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Spiegelspiele. Holger Stockhaus als Hofmeister in Petras’ Lenz-Inszenierung.

© Barbara Braun/drama-berlin.de

Premierenmarathon: Klamauk und Orgie

Armin Petras verabschiedet sich nach sieben Jahren als Intendant des Gorki-Theaters aus Berlin - mit einem fünftägigen Marathon-Spektakel.

Es soll zum Ende wieder ein Spektakel sein, wie am Anfang vor sieben Jahren. Wir wollen in Erinnerung bleiben, sagt Armin Petras. „Ein Mythos muss hergestellt werden.“ Da kann man die eingeschworene Petras-Familie freilich beruhigen: Der Mythos ist längst fertiggebastelt und lautet: Petras, der Mann mit der Mütze, macht das schnellste Stadttheater ever! Eigentlich könnte man also durchatmen, aber diese Option ist im Petras-Kosmos nicht vorgesehen. Ein Rennrad hängt in seiner Wohnung an der Wand.

Welche Wohnung? Selbst Schauspieler, die seit Jahren mit ihm arbeiten, wissen seine Adresse nicht. Petras macht ein Zisch!-Theater, und hat auch seinen Abschied so organisiert, einen Fünf-AbendeMarathon mit 17 Premieren, und alle Regiefreunde und maßgeblichen Hausregisseure machen mit: Peter Kastenmüller, Jan Bosse, Sebastian Baumgarten, Antú Romero Nunes. Der Vorteil: Es ist immer was los, die eine Inszenierung schwappt feuchtfröhlich in die nächste hinein, und die Besucherschaft wandert in Polonaisen gut gelaunt an Bratwurstständen vorbei von Bühne zu Bühne. Die Gefahr: Vor lauter Premierenwald erkennt man die einzelne Arbeit kaum noch. Denn die Grenze zwischen mitreißendem Zisch- und routiniertem Vorbeirauschtheater ist dünn.

Petras wechselt nach Stuttgart, weil er die 400 000 Euro mehr, die er für die Aufrechterhaltung des Betriebs vom Senat verlangte, nicht bekommen hat. Aber die schon mythisch gewordene, amüsant flockige Erzählweise des Hauses hat sich auch leergelaufen. Das zeigt am ersten Spektakelabend auch „Paparapupi oder der Aufstand der Sprache“, eingerichtet von Antú Romero Nunes mit Aenne Schwarz und Paul Schröder: ein surrealistisch anmutender Restaurant-Sketch, bei dem sich ein Gast und eine als Vogel verkleidete Kellnerin in die Verständigungswolle kriegen, weil das Wort Paparapupi alles und nichts bedeutet. Danach reinszeniert Sebastian Baumgarten den Text „In der Schlangengrube“ von Petras und Jan Kauenhowen, in dem er bewegende Monologe von Todkranken (die schon bei Baumgartens „Requiem“-Abend an der Komischen Oper verwendet wurden) mit dem Bericht eines Charité-Arztes über die Bildung von Tumoren kontrastiert, um das Ganze schließlich durch einen albernen Analogieschritt zur geschwürartig aufgeblähten Finanzindustrie ins Lächerliche zu ziehen.

Der ungarische Regisseur David Marton hat sich dazu entschlossen, statt einer Szene einen alarmierenden Text über die von Angst beherrschten Zustände unter der offen nationalistischen Orbán-Regierung in Ungarn zu präsentieren. Er beschreibt die perfiden Methoden, mit denen an den Schaltzentralen des ungarischen Kulturbetriebs regierungsnahe Nationalkünstler eingesetzt und Oppositionelle mundtot gemacht werden.

Petras selber ist mit einer Doppelpremiere dabei. Im Studio zeigt er den „Hofmeister“ von Lenz und eine Theaterversion von Judith Schalanskys Roman „Der Hals der Giraffe“. Abgesehen vom Thema Erziehung haben die beiden Stücke nichts miteinander zu tun, und über die aus dem Ärmel geschüttelte Klamaukorgie in historischen Kostümen des ersten Teils (Discomusik zum Menuett, Eischaumgematsche und Lacherabgreifen durch Dialekt) breitet man lieber den Mantel des Schweigens.

Höhepunkt des Abends ist der Auftritt Anja Schneiders als aus der Zeit gefallene Biologielehrerin Inge Lomark, die am Charles-Darwin-Gymnasium irgendwo in der ostdeutschen Provinz einer desinteressierten neunten Klasse die unsentimentalen Naturgesetze des Überlebens einbimst und dabei selbst Opfer ihrer biologistischen Weltsicht wird. Das Haar streng nach hinten gebunden und mit riesiger Brille auf der Nase, gelingt es Schneider mit sparsamsten Mitteln, aus den mit Verachtung durchtränkten Lesungen über „Vererbungslehre“ und „Naturhaushalte“ die Verlorenheit einer vereinsamten Frau hervortreten zu lassen. Ohne Mätzchen, ohne Musik – und fast ohne Videorauschen.

Wir werden euch vermissen. Möge die Bahncard 100 mit euch sein!

Abschlussspektakel täglich bis Sonntag, 16. Juni, ab 16 Uhr bis nach Mitternacht. Inszenierungen, szenische Lesungen und eine Lessing-Premiere auf Haupt- und Studiobühne, im Brinkmannzimmer, im Lichtsaal, im Collegium Hungaricum, im DHM , im Foyer, auf dem Vorplatz. Freier Eintritt beim Sommerfest am Sonntag ab 21 Uhr.

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