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Regisseur Claus Peymann auf dem Dach des Wiener Burgtheaters.

© David Rigaud

Provokativ, revolutionär, sozialkritisch: Ausstellung widmet sich dem Reizthema Regietheater

Das Deutsche Theatermuseum München erzählt die Geschichte des deutschsprachigen Regietheaters vom Deutschen Kaiserreich bis zur Wiener Peymann-Epoche.

Für den Regisseur Peter Stein ist Peter Zadek „einer meiner Meister“, und er definiert in einem Nachruf auf den genialen Kollegen zugleich, was großes Regietheater ausmacht: Zadek habe versucht, die Texte der Autoren, die er inszenierte, „bei absoluter Akzeptierung der Autorschaft und sich selber absolut als Interpret verstehend, so weit zu dehnen, dass man im Text selber Lücken fand, um mit der eigenen Fantasie hineinzukommen. Aber eben immer mit Respekt vor dem Autor und dem Text.“

Im Eingangsbereich des Deutschen Theatermuseums am Münchner Hofgarten lockt die Ausstellung „Regietheater“ mit alten Schlagzeilen, die ihr Thema als „Provokation“ beleuchten. Da geht es um die Frage „Regisseur oder Dompteur“ bis zur Forderung nach dem „Kopf des Intendanten“.

Die Schau selbst bietet ein Füllhorn dessen, was innovative Regie darf. Ausgeschlossen ist hemmungslose Aktualisierung. Regietheater, dieses Reizthema in der deutschsprachigen Theatergeschichte und ihres Publikums – hier wird es nicht als Kontrast zu einem konservativen Begriff der Werktreue vorgeführt, sondern als Konsequenz aus der historischen Veränderlichkeit der Werke.

„Es geht allen um diese Version von Schiller für dieses Theater in diesem Moment“. So äußert sich Peter Zadek zu seiner legendären „Räuber“-Inszenierung 1966. „Klassikerbefragung“ nennt Intendant Kurt Hübner die vermeintliche „Werk-Untreue“ am Bremer Schauspiel jener Tage.

Vadim Glowna als leidenschaftlicher Karl Moor in die „Räuber“

Wer aber weiß heute noch, dass der junge Vadim Glowna ein bezwingender Bühnenschauspieler war? Auch er gehört in diese „Räuber“-Produktion, die sich in der artifiziellen Roy-Lichtenstein- Adaption des Bühnengestalters Wilfried Minks abspielte. Wie der 25-jährige Glowna den Monolog des Karl Moor spricht, leidenschaftlich, ekstatisch und besonnen, das zeigt beispielhaft in Bild und Ton, dass Regietheater zugleich Schauspielertheater ist: „Dieses Opfer bin ich selbst.“ Ein Fixpunkt der Ausstellung.

Peter Zadeks Inszenierung von „Die Räuber“, 1966, mit Roy-Lichtenstein-Bühenbild.
Peter Zadeks Inszenierung von „Die Räuber“, 1966, mit Roy-Lichtenstein-Bühenbild.

© Gabriele Pagenstecher, AdK Berlin, Smlg. Gauker

Der 1968er Generation, vertreten durch Peter Zadek, Claus Peymann und Peter Stein, wird gern die Initialzündung für das Regietheater auf den deutschsprachigen Bühnen zugeschrieben. Ein Theaterskandal aus dem Jahr 1919 indes hat sich in die Kulturgeschichte Berlins eingebrannt: Leopold Jessner stellt als seine erste Inszenierung am Preußischen Staatstheater seinen „Wilhelm Tell“ mit Fritz Kortner in der Rolle des Gessler vor.

Das Stück spielt nicht vor der erwarteten Alpenkulisse, sondern auf der berühmten „Jessnerschen Treppe“. Tumulte im Zuschauerraum eskalieren, Polizeieinsatz wird nötig, um die Fortsetzung der Aufführung zu garantieren. Am Ende bricht Jubel aus.

