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Ein Selbstbildnis Raffaels als Kupferstich von G. M. Preissler (1752).

©  Kunsthalle/bpk, Ch. Irrgang

Raffael für den Hausgebrauch: Der Geniekult und seine Reproduzierbarkeit

Eine Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle zeigt, dass Raffaels Werke schon zu Lebzeiten durch Faksimile verbreitet wurden. Und so erst richtig populär.

Die weitgehende Einschränkung des Reiseverkehrs in den zurückliegenden anderthalb Jahren hat schmerzlich zu Bewusstsein gebracht, dass Orte und mit ihnen Kunstwerke unerreichbar sein können. Ebendies aber war selbstverständlich für die allermeisten Menschen bis weit ins 20. Jahrhundert. Das Aussehen von Kunstwerken kannte man zumeist nur von Reproduktionen. Umso erstaunlicher mutet die Begeisterung an, die berühmten Werken zuteil wurde, obgleich sie im Original nie gesehen wurden.

Das gilt in besonderem Maße für Raffael. Der Ruhm des 1520 verstorbenen Künstlers gründete sich nicht zuletzt auf die Wandbilder, die er in den vier „Stanzen“ des Vatikan ausgeführt hatte – vier für offizielle Anlässe genutzte Räume, in denen ab 1508 jeweils vier Kompositionen zur Ausführung durch den Künstler und eine wachsende Anzahl von Helfern kamen. Heutzutage bilden die Stanzen meist nur einen Zwischenstopp auf dem Weg in die Sixtinische Kapelle.

Im Wohnzimmer hingegen ließen sich die Fresken, wie erst recht die Altarbilder oder die Portraits bewundern, wenn sie im handlichen Format der Reproduktionsgrafik daherkamen. Bereits Raffael selbst sorgte für die Verbreitung seiner Werke durch Reproduktionen. Sie waren jahrhundertelang die einzige Möglichkeit, Kenntnis von Kunst zu erlangen. Entsprechend wurde Grafik gesammelt. Die Hamburger Kunsthalle verfügt, wie jedes im 19. Jahrhundert gegründete Museum, über einen reichen Bestand. Den zu Raffael führt das Haus jetzt mit rund 200 Blättern vor; corona-bedingt um ein Jahr gegenüber dem Anlass verschoben, dem 500. Todestag des Künstlers.

Das ist alles andere als eine trockene Pflichtübung. Denn es ergibt sich ein Panorama der Raffael-Verehrung, das bereits zu Lebzeiten des Künstlers einsetzt, seinen Höhepunkt jedoch erst im 19. Jahrhundert erreicht.

Der in Berlin ausgebildete Kupferstecher Louis Jacoby war ein Star

Die Reproduktionsgrafik wurde selbst zum Schauplatz künstlerischen Wettstreits. Immer originalgetreuer wurden die Grafiken, bis der in Berlin ausgebildete Kupferstecher Louis Jacoby 1882 nach gut zehnjähriger (!) Arbeit einen knapp einen Meter breiten Stich der „Schule von Athen“, dem seit jeher am höchsten bewerteten Fresko der vatikanischen Stanzen, vorlegte. Besseres ist nie geschaffen worden. Schon die farbige Gouache, die Jacoby nach dreijährigem Studium des Originals anfertigte, ist ein Wunderwerk getreuer Wiedergabe.

Die Grafik bot unter anderem der Hamburger Kunstverein seinen Mitgliedern als Jahresgabe an; so erklärt sich die Stellung, die Gouache und Grafik in der Hamburger Sammlung einnehmen. Begonnen hatte das Raffael-Marketing bereits mit den Stichen des nahezu gleichaltrigen Marcantonio Raimondi, der mit dem Kupferstich des „Bethlehemitischen Kindermord“ von 1512 sogar eine eigens für diese Drucktechnik geschaffene Komposition Raffaels vervielfältigen durfte.

Raffaels "Kopf eines Cherubs" als Kohlezeichnung aus dem Jahr 1509.
Raffaels "Kopf eines Cherubs" als Kohlezeichnung aus dem Jahr 1509.

© Kupferstichkabinett / bpk, Christoph Irrgang

Neben der „Schule von Athen“, diesem Inbegriff der Renaissance als Wiedergeburt der Antike, wurden die anderen Fresken mal mehr, mal weniger bevorzugt. Im 18. Jahrhundert kamen ganze Stichfolgen auf den Markt, die die Stanzen in Vollständigkeit abbildeten. Für einzelne Blätter wurden gerne Figurengruppen isoliert wiedergegeben, ebenso aus den Wandgemälden Raffaels in der Bankiers-Villa Farnesina. Der „Triumph der Galatea“ wurde bereits 1513 von Raimondi gestochen, unmittelbar nach Fertigstellung des Freskos selbst.

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Der romantische Geniekult wurde durch die Kunstgeschichte bedrängt

Als Einzelblätter kamen unzählige Reproduktionen von Raffaels Madonnen in den Handel, insbesondere für die nach Dresden verfrachtete „Sixtinische Madonna“, den prototypischen Wandschmuck des bürgerlichen Hauses. Das als Selbstbildnis Raffaels missdeutete Bildnis des Bindo Altoviti brachte es auf über 50 Stichwiedergaben, vor allem um 1800. Zu dieser Zeit mündete die Begeisterung über die Werke in den Kult des Genies, und bei den deutschen Romantikern wurden besinnliche Geschichten um Raffael als Inbegriff des christlichen Künstlers ausgemalt. Die Grafik wechselte in den Bereich der Buchillustration, wovon in der Hamburger Ausstellung zahlreiche Publikationen zeugen.

(Hamburger Kunsthalle, bis 3. Oktober. Katalog bei Imhof (631 Seiten, Großformat) 39 €. www.hamburger-kunsthalle.de)

Doch in dem vitrinenbestückten Ausstellungssaal dominiert ein anderes Werk: die Grisailleskizze von Friedrich Overbecks in Frankfurt bewahrtem Hauptwerk, dem „Triumph der Religion in den Künsten“ von 1840. Overbeck greift in diesem Programmbild auf Raffaels Kompositionen zurück und stellt sich bewusst in dessen Tradition – zu einem Zeitpunkt, als der romantische Geniekult zunehmend durch die Kunstgeschichte als Wissenschaft bedrängt wurde.

Die aber braucht es, um die Authentizität von Kunstwerken nachzuweisen. Und so zeigt die Hamburger Kunsthalle als Höhepunkt ihre fünf Raffael-Zeichnungen, die Mehrzahl kleine und eher beiläufige Skizzen, eine aber in sich vollkommen und zum Staunen schön: der Kopf eines Cherub. Wie Raffael mit sicheren, schwungvollen Kohlestrichen den Kopf schräg von oben gesehen aufs Papier wirft, das zeigt eben das Genie, als das er schon von den Zeitgenossen bewundert wurde – und heute, 500 Jahre nach seinem Tod, aufs Neue. Die Grafik aber war unabdingbar, um seine Kunst überallhin zu verbreiten.

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