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Ein Mitarbeiter trägt Stühle aus den Sitzreihen des Zuschauerraums des Berliner Ensembles.

© Britta Pedersen/dpa

Probleme mit der Künstlersozialkasse: Wenn der Staat dich in der Krise nicht mehr als Kulturschaffende akzeptiert

Die Künstlersozialkasse ist für freie Kreative unentbehrlich. Weil sie nicht arbeiten können, droht in der Pandemie vielen der Verlust der Absicherung.

Eigentlich wollte Franziska Hauser im vergangenen Jahr auf Lesereise gehen, um ihr neues Buch „Die Glasschwestern“ vorzustellen. 30 Termine waren angesetzt. Pandemiebedingt konnte fast keiner stattfinden. Heute, sagt die 45-Jährige, die 2018 für den Deutschen Buchpreis nominiert war, wisse sie nicht einmal mehr, ob sie in Zukunft überhaupt noch als Autorin arbeiten könne. Denn der Staat möchte sie lieber arbeitslos sehen.

Als im September die verschobenen Termine ihrer Lesereise erneut abgesagt wurden, realisierte Hauser, dass ihr Erspartes aufgebraucht war. Schließlich hatte sie im Jahr der Pandemie mit künstlerischen Tätigkeiten und Soforthilfe lediglich 1000 Euro im Monat verdient – so lässt sich ein Berliner Leben nicht bestreiten. Schon gar nicht als zweifache Mutter, alleinwohnend, bei 800 Euro Miete. Früher unterrichtete sie Selbstverteidigung für Kinder, diesmal entschied sie sich, stundenweise Deutsch als Fremdsprache zu unterrichten. Nicht viel, bloß um 600 Euro im Monat dazuzuverdienen. Doch das war der Künstlersozialkasse zu viel.

Für freischaffende Kreative mit mageren Einkünften ist die Künstlersozialkasse (KSK) unentbehrlich. Sie ist es, die den knapp 200 000 freien Künstlern und Publizistinnen in Deutschland eine Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung ermöglicht. Wie Angestellte zahlen die Versicherten nur 50 Prozent der Beiträge. Die andere Hälfte tragen der Bund und die Unternehmen, die von der kreativen Arbeit profitieren.

Eigeninitiative wird bestraft

Gegen Ende des Jahres kontaktierte Hauser die Künstlersozialkasse und bat um eine Anpassung ihrer Versicherungsbeiträge. Mit diesem Ansinnen war sie nicht allein. Nach Zahlen der KSK, die dem Tagesspiegel vorliegen, machten seit dem 12. März 2020 mehr als 65 000 Versicherte von der Möglichkeit der Einkommensanpassung Gebrauch, da ihre finanziellen Einbußen zu groß waren.

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In diesem Zuge gab die Autorin pflichtbewusst ihre neuen Nebenverdienste an. Kurz vor Weihnachten erreichte sie ein Antwortschreiben: Franziska Hauser sei nun „versicherungsfrei“. Lediglich die Rentenversicherung könne bei der KSK weiterhin erfolgen. Die Begründung: „Sie üben eine nichtkünstlerische Tätigkeit mehr als geringfügig aus.“ Hatte Hauser zuletzt 230 Euro im Monat an die KSK überwiesen, sollte sie nun einen Betrag von 160 Euro an die Rentenversicherung entrichten und zusätzlich gut 220 Euro Krankenversicherung an eine Kasse ihrer Wahl. Das war die versprochene staatliche Unterstützung für notleidende Kreative? Im Gegenteil, sagt Hauser, so werde Eigeninitiative bestraft.

Auf ihre telefonische Nachfrage, ob die KSK nun die Pandemie nutzen würde, alle Künstlerinnen und Künstler rauszuwerfen, antwortete eine Sachbearbeiterin am Telefon: „Die sind doch ohnehin alle beim Jobcenter. Da sollten Sie auch hingehen.“ Oder eben den Beruf wechseln. In ihrer Verzweiflung flehte Hauser in den Hörer: „Ich bin Schriftstellerin und keine Lehrerin.“ Es nütze nichts. Zudem müsse sie sich auf Nachforderungen durch die Künstlersozialkasse gefasst machen. Der erste Tag des Jahres war der erste Tag, an dem der Staat Franziska Hauser nicht mehr als Künstlerin anerkannte.

Die Autorin Franziska Hauser.
Die Autorin Franziska Hauser.