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Zu den Schätzen der Schau, die Claudia Blank, Direktorin des Museums, unter Mitarbeit von Petra Kraus kuratiert hat, gehören im Hauptraum originale Bühnenbildentwürfe von Caspar Neher, Theo Otto, in seiner Wandlungsfähigkeit zwischen den Intentionen der Regisseure, bis zu Karl-Ernst Herrmann und Achim Freyer. In dieser Gemäldegalerie ist auch der Poet der dunklen Stufenbühne zu entdecken: Emil Pirchan mit seinen Arbeiten für Leopold Jessner.

Generationskonflikt zwischen Otto Brahm und Max Reinhardt

„Eine deutsch-österreichische Geschichte“, wie sie die Ausstellung über das Regietheater erzählen will, handelt von Übervätern und Rebellen der Bühne, beginnend mit dem Generationskonflikt zwischen Otto Brahm und Max Reinhardt. Das Drehbühnen-Modell zu dessen „Sommernachtstraum“ in Berlin 1905 rotiert auf einer Säule wie eine Aufforderung zum Tanz.

Denn am Anfang des Regietheaters steht das Theater als Fest, als Sinnenlust, dem die politisch-sozialen Sinngebungen später folgen. Ein exemplarisches Regiebuch Reinhardts zu Büchners „Danton“, das eine Wand im Museum in Vergrößerung beherrscht, gehört übrigens dem Institut für Theaterwissenschaft der FU Berlin, einem der zahlreichen Leihgeber der Schau.

Sie hat Lücken. Alles zu umfassen, wäre eine uferlose Intention. Dass aber unter anderen ein Theaterkünstler wie Bert Brecht fehlt, ist schwer verständlich. Zu schweigen von Frauen am Regiepult. In Kauf zu nehmen ist, dass das Musiktheater ausgespart wird.

Und damit Bayreuth, seit Wieland Wagner ein Ort für Regietheater par excellence. Und für Aufführungen, die heftiger bekämpft wurden als irgendwo, um nach wenigen Jahren Kult zu werden. Als Ehrenrettung für Vermisstes bietet sich eine Kette großformatiger Bühnenansichten in Dauerschleife an, die Frank Castorf und Christoph Schlingensief einschließt.

„Hamlet“, Aufführung von 1909, Regie Max Reinhardt und Bühnenbild Fritz Erler.
„Hamlet“, Aufführung von 1909, Regie Max Reinhardt und Bühnenbild Fritz Erler.

© Theaterwissenschaftliche Sammlung der Universität Köln

Peter Stein steigt als Assistent Kortners in München auf. „Regiegenerationen“ sollte die Ausstellung ursprünglich heißen. Akribisch, con amore arrangiert, führen gestaltete Fotowände und Modelle durch provozierendes und selbstbewusstes Theater, das heute Geschichte ist. Ulrich Wildgruber als Othello in Zadeks Hamburger Inszenierung 1976: Der mit Theaterfarbe angestrichene Titelheld drückt seine braunen Farbspuren auf den hellen Körper der Desdemona von Eva Mattes.

Man erlebt die wunderbare Zeit der Schaubühne mit Edith Clever und Chor in Steins „Orestie“ von 1980 oder den „Sommergästen“ von 1974 im echten Birkenwald, nicht zuletzt „Peer Gynt“ von 1971, diesen spektakulären Wurf und Publikumsmagneten mit Bruno Ganz, Jutta Lampe und Werner Rehm. Unvergessliches Schauspielertheater: in einem Filmausschnitt Gert Voss in seiner wohl berühmtesten Rolle als Richard III. in Peymanns Inszenierung am Burgtheater.

Das ist nun schon die alte Wiener Peymann-Epoche, vorbei. Es ist in jedem Fall lohnend, sich Zeit zu nehmen für die Vielfalt, die sich unter dem unscharfen Begriff Regietheater findet. Deutlich wird aber auch, dass die szenische Darstellung als autonome Leistung der Regie vergänglich ist. Ebenso wie der Inszenierungsstil aus der Entstehungszeit der Werke. Mal schauen, wie die Zukunft sie neu befragen wird.

Bis 11. April 2021, Deutsches Theatermuseum München. Im Begleitbuch zur Schau breitet Claudia Blank ihr immenses Material über das Thema aus, einschließlich einer spannenden Erweiterung um das „Düsseldorfer Manifest“; erschienen im Henschel Verlag, 38 Euro.

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