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Kultur: Rächer und Stecher

Show und Politik: Hamburgs „Othello“ eröffnet das Berliner Theatertreffen

Horst Köhler hat die Falle aufgestellt, und Christina Weiss tappte brav hinein. Unverfälschte, werktreu aufgeführte Klassiker wünschte sich der Bundespräsident kürzlich auf einem Podium zum Schillerjahr, die Kulturstaatsministerin aber verteidigte am Freitagabend im Haus der Berliner Festspiele das böse, böse Regietheater – den Hamburger „Othello“, der das 42. Theatertreffen eröffnete. Die Debatten von gestern, nach denen höchstens noch der große Frankfurter Feuilleton-Hahn kräht, sind nun bei den Politikern angekommen.

Ein seltsames Land. Das deutsche Theater zeigt sich seit Jahrzehnten so reformfreudig, so unerschrocken und global wie kein anderer gesellschaftlicher Bereich. Besonders das Beispiel Schiller lehrt, dass die politische Bühne Ersatzhandlungen ausagiert, Scheinrevolutionen. Die Deutschen wollen nur spielen. Sie leisten sich eines der teuersten Theatersysteme der Welt, dessen Gipfeltreffen das Theatertreffen ist. In den Zeiten der Heuschrecke könnte man, wenn es denn unbedingt sein muss, dem Begriff Werktreue auch ganz andere Bedeutungen abgewinnen. Ob und wie die internationalen Geldoperateure angestammten Werken und ihren Arbeitern die Treue halten, das wäre eine Frage.

Stefan Puchers Shakespeare vom Deutschen Schauspielhaus: klarer Fall von Regietheater. Und eindeutig: Schauspielertheater. Das Eine gibt es nicht ohne das Andere. Und das war immer schon so. Als Peter Zadek 1977 seinen Hamburger „Othello“ beim Theatertreffen zeigte, mit dem schuhwichs-schwarzen Ulrich Wildgruber und der nackten Desdemona der Eva Mattes, führte geniale Regie grandiose Akteure zum Skandal. Längst passé. Nacktheit ficht keinen mehr an: Wenn Alexander Scheer das dunkle Soul- und Rapper-Tier aufführt, den Gangsta im goldenen Paillettenanzug, dann hat der Mohr seine Schuldigkeit getan. Scheer mimt die nackte Kanone, und der Abend gehört mal wieder Jago. Wolfram Koch spielt den berühmtesten Schurken der Theatergeschichte auf Nadelstreifenformat herunter. Jago könnte sich jetzt bei der heutigen FDP bewerben: Egal was, um an die Macht zu kommen, mach’ alles. Wie ruhig er seine demagogischen Züge erklärt. Politik ist Entertainment.

Man kapiert das schnell. Puchers „Othello“ ist auf dem Weg zum Shakespeare-Videoclip – und bleibt stecken. Keine Frage, die Qualität der Videoeinspielungen ist enorm. Wie sich das elektronische Bild auf der raumschiffartigen Drehbühne von Barbara Ehnes ausbreitet, wie es diffundiert in den Theaterraum. Es sind eben keine Einspielungen mehr, sondern musikalisch-rhythmisch integrierte Elemente. Wo früher der Chor war, ist heute Video. Und aus den Schalltrichtern des antiken Theaters ist das Mikroport geworden.

Das Problem bei Pucher: Er legt die Szenen, die Monologe auf wie ein DJ. Und die Geschichte bleibt unverbunden. Es wird langweilig, wenn die Rodrigos und Cassios bloß lächelnde Marionetten Jagos, wenn der Doge und die Honoratioren vertrottelte Altherrenspieler sind. Wer hat hier die Macht? Ein Stratege wie Jago müsste in einer solchen geriatrischen Veranstaltung wie diesem Stadtstaat längst Diktator sein.

Oberflächlichkeit ist ein schwieriger Vorwurf, wenn der Regisseur nichts anderes will, als Oberfläche zu zeigen: Krieg als Show, Grausamkeit im Glamourkleid. Apropos: Desdemona in kurzen Lederhosen, mit blonder BDM-Tolle (Kostüme: Annabelle Witt), sieht einfach ein bisschen blöd aus. Muss sie sadomaso sein, um sich mit einem Superstecher wie diesem Othello zu amüsieren?

Die Mordszene („Hast du zur Nacht gebetet?“) als letzter Fick. Die schwarze Farbe färbt ab, wie einst bei Zadek. Die Stimmen kommen aus dem Off, Jana Schulz und Alexander Scheer turnen wie zwei indisponierte Pornodarsteller auf dem Präsentierteller herum, lustlos und zwanghaft. Das ist vielleicht nicht einmal werkuntreu, denn schon bei Shakespeare kapiert man die Liaison nicht so richtig. Der Barde hat gern die niederen Publikumsinstinkte bedient: den Antisemitismus im „Kaufmann von Venedig“ und beim „Mohren von Venedig“ Exotismus und Rassismus. Vorsicht also! Wer Werktreue (zum letzten Mal jetzt, wirklich!) reklamiert, sollte wissen, was ihn da von Fall zu Fall erwartet. Zum Beispiel auch bei Andreas Kriegenburgs Münchner „Nibelungen“, die gestern ihre Theatertreffen-Premiere hatten (Bericht folgt).

Großer Beifall für die etwas harmlosen Hamburger, an einem kalten, verregneten Maiabend. Es kann nur besser werden in den nächsten Tagen, das Wetter.

Rüdiger Schaper

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