© Dirk Skiba

Geltendes Recht wird weiterhin umgesetzt

Auf Nachfrage bestätigte nun die Künstlersozialkasse, dass Versicherte auch in der Krise nicht mehr als 450 Euro pro Monat aus nichtkünstlerischer Tätigkeit dazuverdienen dürfen, wenn sie weiterhin krankenversichert sein wollen. Auch in schwierigen Zeiten sei man dazu verpflichtet, die Bestimmungen gesetzeskonform umzusetzen. Es sei allerdings eine unzutreffende Darstellung, dass reihenweise Versicherungsverhältnisse auf Grund der aktuellen Verschlechterung der Einkommenssituation von Kunstschaffenden einseitig beendet würden. Erzwungenen Tätigkeitsunterbrechungen würden nicht als Tätigkeitsaufgabe betrachtet.

So habe die Kasse seit Beginn der Pandemie in gut 1000 Fällen eine Ratenzahlung ausstehender Versicherungsbeiträge bewilligt. In weiteren 650 Fällen eine Stundung. Keine Auskunft konnte die KSK hingegen darüber geben, ob es im Zuge der Corona-Pandemie zu einem Anstieg der Versicherungskündigungen wegen definitiver Beendigung der Berufstätigkeit gekommen ist. Dem Vorwurf, dass sie nun „unliebsame Künstlerinnen und Künstler los werden“ könne, widerspricht die KSK auch gegenüber dem Tagesspiegel entschieden. Das geltende Recht werde lediglich auf alle gleichermaßen angewendet.

Die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Simone Barrientos, die sich nach den KSK-Versicherten erkundigte, zeichnet ein düstereres Bild. Im vergangenen Jahr mussten demnach knapp 3000 Künstlerinnen und Publizisten aufgrund der Regularien ohne Krankenversicherung bei der KSK auskommen. Bei 10 000 Betroffenen löste die Kasse bis zum 30. November Vollstreckungsverfahren wegen rückständiger Beiträge aus.

32,5 Millionen Euro zusätzliche Bundesmittel

„Die Zahlen zeigen, dass sich die Lage der Betroffenen seit Beginn der Coronakrise existenziell zuspitzt“, sagte die kulturpolitische Sprecherin der Linken gegenüber „Neues Deutschland“. Ich bin erschüttert, dass in einem der reichsten Länder der Welt so prekäre Verhältnisse zugelassen werden.“

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales weist auf Anfrage des Tagesspiegel hingegen auf zahlreiche Maßnahmen im Sinne der Versicherten hin. So sei etwa für das Jahr 2020 die jährliche Mindesteinkommensgrenze von 3900 Euro für KSK-Mitglieder ausgesetzt worden. In Anbetracht des Fortdauerns der Corona-Pandemie bis weit in das Jahr 2021, werde derzeit eine Aussetzung der Grenze auch für dieses Jahr geprüft. Zudem seien 32,5 Millionen Euro zusätzliche Bundesmittel für die Künstlersozialversicherung zur Verfügung gestellt worden.

Allerdings dürften auch die starken Belastungen für die Kulturbranche durch die Corona-Pandemie nicht dazu führen, notwendige Grundanforderungen zur Künstlersozialversicherung aufzugeben, argumentiert das BMAS. Zentral sei dabei die Ausübung einer erwerbsmäßigen und nicht nur vorübergehenden künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit.

In Zukunft lieber lügen?

Neuerdings, so berichtet Franziska Hauser, begegnen ihr in Supermärkten häufiger Schauspieler, die an Kassen arbeiten oder Regale einräumen. Sie hingegen gibt noch nicht auf und ging zu einer Beratungsstelle. Ein Satz blieb hängen: „Wovon sie leben, interessiert die KSK nicht.“ Befreundete Kulturschaffende rieten ihr, in Zukunft einfach zu lügen. Es sei der einzige Weg, um als Künstlerin oder Künstler in der KSK versichert zu bleiben.

Doch sie entschied sich für einen letzten Widerspruch. Darin musste die Autorin nun versprechen, 2021 nicht mehr als 450 Euro aus nichtkünstlerischer Tätigkeit einzunehmen. Das fühle sich an, als ob sie die pandemische Realität verbiegen müsse, sagt Hauser. All das erinnere sie an ein bekanntes Brettspiel, dessen Ziel es ist, alle in die Insolvenz zu treiben, die sich nicht zu wehren wissen.

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