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Gibt es feministisch akzeptable Prostitution? Die Prostitutionsdebatte zerreißt Europa.

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Prostitutionsdebatte: Glanz und Elend der Kurtisanen

Schützt der Staat Frauen, wenn er die Freier hart bestraft? Gibt es feministisch akzeptable Prostitution? Die Prostitutionsdebatte zerreißt Europa.

„Ich tue mich schwer, sie zu verstehen, und sie verstehen mich kaum“, sagte vor mehr als zehn Jahren die schwedische Gleichstellungsministerin Margareta Winberg nach einem Deutschland-Besuch. Drei Jahre zuvor war in Schweden das „Gesetz zum Verbot des Kaufs sexueller Dienstleistungen“ in Kraft getreten, das historisch erste, das Prostitution über die Bestrafung der Nachfrage, also der Freier, beenden wollte. Gleichzeitig hatte die erste rot-grüne Bundesregierung in Deutschland ein ebenso umstürzlerisches, aber entgegengesetztes Projekt begonnen: die Verwandlung von Sexarbeit in Arbeit schlechthin, mit Krankenversicherung und möglichst ungefährlichen Arbeitsplätzen.

Warum diese Sprachlosigkeit zwischen den kulturell und geografisch nahen Schweden und Deutschen, ja sogar innerhalb der sozialdemokratischen Familie? Die schwedische Sozialwissenschaftlerin Susanne Dodillet, die über das Thema in beiden Ländern gearbeitet hat, erklärt das mit unterschiedlichen Konzepten vom Sozialstaat: Obwohl beide Gesetze auf Initiative von Grünen und Linken zurückgingen, feministisch inspiriert waren und erklärtermaßen darauf zielten, die Lage von Prostituierten zu verbessern, wurzle das deutsche in einer libertären Vorstellung, nach der der Wohlfahrtsstaat Zugang zu „Ressourcen und Freiheiten“ schafft, damit man wählen kann, wie man leben will. Das „kommunitäre“ schwedische Modell dagegen gebe dem Staat das Recht, moralisch zu entscheiden und nur solche Lebensentwürfe zuzulassen, die er für erstrebenswert erklärt.

In Paris demonstriert eine Prostituierte Ende November für die Normalität ihres Berufs. „Huren ohne Kunden“, steht auf ihrem Schild, "suchen eine Stelle bei der "Regierung".
In Paris demonstriert eine Prostituierte Ende November für die Normalität ihres Berufs. „Huren ohne Kunden“, steht auf ihrem Schild, "suchen eine Stelle bei der "Regierung".

© Joel Saget/AFP

In Frankreich soll ein neues Gesetz Freier für jedweden bezahlten Sex bestrafen

Mehr als zehn Jahre und ein paar Wahlen weiter tut sich der Riss jedoch nicht mehr nur entlang von Landesgrenzen auf, er geht mitten durch mehrere europäische Gesellschaften. In Deutschland bereitet die große Koalition in Gründung gerade eine Reform der Reform von damals vor, um die „Auswüchse“ der Legalisierung zu beschneiden, wie schwarze und rote Fachpolitikerinnen unisono versichern. Der Kauf von Zwangsprostitution soll unter Strafe gestellt werden. Und Frankreichs Nationalversammlung stimmte am Donnerstag in erster Lesung für einen Text, der noch deutlicher Maß am schwedischen Modell nimmt: Das Gesetz bestraft Freier für jedweden bezahlten Sex mit 1500 Euro, im Wiederholungsfall mit der doppelten Summe, und droht ihnen alternativ Umerziehungskurse an.

Die französische Grünen-Politikerin Esther Benbassa hat den Riss selbst erlebt: Ein Jahr lang, sagt sie, habe sie mit der jetzigen Frauenministerin Najad Vallaud-Belkacem gegen Sarkozys Verbot der Straßenprostitution gekämpft, das die Huren kriminalisierte. Jetzt steht Benbassa gegen die Mitstreiterin von einst, die ihrerseits viele konservative Stimmen hinter sich weiß. Benbassa, Mitglied im Senat, der zweiten Parlamentskammer, und Professorin an der Sorbonne, hat eine Gegeninitiative gestartet; das Gesetz der sozialistischen Regierung hält sie für reine Heuchelei.

Nach dem spektakulären Fall von Dominique Strauss-Kahn, der bis zu seiner New Yorker Vergewaltigungsanklage als aussichtsreichster Präsidentschaftskandidat galt, hätten die Sozialisten beweisen wollen, „dass sie nicht alle so sind“, sagt Benbassa. Opfer würden dabei die Sexarbeiterinnen. Das seien nicht nur Zwangsprostituierte, sondern auch Frauen in den Vorstädten, deren Körper ihr einziges Kapital sei, oder vom Dorf, die zwei Tage pro Woche in die Stadt zögen, weil ihre Kinder nichts zu essen haben. „Die Regierung verspricht, ihnen beim Ausstieg zu helfen. Das Geld dafür ist aber noch nicht zu sehen. Und was ist mit den Frauen, die gar nicht mehr aussteigen können, weil sie dafür zu alt sind?“ Benbassa ist als Feministin und Migrantin empört. Das Ganze sei eine Klassenangelegenheit. Statt Elend zu bekämpfen – „ich wäre als Erste dabei“ – bekämpfe man dessen Symptome wie im 19. Jahrhundert mit Moralgesetzen. „Diese sogenannten Feministinnen sitzen in ihren Häusern und fühlen sich jetzt besser.“ Das Gesetz, dem jetzt schon nur die Hälfte der Nationalversammlung zugestimmt habe, werde spätestens in der zweiten Kammer, dem Senat, scheitern.

