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Taschenspieler. Dirk Schönberger, 53, "Deutschlands bekanntester unbekannter Modedesigner".

© Alex de Brabant

„Purer Retro ist langweilig“: Modechef Dirk Schönberger über Provokationen, Punks und Polyester-Kleider

Seinetwegen tragen Promis Kunstleder. MCM-Designer Dirk Schönberger weiß, wie man Trends entfacht. Ein Gespräch.

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Potsdamer Straße 85, neunter Stock. Gegenüber vom Fahrstuhl hängt, übergroß und metallen wie der Bundesadler im Reichstagsplenarsaal, ein Firmenlogo: MCM. Hier, im früheren Redaktionsgebäude des Tagesspiegels, entwirft neuerdings Dirk Schönberger Damenhandtaschen meist für den asiatischen Markt.

Schönberger, 53, wurde von einer Zeitschrift „Deutschland bekanntester unbekannter Designer“ genannt. Er war Modeschüler in München und hatte ein eigenes Label in Belgien. Dann wurde er Chef-Designer von „Joop!“. Das war, als Wolfgang Joop längst ausgestiegen war. Modemarken sind heute wertvolle Hüllen, die sich unter wechselnden Besitzverhältnissen neu befüllen lassen. So ist das auch bei MCM. Das Münchner Unternehmen, das mit seinen mit Logos bedruckten und viel Gold verzierten Taschen für westdeutschen 80er-Jahre-Chic steht, ist mittlerweile koreanisch.

Im vergangenen Herbst hat die Besitzerin Sung-Joo Kim den Deutschen Schönberger als Chefdesigner engagiert. Der schaut jetzt in einer Ecke des Großraumbüros hinter einem Monitor hervor. Graublonde Haare. Weiche, jungenhafte Gesichtszüge. Schönberger ist Spezialist für peinliche Dinge. Bei Adidas, wo er zuvor war, war es ihm gelungen, einen Tennisschuh aus den 70ern, Modell Stan Smith, so wiederzubeleben, dass er zu einem der zentralen Produkte des Weltkonzerns wurde. Und das, obwohl weiße Schuhe über Jahrzehnte als unmöglich galten. Heute trägt Schönberger schwarze Lackschuhe.

Herr Schönberger, können Sie anhand des Stan-Smith-Turnschuhs erklären, wie sich ein internationaler Trend entfachen lässt?
Mit dem Modell hatte das Unternehmen immer Geld verdient, aber es wurde fast verramscht. Als erste Maßnahme haben wir den Schuh vom Markt genommen. Zwei Jahre lang konnte man keinen Stan Smith mehr kaufen.
Hat Ihre Arbeit noch etwas mit dem Bild des in seinem Atelier zeichnenden Modeschöpfers zu tun, wie ihn beispielsweise Yves Saint Laurent verkörperte?
Ich zeichne auch gern. Ich bin kein Künstler, nicht mal ein Taschen- oder Sneaker-Designer im engeren Sinn. Als ich zu Adidas kam, hatte ich im ersten Jahr richtig Panik, weil ich nicht gelernt hatte, Turnschuhe zu entwerfen. Bis ich merkte, darum geht’s nicht nur, sondern auch darum, eine Richtung vorzugeben.
Der Nimbus einer Modemarke speist sich auch aus der Firmenhistorie. Im Fall von MCM entstand das typische Design mit den aufgedruckten Logos in den 70ern, als der Gründer Michael Cromer in einem Hotel beobachtet hatte, dass Gäste mit Louis-Vuitton-Gepäck besser behandelt wurden. Nur wählte er Kunstleder. Eine charmante Hochstaplergeschichte wie aus einem Helmut-Dietl-Film. Herausstellen oder verschweigen?
Verschweigen ist nie gut. Und die Produkte von anderen erfolgreichen Marken sind ja aus dem gleichen Material, wie es MCM benutzt. Ich finde, auf den Hedonismus der späten 70er-Disco-Jahre, für den München damals stand, kann man aufbauen. Der war damals neu. Wie meine Mutter erzählt, war Genuss in den Köpfen der Menschen, die den Krieg miterlebt hatten, nicht drin. Doch purer Retro ist langweilig. Dieses Münchner Lebensgefühl muss man mischen mit dem Heute in Berlin. Deswegen habe ich unser Design-Büro hierher verlegt.

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Das Heute von Berlin ist, wenn man Schönberger anschaut, traditionell. Sweatshirt und Jeans sind schwarz, die alte Lieblingsfarbe der Autonomen und Subkultur-Größen, die die Mauerstadt geprägt haben. Jetzt zieht er einen neongelben Geldbeutel aus seiner Hosentasche, natürlich von MCM. Offenbar will Schönberger mit der grellen Farbe die Künstlichkeit des verwendeten Kunstleders noch betonen.

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Will man mit Mode heute noch guten Geschmack beweisen?
Wer bewusst auf schlechten Geschmack abzielt, hat man mich verloren. Ich glaube, dass man heute guten Geschmack nur nicht mehr mit Minimalismus gleichsetzen kann wie in den 90ern. Jil Sander, Helmut Lang, das ist zweifellos guter Geschmack. Aber das heißt nicht, dass Gucci, Balenciaga, MCM oder andere Marken das nicht sind. Das ist nur eine andere Idee, Menschen auszustatten.
Apropos geschmacklos: Wie fanden Sie das Kleid aus rohem Rindfleisch, das Lady Gaga 2010 beim MTV Music Award trug?
Eine Provokation. Aufmerksamkeitsstark, aber banal.

Model Heidi Klum mit MCM-Tasche.
Model Heidi Klum mit MCM-Tasche.

