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Rainer Moritz lehnt Famileinromane ab: Auf Mutter hören

Rainer Moritz lehnt neuerdings Familienromane ab.

Meine Mutter sieht es nicht gerne, wenn ich über sie und die Unsrigen schreibe. Wen interessiert denn das?, äußert sie kopfschüttelnd, sobald ich dazu ansetze, meine Kindheit zu Papier zu bringen und mich schmachtend an den Genuss von „Ahoi“-Brause in der Grundschule zu erinnern. Da ich zu einer Generation gehöre, die elterliche Ratschläge nicht sofort in den Wind schlägt, höre ich auf meine Mutter. Leider scheinen etliche Gegenwartsschriftsteller wenig von dieser autobiografischen Selbstbeschränkung zu halten und erzählen gern von zu Hause. Selbstverständlich nicht plump und aufdringlich, sondern fiktional verhüllt und mit frei Erfundenem aufgefüllt.

Am Ende halten wir dann dickleibige Familienromane in Händen, die von Jugendängsten, pubertären Zielkonflikten und kauzigen Anverwandten handeln. Das Praktische an solchen Geschichten ist, dass jeder meint, sich in diesem Umfeld sicher zu bewegen, und selbst ich könnte, gäbe es da nicht meine Mutter, sofort von meinem Onkel Willy aus Bergen-Enkheim erzählen, der heimlich den Kühlschrank plünderte, und von seiner Frau Änne, die Hühnerfrikassee mit schwabbliger Geflügelhaut servierte. Mühelos ergäbe das einen saftigen Roman, vielleicht sogar einen, der es mit den Amerikanern aufnähme. Denn die sind natürlich schuld daran, dass der Familien- und Generationenroman hierzulande ein so staunenswertes Comeback feiert.

Jonathan Franzens „Korrekturen“ oder Audrey Niffeneggers „Die Frau des Zeitreisenden“ setzten (Verkaufs-)Maßstäbe, die ihre deutschsprachigen Kollegen anstachelten. Und so lasen wir Arno Geigers „Es geht uns gut“, Eva Menasses „Vienna“, Harald Martensteins „Heimweg“ und Larissa Boehnings „Lichte Stoffe“, nicht selten mit erheblichem Vergnügen, und wurden von der Sehnsucht erfüllt, von ganz anderen Dingen erzählt zu bekommen. Von Einsiedlern, die in jungen Jahren alle Bande zur Mutter abbrechen, Weihnachten nicht nach Hause fahren und ihre Lieben niemals im Altersheim besuchen. Kurzum, liebe Autoren, behelligen Sie mich nicht mit wahren oder fiktiven Familienepen. „Wer sich in Familie begibt, kommt darin um“, schrieb Altmeister Heimito von Doderer. Vielleicht ja gelingt es mir, mit diesen Zeilen eine Kehrtwende auf dem Literaturmarkt herbeizuführen. Meine Mutter wäre erleichtert, denn eigentlich ist sie auch nicht an den Familienhistörchen anderer Leute interessiert.

Rainer Moritz

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