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Das Selbstbildnis (1506) schmückt derzeit die römische Ausstellung.

© Katalog

Raffael-Ausstellung in Rom: Meister der Madonnen

Renaissance-Pracht in Zeiten des Coronavirus: Rom feiert Raffael zum 500. Todestag mit einer wunderbaren Ausstellung in den Scuderie del Quirinale.

Im Flugzeug blieben ein paar Reihen frei, „alles no-shows“, wie die Stewardess mit einem Achselzucken erklärte. Im Norden sind Museen und Theater geschlossen wegen des Coronavirus, in ganz Italien machen Universitäten und Schulen dicht. In Rom dann scheint es auch leerer zu sein als üblich, darauf deuten die unbesetzten Trattoria-Tische längs der gewöhnlich überlaufenen Piazza Navona hin, und das bei herrlichem Sonnenschein.

Nur die Schlange der Journalisten, die vor dem römischen Ausstellungshaus der Scuderie del Quirinale auf Einlass zur Vorbesichtigung der Raffael-Jubiläumsschau warten, wird lang und länger und dürfte, als das Tor endlich aufging, gut und gerne 300 Köpfe gezählt haben.

Vom Publikum wurden bereits vor dem ersten Öffnungstag am heutigen Freitag mehr als 60 000 Zeitfenstertickets gebucht. Ob aber die Ausstellung zum 500. Todestag des Meisters, die selbstverständlich die umfassendste aller anstehenden Raffael-Feiern ist, die einstige schwärmerische Begeisterung für das jung verstorbene Genie wiederbeleben kann?

Ironischer Auftakt

Das haben sich die Kuratoren, Marzia Faietti und Matteo Lafranconi, wohl auch gefragt und einen ironischen Auftakt inszeniert. Statt Raffaels Werken begegnen dem Besucher zunächst zwei Historienschinken des 19. Jahrhunderts, das Sterbelager Raffaels darstellend und den vermeintlichen Leichenzug durch Rom.

Doch dann als Blickfang eine bis in kleinste Haarrisse perfekte Replik des Grabmals im Pantheon, dem von Raffael am höchsten geschätzten und früh schon gezeichneten Bauwerk der Antike. Was mit Computertechnik alles möglich ist! Und weil nicht jeder Besucher die lateinische Inschrift auf dem eher unscheinbaren, doch so noblen Sarkophag lesen kann, wird sie gleich mehrfach in den Wandtexten zitiert.

In freier Übersetzung: „Dieser hier ist Raffael. Als er lebte, fürchtete die Natur, von ihm übertroffen zu werden, und als er starb, mit ihm zu sterben.“ Ob Pest oder Malaria oder Geschlechtskrankheit, über die Todesursache wurde immer spekuliert.

Kein Geniekult

Raffael, mit vollem Namen Raffaele Santi oder Sanzi, geboren 1483 im beschaulichen Urbino und gestorben am 6. April 1520, zugleich sein Geburtstag wie zudem in jenem Jahr Karfreitag, hat so viel gemalt, dass auch ohne einige seiner berühmtesten Werke wie der Dresdner Sixtinischen Madonna eine überwältigende Ausstellung zusammengekommen ist. Unverändert macht den Betrachter fassungslos, dass der Schöpfer all dieser Madonnen und biblischen Historiae im Alter von nur 37 Jahren verstarb und dennoch bereits ein Jahrzehnt auf olympischer Höhe gewirkt haben soll.

Indessen war Raffael nicht allein, sondern führte eine hochprofessionelle Werkstatt, doch die Untersuchungen etlicher Gemälde im Vorfeld der Ausstellung haben zuallermeist die Eigenhändigkeit erwiesen oder zumindest den Entwurf, den Raffael in zahlreichen Figurenstudien vorzubereiten und dann maßstabsgetreu in einem Karton auszuführen pflegte. Demgemäß zeigt die Ausstellung neben den Gemälden etliche Zeichnungen, was angesichts ihrer Empfindlichkeit ein eigenes Wunder darstellt.

Doch es geht der Ausstellung in erster Linie gar nicht um Geniekult. Der Auftakt mit dem Grabmal im Pantheon hat eine tiefere Bedeutung: Von hier aus, dem Lebensende des Meisters, erschließt sich dessen fortwährende, umfassende Beschäftigung mit der (römischen) Antike. An ihr maß er sich. Aber damit er sich an ihr messen konnte, musste diese Antike, von der erst seit wenigen Jahrzehnten mehr gefundene als ergrabene Stücke zeugten, studiert und verstanden sein.

Enormer Bildungshorizont

Daran hat Raffael, ein würdiger Vertreter der Renaissance als Wiedergeburt der Antike, erheblich mitgewirkt. Zusammen mit dem Dichter und Theoretiker Baldassare Castiglione, den er in einem seiner besten Portraits überliefert hat, schrieb er 1519 einen langen Brief an den Medici-Papst Leo X., in dem die beiden einen Dreistufenplan zur Erforschung und Bewahrung der antiken Monumente darlegen.

Dieser Brief und etliche weitere Briefe, Schriftstücke und Bücher sind in der Ausstellung zu sehen. Sie spannen den enormen Bildungshorizont auf, in dem sich Raffael und seine Gesprächspartner bewegten.

Die Päpste waren die zentralen Auftraggeber; jedenfalls, seit Julius II. den Anstoß zum Ausbau Roms zur Hauptstadt der Christenheit gegeben hatte. Er war es, der den Neubau von St. Peter zum heutigen Petersdom veranlasste. Julius verstarb Anfang 1513, als Raffael bereits bestens im Geschäft war und im Vatikan-Palast herausragende Aufträge für Fresken zu erledigen hatte.

