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Exzentriker. Die Weltreisenden lassen es auf der Bühne krachen.

© Christian Brachwitz

Premieren im Theater an der Parkaue: Was kostet die Welt?

Zwei Premieren im Theater an der Parkaue: „Die Reise um die Erde“ und „Mädchen wie die“ hinterlassen dringlichen Redebedarf.

Die Weltzeituhr hat schon bessere Tage gesehen. Umgekippt und stehengeblieben ragt sie aus blauem Nebel, um sie herum watscheln die Pinguine. Ein Bild wie aus dem Film „Planet der Affen“ – der Kopf der Freiheitsstatue, der aus dem Sand ragt. Tatsächlich wählt auch Regisseur Volker Metzler ein postapokalyptisches Setting für seine Inszenierung des Jules-Verne-Klassikers „Die Reise um die Erde in 80 Tagen“ im Theater an der Parkaue.

80 Tage! Das war zu Erscheinungszeiten dieses Fortschritts-Romans, 1873, ja noch Rekordgeschwindigkeit. Heute hat das globale Tempo bekanntlich ein bisschen angezogen, doch nicht nur deshalb misstraut Metzler einer heimelig-nostalgischen Abenteuerromantik. Ihm ist vor allem das Personal der Geschichte verdächtig, der Protagonist Phileas Fogg und seine Kumpel aus dem Londoner Exzentrik-Club. In denen erkennt der Schauspieldirektor der Parkaue einen Haufen reicher weißer Männer mit britischem Pass und obszönen Privilegien, für die es keine Grenzen und schon gar keine finanziellen Limits gibt. Was kostet die Welt?

Ein starker Zugriff. Der Stationen-Trip rund um den Globus findet bei Metzler zwar noch statt. Aber es bleibt ungewiss, ob sie nicht bloß noch Erinnerung dieser schrillen Kolonialherren ist, deren ruinöser Lifestyle den Planeten und mithin auch die deutsche Hauptstadt gründlich ins Verderben gerissen hat.

Ein hintersinniges, auch abgründiges Vergnügen

Einkaufswagen, Berge von Flaschenmüll und Kostüme aus Plastiktüten illustrieren die Kritik am Exzess-Kapitalismus eindrücklich. Die Exzentriker (Erik Born, Jakob Kraze, Johannes Hendrik Langer, Florian Pabst und Denis Pöpping) planen anfangs auf dem Weltzeituhr-Wrack ihr neues Clubhaus, beklagen die Ödnis ihres Daseins („Ach, jetzt muss man wieder zu Mittag essen wie jeder gewöhnliche Mensch!“), lassen sich Champagner mit Eis aus dem Eriesee kommen.

Und dazu rappen sie Zeilen wie: „Wir sind reich und du nicht, kauf dir mal ein neues Gesicht.“ Kaum verwunderlich, dass auch die Weltreise des rastlosen Mr. Fogg unter sehr westlicher Perspektive stattfindet. Egal, ob in Indien ein Elefant weggekauft wird oder in Nordamerika die Ureinwohner nur Kopfschütteln verursachen („Typisch Indianer, immer machen sie einem ein schlechtes Gewissen“).

Mit welcher Konsequenz Metzler diese frühe Sciencefiction in eine zeitgemäße Dystopie dreht, ist ein hintersinniges, auch abgründiges Vergnügen. Seine Inszenierung – empfohlen für Menschen ab 10 – bietet jedenfalls weit mehr Diskussionsstoff über die Vorstellung hinaus, als die Wahl des Stücks auf den ersten Blick hatte vermuten lassen.

Mobbing wegen eines Nacktfotos

Dringlichen Redebedarf hinterlässt auch „Mädchen wie die“, eine zweite Premiere an der Parkaue. Regisseurin Brigitte Maria Bertele lässt sie im wahrsten Sinne unschuldig beginnen, mit projizierten Bildern von Adam und Eva in paradiesischer Nacktheit. Mit dem Sprung in die Gegenwart einer Mädchenklasse an der Elite-Schule St. Helen ist es allerdings schnell vorbei mit der Unbekümmertheit.

Aus einem Paradiesapfel kann im Handumdrehen eine Wilhelm-Tell-mäßige Zielscheibe werden. Und aus einer jungen Frau ein Opfer. Unversehens ploppt während des Geschichtsunterrichts ein Nacktfoto von Scarlett im Klassenchat auf. Das Bild verbreitet sich in Windeseile. Und sorgt dafür, dass ein Shitstorm über Scarlett hereinbricht.

Gegen die Schmähkultur des Internets

Die Geschichte stammt vom kanadisch-britischen Autor Evan Placey, der mit „Mädchen wie die“ unter anderem den Writers Guild of America Award gewonnen hat. Seine Kritik richtet sich nicht nur gegen die Schmähkultur des Internets. Vor allem wirft Placey die Frage nach weiblicher Solidarität auf. Ziemlich plakativ zwar, wenn Vergleiche mit der Hackordnung im Hühnerhaus herhalten müssen. Aber das fängt Berteles Inszenierung wieder ein, die mit einem generationell gemischten Frauenensemble entstanden ist (Birgit Berthold, Melina Borcherding, Caroline Erdmann, Kinga Schmidt, Mira Tscherne und Nina Maria Wyss).

Spannender wird’s, wenn sich der Zeitbogen schließt, den das Stück in Rückblenden von 1928 über 1968 und 1985 schlägt. Scarlett, so erfahren wir, stammt aus einer Familie von kämpferischen Frauen, die stets ihren eigenen Weg gegen Widerstände gegangen sind. Geändert hat sich, dass der Kampf nicht mehr nur gegen die Männer geführt werden muss.

Weitere Vorstellungen: „Die Reise um die Erde“ am 4. 5; „Mädchen“ am 25./ 26 4.

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