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Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian zeigen bei der Programm-Pressekonferenz der Berlinale 2020 Teamgeist.

© Imago/Thomas Bartilla

Programm Berlinale 2020: Festivalleiter Carlo Chatrian will Brücken bauen

18 Bären-Kandidaten treten im Wettbewerb an, zwei aus Deutschland. Und so langsam wird auch das neue Profil der Berlinale erkennbar.

Von Andreas Busche

In der Ära Dieter Kosslicks dienten die Programm-Pressekonferenzen der Berlinale immer auch als Showbühne für den Chef. Mit Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek, der neuen Doppelspitze, verbindet sich nach 18 Kosslick-Jahren nicht zuletzt auch die Hoffnung auf eine andere Leitungskultur: fokussierter, sachdienlicher, mit inhaltlichen Schwerpunkten, die die Filmkunst wieder stärker in den Mittelpunkt rücken. 2020 ist das Jahr der Umbrüche und Jubiläen: neue Leitung, die Berlinale feiert 70. Geburtstag, das Junge Forum wird immerhin auch schon 50 Jahre alt.

Der gemeinsame Auftritt von Chatrian und Rissenbeek am Mittwochmorgen im Pressezentrum der Bundesregierung, überhaupt erst ihr zweiter in offizieller Funktion, gibt schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf den neuen Sound der Berlinale. Unaufgeregt, emphatischer im Reden über das Kino, weniger interessiert an einer thematischen Programmatik als an neuen filmischen Ausdrucksformen. „Wir möchten ein neugieriges Publikum“, sagt Chatrian nach einer kurzen Begrüßung auf deutsch. Keines, das vorgefasste Gewissheiten bloß bestätigt sehen will. „Wir sind keine Richter, sondern Gastgeber. Wir wollen Brücken bauen.“

Eine Mischung aus Bekanntem, Etabliertem und Neuentdeckungen

Die 18 Filme im diesjährigen Wettbewerb sind eine gelungene Mischung aus Bekanntem, Etabliertem und Neuentdeckungen. Aber auch eine deutliche Absage an den immer wieder ausgerufenen Konkurrenzkampf mit Cannes und Venedig: Nicht ein Hollywood-Film befindet sich unter den Kandidaten für den Goldenen Bären. Der einzige Film im Hauptprogramm, der nominell einen gewissen Glamour verströmt, ist Sally Potters „The Roads Not Taken“ mit Javier Bardem, Elle Fanning und Salma Hayek. Als Vertreterin des US-Independentkinos ist die hierzulande noch relativ unbekannte Regisseurin Eliza Hittman („Beach Rats“) in den Wettbewerb eingeladen worden. Ihr  „Never Rarely Sometimes Always“ ist einer von fünf Filmen von Regisseurinnen – etwas weniger als ein Drittel, es gibt also noch Luft nach oben. Bei der Schweizer Produktion „Schwesterlein“ führen sogar zwei Frauen, Stéphanie Chuat und Véronique Reymond, Regie.

Der Wettbewerb war das letzte Puzzleteil zum Verständnis von Chatrians überarbeitetem Berlinale-Konzept. Mitte Januar war bereits das 15 Filme umfassende Programm des neuen, zweiten Wettbewerbs „Encounters“ bekannt gegeben worden, der den veränderten Produktionsbedingungen Rechnung zu tragen versucht: mit einem Fokus auf kleinere, experimentellere Filme, die sich rein ökonomischen Marktgesetzen entziehen.

Diese vage Beschreibung gewinnt nun mit der Bekanntgabe der 18 Bären-Kandidaten im Hauptwettbewerb ein wenig an Kontur. Sally Potter, Kelly Reichardt, Christian Petzold, Philippe Garrel, Hong Sangsoo, Abel Ferrara, Tsai Ming-Liang und Rithy Panh sind etablierte Namen im Weltkino, sie alle gehören auch eher in die Tradition des Erzählkinos – wobei mit Panhs „Irradiés“ in diesem Jahr auch wieder ein Dokumentarfilm um den Goldenen Bären konkurriert.

Das Gesamtprogramm wurde gestrafft

Die Differenz zwischen Bären-Wettbewerb und „Encounters“ ist somit etabliert, inwiefern ein weiterer Wettbewerb aber auch das Gesamtprofil schärft, lässt sich schwer einschätzen. Im Moment macht es den Eindruck, als bediene sich Chatrian für seine neue Reihe bei möglichen Wettbewerbskandidaten (der Rumäne Cristi Puiu war schon für die Goldene Palme nominiert) und dem Forum (etwa mit Dauergast Heinz Emigholz). Filme, die das „narrative Kino herausfordern“, wie Chatrian sagt, gab es auf der Berlinale auch schon vor ihm; der kontroverse Doku-Hybrid „Touch Me Not“ gewann 2018 sogar den Goldenen Bären.

Die deutlichste Programmatik, auch wenn Chatrian und Rissenbeek sie ausdrücklich nicht also solche verstanden wissen wollen, ist die Reduzierung der Titel quer durch alle Sektionen. 60 Filme weniger als im Vorjahr laufen 2020 auf der Berlinale, wobei in der Retrospektive am meisten gespart wurde. Damit reagiert Chatrian auch auf den alten Vorwurf, die Berlinale würde ausufern.

Die Zahl von 340 Filmen sei, so Chatrian, aber auch nicht in Stein gemeißelt, man habe sich in diesem Jahr innerhalb des Kuratorinnenteams lediglich darauf geeinigt, die einzelnen Sektionen durch weniger Filme zu straffen. Womöglich hilft ein schmaleres Programm auch bei dem akuten Raumproblem am Potsdamer Platz, falls die Zahl der Vorführungen nicht erhöht wird. Die Wege zwischen den Kinos werden in diesem Jahr wieder länger werden, mit einer Verlagerung in Richtung Alexanderplatz, wo das Cubix als zweites Standbein fungiert.

Die beiden deutschen Filme im Wettbewerb

Mit den beiden deutschen Vertretern Christian Petzold und Burhan Qurbani, zwei alten Bekannten im Berlinale-Wettbewerb, wird auch das deutsche Kino durch zwei seiner aktuell interessantesten Regisseure vertreten. Petzold hat für die Adaption des „Undine“-Stoffes – nach seiner ambitionierten Anna-Seghers-Verfilmung „Transit“, die 2018 leer ausging – bei Ingeborg Bachmann Inspiration gefunden, die Hauptrollen spielen wie schon im Vorgängerfilm Paula Beer und Franz Rogowski. Qurbani („Shahada“, 2010) verlegt mit „Berlin Alexanderplatz“ Döblins Klassiker in die Gegenwart, Franz Biberkopf ist bei ihm ein afrikanischer Geflüchteter. Der dritte Film mit einem starken Berlin-Bezug ist „Schwesterlein“ mit Nina Hoss und Lars Eidinger, der im Milieu um die Schaubühne angesiedelt ist, Thomas Ostermeier spielt im Film sich selbst.

Und dann ist da noch „DAU. Natasha“ von Ilya Khrzhanovskiy und Jekaterina Oertel, das filmische Nebenprodukt der notorischen „DAU“-Installation um das geheime wissenschaftliche Institut der Stalin-Ära, deren Realisierung in Berlin 2018 krachend scheiterte. Chatrian verspricht ein beispielloses Kinoerlebnis: „Viele Filme dieses Jahr sind düster:“ Am anderen Ende des Spektrums befindet sich der Pixar-Film „Onward“ (ein Berlinale-Special): eine Erinnerung daran, so Chatrian, dass Kino auch 2020 nicht nur Technik ist, sondern auch Magie.

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