Tatsächlich fehlten bei der Abstimmung am Donnerstag auffallend viele Abgeordnete. Außerhalb des Parlaments machen Intellektuelle gegen das Gesetz mobil. Die Philosophin und Frauenrechtlerin Elisabeth Badinter sprach sich dagegen aus, und im November lancierten der Schriftsteller Frédéric Beigbeder und einige Mitstreiter aus der Kulturszene das „Manifest der 343 Schweine“. Ob hetero, schwul, monogam oder promisk, heißt es darin: „Wir sind Männer. Das macht uns noch nicht zu Frustrierten, Perversen oder Psychopathen, als die uns die Partisanen einer Repression beschreiben, die sich als kämpferischer Feminismus verkleidet.“ Man sei gegen Gewalt, Ausbeutung und Menschenhandel, aber für  „Freiheit, Literatur und Intimität“.

Was ist mit dem Recht der Prostituierten auf ihren Körper?

Der Text erntete in Frankreich Spott für sein Freiheits- und Männlichkeitspathos. „Die alte Leier“, sagt zum Beispiel Esther Benbassa. „Der Mann, der Sex wie Atemluft braucht, der an einer Frau angeblich nicht genug hat.“ Aber auch Wut war zu spüren: Beigbeders und seiner Genossen Schlachtruf „Lass meine Hure in Ruhe“ am Schluss des „Manifests“ zitierte eine berühmte antirassistische Kampagne der 80er Jahre, der Titel sogar die später nach Deutschland exportierte Abtreibungskampagne von 1971. Im „Manifest der 343 Schlampen“ hatten sich Französinnen dazu bekannt, dass sie Schwangerschaften abgebrochen hatten.

In einer Replik in „Le Monde“ verteidigte sich Beigbeder, ein wenig beleidigt, aber sichtlich klüger geworden, indem er neue Punkte ansprach: Was ist mit dem Recht der Prostituierten auf ihren Körper? Und was mit männlicher Prostitution, der hetero- wie der homosexuellen? Über sexuelles Elend werde „in dieser Nicht-Debatte“ überhaupt nie gesprochen und außerdem die Huren selbst nicht gehört, die eigentlich als einzige sprechen sollten. Und überhaupt habe der Austausch zwischen Freier und Hure, Lust gegen Geld, alles in allem wohl vor allem den Fehler, „nicht mehr der republikanischen Moral zu entsprechen“.

Eine Aktivistin der feministischen Femen demonstriert Ende November vor dem Berliner Großbordell Artemis gegen die Prostitution.
Eine Aktivistin der feministischen Femen demonstriert Ende November vor dem Berliner Großbordell Artemis gegen die Prostitution.

© Geisler-Fotopress

Womöglich liefert das nahe Frankreich so demnächst die Blaupause für die Debatte, die hierzulande beginnen dürfte, sobald aus der GroKo in Gründung eine Regierung geworden ist, die ihre Pläne umsetzt, auch diejenigen zum Prostitutionsgesetz. Wissen über das Feld der Sexarbeit, auch über Leben und Ansichten der Prostituierten hat sich ausreichend angesammelt, seit 1980 Pieke Biermanns Klassiker „Wir sind Frauen wie andere auch“ erschien, der die Stimmen der Prostituierten selbst einfing.

Prostituierte etwa zur Hälfte Mütter in festen Partnerschaften

Was man weiß, ist keineswegs eindeutig. Der Schmuddelromantik der entweder exotisch-attraktiven oder brutal ausgebeuteten hilflosen Hure in Literatur und Kino stehen Zahlen entgegen, die Prostituierte etwa als zur Hälfte als Mütter in festen Partnerschaften ausweisen und als Frauen, die Geld brauchen wie andere auch: zum Leben bei einem guten Drittel von ihnen, bei einem weiteren Zehntel zum etwas besseren Leben und bei etwa ebenso vielen wegen drückender Schulden – meistens ihrer Männer, wie die Soziologin Beate Leopold 2005 im Katalog zur Ausstellung "Sexarbeit" im Hamburger „Museum der Arbeit“ schrieb.

Vielleicht macht dann ein zweiter Blick auf die schwedische Pioniertat klüger. Entgegen vieler Behauptungen sei das Prostitutionsverbot durch Nachfragebestrafung kein Leuchtturm erfolgreicher Sozialpädagogik geworden, schreiben Susanne Dodillet und die Journalistin Petra Östergren, die die Folgen des Gesetzes vor zwei Jahren untersuchten.

Wer ohne ideologische Brille darauf schaue, müsse feststellen, dass es weder die Prostitution noch den Menschenhandel reduziert und auch Freier nicht abgeschreckt habe. Das Gesetz und die flankierenden Verbote als einzigartiges Politikmodell zu preisen, sei „entweder ignorant oder bewusster Betrug“.

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