© ddp images / INSTAR

Sie besuchen jedes Jahr das Berliner Gallery Weekend. Liefert die Bildende Kunst gutes Material für die Mode?
Ich finde Galerien oft inspirierend. Problematisch wird es nur, wenn Kunst zum bloßen Bildelement für Mode wird.
Meinen Sie Jeff Koons, der die Mona Lisa auf Louis Vuitton-Taschen für 1990 Euro druckt?
Nicht nur die Mona Lisa, sondern auch andere ikonische Werke der Kunstgeschichte wie die Wasserlilien von Monet oder ein Südseemädchen von Gauguin, und mitten darauf die Nachnamen der Künstler in silbernen Buchstaben …
… wie Markennamen, was sie ja auch sind.
Ich finde, man sollte sich schon ein bisschen mehr ausdenken.
Rap-Musiker sind zurzeit die großen Promoter von Luxusmarken wie MCM.
Absolut. Kanye West oder Pharrell Williams sind komplett mit Luxusmode verschmolzen.

Wandelnde Werbefläche. Der französische Rapper Swagg Man liebt MCM.
Wandelnde Werbefläche. Der französische Rapper Swagg Man liebt MCM.

© AFP

Capital Bra, zurzeit Deutschlands Rapper mit den besten Charts-Platzierungen, reiht in einem Lied fast nur Markennamen aneinander: „Teurer Bentley, teure Uhr. Gucci-Hemd, Gucci-Uhr.“ Als Refrain brüllt er „teuer, teuer, teuer, teuer, teuer.“ Nirgends sonst wird noch so unbekümmert geprotzt wie in der Hip-Hop-Szene – auch mit Markenkleidern.
Wirklich gute Rapper bringen mehr. Sie haben Songstrukturen aufgelöst und die Musik in die Jazz-Richtung geöffnet. Das finde ich interessant.

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Dirk Schönberger ist sehr vorsichtig. Wolfgang Joop und Karl Lagerfeld, die großen deutschen Modemacher der vorhergehenden Generationen, waren vollmundiger.

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Joop sprach kürzlich von „Logomanie“, die zurzeit in der Mode grassiere. Können Sie mit der Einschätzung etwas anfangen?
Ich finde, wie gerade mit Logos umgegangen wird, sehr humorvoll, weil es teilweise so extrem geschieht: Riesenhafte Schriftzüge, die kaum auf die Kleidungsstücke mehr draufpassen.

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Was soll er auch anderes sagen als Verantwortlicher einer Marke, bei der alles um das Firmenzeichen kreist? Die Taschen, Anglerhüte, Rucksäcke im neuen, vom Schönberger initiierten „Experience-Store“ in der Torstraße sind voll mit MCM-Logos. Das Signet hatte übrigens der Firmengründer Cromer ursprünglich für den Friseursalon seiner Frau entworfen. Es stand für „Modern Coiffeur Munich“. Schönberger lebte damals noch im Rheinland.

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Was war in Leverkusen, wo Sie aufgewachsen sind, der Style der Stadt?
Es klingt gemein, und vielleicht stimmt es auch gar nicht, aber ich habe Bilder von Polyester-Kleidern in meinem Kopf. Sonst war es dort ziemlich grau. Von meinem Kinderzimmer aus sah ich das Bayer-Kreuz. Als ich älter wurde, setzte ich mich in den Zug und war in 15 Minuten in Köln, wo ich viel in Second-Hand-Läden kaufte. Mit 14 Jahren wollte ich Anzug tragen wie die Mods von „The Jam“.
Designer zitieren und variieren oft die Kleidungsstile der Subkulturen der 80er und 90er Jahre, eine Zeit, die Sie erlebt haben. Welcher Fraktion gehörten Sie an?
Keiner, weil es bedeutet hätte, gegen etwas anderes zu sein. Als Punk musste man Punk hören. Wenn man aber auch Pop mochte, wurde man verprügelt. Ich wollte Musik hören, die ich gut fand. Und das reicht von Kraftwerk über Punk zu den Pet Shop Boys und Jesus & Mary Chain mit ihren kreischenden Gitarren.

Lange hieß es, die Zeit der Jugendbewegungen sei vorbei. Doch mit „Fridays for Future“ gibt es wieder eine. Nur betreibt Greta Thunberg mit ihren geflochtenen Zöpfen eher Modeverweigerung.
Greta finde ich super: eine einzelne Person, die einen Stein ins Rollen bringt. Ich rede viel mit meinen Patenkindern, die zwischen 14 und 27 sind, und sage ihnen: ,Ihr müsst euch um den Klimawandel kümmern, ihr müsst auf die Straße gehen, wir können das nicht mehr tun.’ Dann antworten die total aggressiv: ,Ihr habt es versaut.’ Es dauert noch zwei Jahre, dann wird daraus eine Massenbewegung.

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Jetzt traut sich Dirk Schönberger doch noch, eine prophetische Aussage zu treffen, wie es sich für einen Modeschöpfer gehört. Nur was heißt das für MCM? Will Schönberger die Luxuswelle reiten, solange es noch geht? Eine seiner drei Mitarbeiterinnen, die mit am Tisch sitzen, meldet sich zu Wort: Schönberger müsse los. Gleich fliegt er nach Mailand, um Kunden zu treffen. „Vergangene Woche hatten wir in der Firma ein Meeting zum Thema Nachhaltigkeit“, sagt Schönberger dann doch noch. „Es reicht nicht, sich dazu zu bekennen.“

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Spielt Ihnen nicht in die Hände, dass Ihre Taschen aus Kunstleder sind: veganes Reisegepäck?
Da ist schon Leder dran. Wir sind und bleiben eine Lederfirma. Worauf es ankommen wird: Wo kommt das Leder her? Wie ist es gefärbt? Wir haben schon von PVC auf Polyuritan umgestellt, das ist schon mal sehr viel umweltverträglicher.

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