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Das Räuberrad wurde wieder an seinem Platz auf der Wiese vor der Volksbühne aufgestellt.

© Markus Heine/imago

Räuberrad vor der Volksbühne: Das Protokoll einer Rückkehr

Das Räuberrad der Volksbühne hat eine lange Ehrenrunde gedreht. Jetzt steht es wieder an seinem Platz auf dem Rosa-Luxemburg-Platz.

Es ist wahrlich ein stürmischer Empfang. Über den weitläufigen Rosa-Luxemburg-Platz pfeift der kalte Herbstwind. Den Arbeitern, die sich schon früh am Morgen hier eingefunden haben, reißt es immer wieder die Leitern um, Straßenabsperrungen werden umgefegt. Bedenklich schwanken die Ketten der riesigen wartenden Kräne, deren Arme weit über das Dach der Volksbühne hinausragen, als wollten sie einen Heimkehrenden zur Begrüßung umarmen. Es ist der Tag, an dem das Räuberrad zurückkehrt.

Pünktlich um 10 Uhr erscheint ein Schwertransporter in Sichtweite des Theaters. Schon von Weitem sind Ansagen der Polizei vernehmbar, die Fahrzeuge aus dem Weg ordert. Denn sperrig wie einst das Programm der Volksbühne ist auch die Fracht des Tiefladers. Als der Platz erreicht ist, bricht wie auf Knopfdruck der Lichtregie die Sonne durch. Wenige Mitarbeiter der Volksbühne und Passanten bilden das Empfangskomitee.

Friedlich scheint das Rad zu schlummern, waagerecht festgezurrt, als wolle es noch etwas liegenblieben, bevor es wieder für Jahre stehen muss. Vielleicht gar Jahrzehnte? Das Terrain, auf das es zurückkehrt, war ein kulturpolitisches Schlachtfeld. Der Ablösung von Frank Castorf als Intendant folgte die Besetzung des Gebäudes durch Aktivisten. Nachfolger Chris Dercon hatte einen schweren Start: Hassmails im Postfach, Fäkalien vor der Bürotür, dünnes Programm. Der finanzielle Kollaps drohte, schließlich der Rücktritt.

Die Figur sollte beerdigt werden

1992 erblickte das Rad, das der Schweizer Bildhauer Rainer Haußmann einst nach den Plänen des Bühnenbildners Bert Neumanns gebaut hatte, als Requisit für Schillers „Die Räuber“ das Licht der Theaterwelt. Und Raub, das war auch der Ausdruck für das, was viele Berliner im Sommer 2017 empfanden. Der damalige Chefdramaturg Carl Hegemann hatte angekündigt, dass die Skulptur mit dem Ausscheiden Castorfs entfernt werde und das, obwohl sie einst aus öffentlichen Mitteln finanziert und längst zum Teil des Stadtbildes geworden war.

Das Räuberrad galt als Symbol der 25-jährigen Intendanz von Castorf an der Volksbühne und wurde gemeinhin als Metapher für den avantgardistischen Anspruch seines Theaters gewertet. Der Abbau konnte demnach auch als Akt des Protestes gegen den Nachfolger Chris Dercon gewertet werden.

Dem Vernehmen nach soll Castorf ursprünglich geplant haben, die Skulptur im Rahmen seiner Inszenierung des Stücks „Die Kabale der Scheinheiligen. Das Leben des Herrn de Molière“ beim letztjährigen Theaterfestival in Avignon zu zeigen und dort sogar öffentlich zu Grabe zu tragen. Doch die eigentums- und urheberrechtliche Zulässigkeit dieses Vorhabens war stets umstritten. Schließlich schlichtete Kultursenator Klaus Lederer, in dem er einer vorübergehenden Entfernung des Räuberrades zwar zustimmte, aber auch dessen Rückkehr anordnete.

Ein historischer Moment

Das es nun tatsächlich dazu kam, ist in wesentlichen Teilen dem persönlichen und finanziellen Engagement von Lenore Blievernicht-Neumann, der Witwe Bert Neumanns, zu verdanken. Im Zuge der Auseinandersetzung gründete sie die gemeinnützige Gesellschaft „Bert Neumann Association“, die sich der Erhaltung und der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Werkes ihres verstorbenen Ehemannes widmet. So sollen in Zukunft auch weitere, noch erhaltene Theaterrequisiten von Bert Neumann vor der Entsorgung bewahrt werden.

Über ein halbes Jahr war das Räuberrad in der Werkstatt der Metallfirma Haber & Brandner in Oberschöneweide nach den Maßgaben der sachverständigen Metallrestauratorin Marina de Fümel von der Stiftung Stadtmuseum restauriert worden. Für den Transport nach Frankreich zertrennte man das Kunstwerk zeitweise zwar in drei Teile, an der Optik hat sich aber nichts verändert. Nur die Statik wurde angepasst. Die Kosten in Höhe von 25 000 Euro trägt die Kulturverwaltung.

Brauchte es Ende Juni des vergangenen Jahres noch zwei Anläufe, um die Skulptur mit schwerem Gerät aus der Verankerung zu lösen, gestaltet sich die Rückkehr 15 Monate später bedeutend unkomplizierter. Innerhalb von Sekunden ist das Räuberrad aufgerichtet und schwebt am Kran über das dreieckige Grün des Rosa-Luxemburg-Platzes. Die alten Beine waren verrostet, zerfressen von Hundeurin, und so fallen die ersten Schritte auf den neuangeschweißten Füßchen offensichtlich noch schwer. Als müsste es das Laufen neu erlernen, stützen zwei Arbeiter das Werk auf seinem Weg zum Fundament. Mit acht großen Schrauben wird es auf Metallschienen fixiert. Um 10.30 Uhr ist es dann soweit: Nach exakt 452 Tagen steht das Räuberrad wieder an seinem angestammten Platz.

Die Gesichter der Anwesenden umspielt ein Lächeln. Als ein Stadtführer mit einer Schülergruppe um die Ecke biegt, stutzt er zunächst angesichts des Anblicks. Dann hebt er an: „Meine Damen und Herren, was sie hier sehen, ist nichts weniger als ein historischer Moment.“

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