Julius II. gerierte sich mehr als Herrscher des Kirchenstaates, wenngleich ihn Raffael in dem berühmten, jetzt aus London entliehenen Bildnis als besorgten Glaubensmann zeigt und nicht als den Machtmenschen und verbürgten Choleriker. Sein Nachfolger Leo X. aus dem Haus der Florentiner Medici folgte ihm in Politik wie Mäzenatentum, und so beauftragte er Raffael mit der Leitung des Peterskirchen-Projekts, nachdem der geniale Vorgänger Bramante 1514 verstarb.

Neue, ideale Weiblichkeit

Dass Raffael auch als Architekt tätig war, gerät meist außer Acht. In der Ausstellung ist dies, soweit überhaupt möglich, dokumentiert. Und wie Leo X. sein Pontifikat führte, nämlich als Familienunternehmen, lässt sich an dem grandiosen Dreifachporträt Leos mit seinen Kardinalsnepoten von 1518 studieren, das die Florentiner Uffizien als die wahren Medici-Erben hüten.

Ja, die Gemälde! Raffaels unglaublich schnelle und zielsichere Entwicklung ist vorzüglich an den Bildnissen weiblicher Hauptpersonen abzulesen, deren hier früheste, die „Dame mit Einhorn“ von 1505 – da war Raffael gerade 22! – noch an Leonardos Sanftheit orientiert ist, ehe er seiner selbst vollkommen sicher wird. Madonnen malt er in Serie, in Rundform der „Madonna d'Alba“ aus Washington, in Dreieckskomposition wie die „Rosenmadonna“ aus Madrid, mit diesen oder jenen Staffagefiguren wie die „Madonna der Göttlichen Liebe“ aus Neapel.

Stets kommt ein ebenso bewegtes wie bewegendes, ein vollendet harmonisches Bild zustande. Im zweiten Ausstellungsgeschoss tritt die Reihe der privaten Frauenbildnisse hinzu, in denen Raffael eine neue, ideale Weiblichkeit vorführt, ob in der frühen Dame mit Schleier von 1512/13, der jungen Frau von 1518/20 oder der als eher schamhafte Venus dargestellten „Fornarina“, wohl der späten Geliebten des Meisters.

Die meistgesehenen Werke fehlen

Noch größere Aufträge wurden Raffael zuteil. Er entwirft die Wandteppiche für die Sixtinische Kapelle, die mangels Peterskirche auf Jahrzehnte hinaus der Zentralort der Kurie bleibt. Einen der 1517-19 in Brüssel von Pieter van Aelst gewebten Teppiche haben die Vatikanischen Museen hergeliehen, die sich ansonsten mehr mit Antiken beteiligen.

So auch hier, im „Opfer zu Lystra“, wo es erneut um die Rezeption der Antike geht, wie die Ausstellung überzeugend betont. Weg von aller Süßlichkeit, die Raffael seit dem Hype des 19. Jahrhunderts anhaftet - das ist der Grundgedanke, dem sich die durchweg von vergilbter Firnis zu strahlender Farbigkeit gereinigten Leihgaben bestens einfügen. Apropos Leihgaben - ohne die Uffizien könnte die Ausstellung nicht stattfinden, sie haben allein ein Viertel der insgesamt 204 ausgestellten Werke beigesteuert.

Gleichwohl hat die Ausstellung mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dass die meistgesehenen Werke des Meisters nicht gezeigt werden können: die Wandgemälde in den Stanzen, den (früheren) Papstgemächern im Vatikan. Millionen sind an ihnen schon vorbeigezogen, auf dem Weg zur Sixtinischen Kapelle, die gemeinhin als Werk des Raffael-Konkurrenten und -Neiders Michelangelo gilt.

Viel Schönheit und Antiken-Gelehrsamkeit

Und da sind wir mitten in der Problematik, an der sich Ausstellungen zur Hochrenaissance abarbeiten müssen: dass gleich welcher Meister ohne den oder die Konkurrenten gar nicht zu verstehen ist. Auch in der Raffael-Gedenkschau tauchen Namen schemenhaft auf, die doch für Raffaels Entwicklung, seinen wachen Geist und den mit harten Bandagen ausgetragenen Kampf um lukrative Aufträge von Bedeutung sind. Da hilft wohl nur der monumentale Katalog, so man Zeit zum Studium findet.

Eine besondere Trouvaille hält die Ausstellung auch für Liebhaber der Stanzen bereit: Raffaels Entwurf für die „Vision des Siebten Siegels“, ein Wunderwerk, das auf Geheiß von Leo X. zugunsten der auf ihn selbst bezogenen, kompositorisch langweiligen „Messe von Bolsena“ unausgeführt blieb.

Man verlässt die Ausstellung, benommen von so viel Schönheit wie auch Antiken-Gelehrsamkeit, und hat Raffael regelrecht eingesogen, vielmehr einen Teil des Werks, und so muss sich zwangsläufig ein Besuch des Vatikans anschließen und ebenso der heiteren Fresken der Villa Farnesina. Es ist, wie man so sagt, für drei Monate the chance of a lifetime.
[Rom, Scuderie del Quirinale, bis 2. Juni. Katalog bei Skira, 543 S., 46 €. Zeitfenstertickets unter www.scuderiequirinale.it]

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