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Girl Friends. Gisella nimmt Marisol aus Kolumbien und Akeba aus Uganda auf.

© Nordlichter Film

Psychothriller im Kino: Einheimische versus Einwanderinnen: Was meins ist, ist nicht deins

WG-Stress auf Isländisch: "Tryggð“ erzählt von einer Journalistin, die arme Migrantinnen aufnimmt. Doch so leicht funktioniert gut sein nicht.

Hilfe zur Selbsthilfe. Der Entwicklungsdienst-Spruch trifft perfekt auf Gisella (Elma Lísa Gunnarsdóttir) zu. Nur anders als ursprünglich gemeint. Die Hilfsbereitschaft, die die Journalistin vor sich her trägt, fungiert als Ausgleich eigener Lebensdefizite.

Das offenbart „Tryggð“ (Die Kaution), das Kinodebüt der isländischen Filmemacherin Ásthildur Kjartansdóttir, weniger durch seine Geschichte, die die angespannte Seelenlage der Heldin erst allmählich entfaltet. Sondern durch eine herbstliche Kühle, die die elegante Bildsprache verströmt.

Kündigen ist cool, nur was wird mit den Schulden

Im von den Großeltern geerbten Haus, das Gisella in Reykjavik bewohnt, dominieren gediegenes Holz und gedämpfte Farben. Immer wieder verharrt der kontemplative Kamerablick von Ásgrimur Guðbjartsson im Halbschatten wohlgeordneter Räume. Da erscheint es wie ein Aufschrei, als Gisella dem Chef die Zeitung mit ihrem Artikel auf den Schreibtisch knallt, den er einfach so umgeschrieben hat. Wie hoch sie verschuldet ist, fällt ihr erst nach der Kündigung wieder ein.

Dankbar übernimmt sie daher den Auftrag, eine Reportage über Migranten zu schreiben. Als sie dabei in einer Unterkunft am Hafen zwei Frauen aus Kolumbien und Uganda kennenlernt, lädt sie diese zu sich ein. Gutes tun, Miete einnehmen und die Rechercheobjekte direkt ausfragen können, das sind drei Fliegen mit einer Klappe. Kein Gedanke an die ethische Fragwürdigkeit der vermeintlich philanthropischen Tat.

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Anfangs herrscht in der WG mit Marisol (Raffaella Brizuela Sigurðardóttir), Akeba (Enid Mbabazi) und deren Tochter Luna (Claire Harpa Kristinsdóttir) noch kuscheliger Gemeinsinn, doch der verfliegt schnell. So konkret hat Gisella das Teilen ihrer Habe doch nicht gemeint.

Ihre Hausregel, die Herrenbesuche und langes Duschen verbietet, lässt die Spannungen eskalieren. Den Psychokrieg beherrschen die im Überlebenskampf trainierten Einwanderinnen besser als die Hausherrin. Nur, dass die Isländerin qua Geburt den entscheidenden Joker hat.

[Im Berliner Kino Acud, danach im Union Filmtheater]

Der klaustrophobische Feind-im-eigenen-Heim-Thriller könnte etwas mehr Tempo, Profil und Schärfe vertragen. Statt den im Thema angelegten und filmisch angerissenen bitteren Befund struktureller Ungleichheit zu untermauern, verliert sich „Tryggð“ zunehmend im allgemein menschlichen und kommunikativen Versagen, das schon viele Wohngemeinschaften zerstört hat.

Was auch daran liegt, dass die beiden Migrantinnen zu wenig biografischen Hintergrund bekommen. Statt Empathie, wächst Neid. Die von ihrem Freund verlassene und ums Geld gebrachte Gisella schielt auf Akebas verliebte Zweisamkeit mit deren Freund.

Akeba argwöhnt, dass die verhinderte Mutter Gisella ihr die Kontrolle über Tochter Luna entreißen will. „Kauf sie nicht“, schleudert Akeba Gisella einmal wütend entgegen. Was die Isländerin in materieller Hinsicht auch gar nicht tut, in der Währung Zeit und Aufmerksamkeit aber schon. Da wird sie plötzlich spürbar, die Brisanz, die „Tryggð“ haben könnte.

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