracks „Prada Bag“ etwa ist ein Monolog, in dem sie über die Bedeutung von Statussymbolen im Rap nachdenkt. „Wenn du in einer Gesellschaft aufwächst, die dich immer als Mensch zweiter Klasse sieht, immer von oben herab, ist deine einzige Möglichkeit, auf gleicher Augenhöhe zu stehen, ihnen zu imponieren“, sinniert Ebow da.

Ebow produzierte eigene Videos und gründet ein Label

Sie hat sich immer durchgekämpft. Mit 16 Jahren gewann sie bei einem Rap-Battle Zeit in einem Studio, sechs Jahre später erschien ihr erstes Album. Frauen im Hiphop waren damals weit und breit nicht zu finden. „Das lief alles über Jungs.“ Sie sei froh, dass sie dabei nicht an Idioten geraten sei. „Ich habe Kolleginnen, deren Produzenten oder Crews ihr Ego kaputt gemacht haben.“ Ebow war nie Teil einer Gruppe, sie hat ihre eigenen Musikvideos produziert und geschnitten, Verträge ausgehandelt, sich selbst gemanagt, ein eigenes Label gegründet – „Alvozay“, mit dem sie vor allem queere, nicht-weiße Künstler:innen fördern will.

„Es gibt keinen Schritt im Betrieb, den ich nicht selbst gemacht hätte.“ Dieses Wissen will sie jetzt an junge Künstlerinnen weitergeben. Denn es sei wichtig, den Unterschied zwischen Vertriebs-, Verlags- und Bandübernahmeverträgen zu kennen oder zu wissen, wie man an Förderungen kommt. „Musikerin zu sein und im Musikbusiness zu arbeiten, sind zwei komplett unterschiedliche Sachen.“

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Die sonst eher monotone Rapperin, der man anmerkt, dass sie Medienprofi ist, wird bei dem Thema leidenschaftlich. Dass derzeit ungewöhnlich viele Frauen erfolgreich Deutschrap machen, sieht Ebow gern, aber mit Vorsicht. „Viele Crews und Management-Teams profitieren gerade von Rapperinnen“, sagt sie. „Aber wenn der Hype vorbei ist, werden die schnell wieder fallengelassen.“ Frauen sollten deshalb den Trend nutzen, um eigene Strukturen aufzubauen. Kampagnen wie #Deutschrapmetoo hätten zwar so viel Aufmerksamkeit wie nie zuvor für Sexismus in der Rapszene geschaffen – hinter den Kulissen aber hätte sich kaum etwas geändert.

Ebow sieht vor allem die großen Labels in der Verantwortung, was explizit antisemitische, sexistische oder homofeindliche Lyrics angeht. Gleichzeitig sei es wichtig, nicht alle Rapper über einen Kamm zu scheren – und zu realisieren, welchen Background sie haben und wie man dort spricht. „Es ist ein Unterschied, ob ich eine Vergewaltigungsfantasie äußere oder einfach mal Bitch in einem Song sage.“ Und natürlich spiele es bei der Wahrnehmung von Rap auch eine Rolle, dass die meisten Künstler:innen nicht weiß sind.

„Vielleicht will ich bald House machen, oder Indie.“

„Die Sprache im Rap ist sehr explizit und soll auch provozieren. Das gibt es im Pop oder im Schlager vielleicht nicht“, sagt die Rapperin. „Aber die Strukturen dahinter sind die gleichen Männerverbünde.“ Ihre Hoffnung ist, dass die Kids von heute sensibilisierter sind für Themen wie Sexismus oder Homofeindlichkeit – und dass sich deshalb auch der Rap ändern wird. „Vielleicht muss diese Deutschrap-Generation so sexistisch sein, damit die nächste Generation das wiederum whack findet.“

[„Canê“ erscheint am 18. März bei Virgin. Deutschland-Tour ab dem 31.3. u.a. in Leipzig, Hamburg und Köln (Berlin am 7. April, bereits ausverkauft), ]

Ebow selbst ist sich gar nicht sicher, wie lange sie dem Rap überhaupt noch treu bleiben wird. „Vielleicht will ich bald House machen, oder Indie.“ Sie ist jetzt 32 und rappt professionell, seit sie 18 ist – Zeit für was Neues. So ist Ebow bei einem Song des letzten Albums der Ärzte dabei, die sie „ziemlich cool“ findet. Auf jeden Fall will sie mehr Liebessongs schreiben, wie sie auf der zweiten Hälfte von „Canê“ anklingen oder auf ihren queeren EPs, die sie einmal im Jahr herausbringt.

Die sind für Ebow genau so politisch wie Verse über den kurdischen Widerstand. „Lesbische Lovesongs zu machen, ist für mich sehr wichtig“, sagt sie. „Weil das sonst fehlt.“ Sie selbst sei in ihrer Jugend geprägt worden von männlichen Vorstellungen von Romantik und Sex – dem will sie etwas entgegensetzen. Und sieht darin ihre Verantwortung, als Alevitin, als Kurdin in Deutschland, als queere Frau mit einer großen Plattform. „Es ist auch eine Art der Rebellion, genau in diesen Zeiten über die Liebe zu rappen.“

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