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Julia Schubert versucht vergeblich die verschiedenen Plattformen ideologisch zu ordnen.

© Julian Röder

Premiere an der Volksbühne: Ballern bis zuletzt

Die unerträgliche Gleichzeitigkeit des Seins: Kay Voges inszeniert an der Volksbühne mit „Don’t be evil“ ein Stück über die Hasskultur im Netz.

Vielleicht ist der Mexican Standoff das treffendste Bild, um den Irrsinn des Internets zu beschreiben. Diese tödliche Pattsituation, in der alle mit gezückten Pistolen aufeinander zielen, und man weiß: Ballert der Erste los, bleibt keiner auf den Beinen. In den Filmen von Sergio Leone und beim Western-Fan Quentin Tarantino lässt sich diese Ausweglosigkeit kunstvoll inszeniert bewundern – und jetzt auch an der Volksbühne, wo Regisseur Kay Voges der Hasskultur im Netz nachspürt und der Frage, warum die sozialen Kanäle vor andauernder Erregungsbereitschaft glühen wie nie.

Eine probate Beschreibung für das Klima des Konfrontationsfurors haben Voges und seine Dramaturgen Ulf Frötzschner und Mattias Seier bei Thomas Mann gefunden, im „Zauberberg“: „Zanksucht. Kriselnde Gereiztheit. Namenlose Ungeduld. Eine allgemeine Neigung zu giftigem Wortwechsel, zum Wutausbruch, ja zum Handgemenge“. Stimmt schon. Auch digitale Scharmützel münden nicht selten in analoge Gewalt. Wo fing das an und wann?

Kay Voges, der designierte Intendant des Wiener Volkstheaters, hat seinen Abend „Don’t be evil“ getauft, nach dem Gründungskodex von Google. Aus dem sprach schon diese seltsame Mischung aus Tekkie-Messianismus und neoliberalem anything goes, mit der sich Branchenführer wie Facebook aus der Verantwortung stehlen, wenn es um die Eindämmung von Hetze geht. Der virtuellen Welt ist nicht die Unschuld verloren gegangen. Die gab es nie. Höchstens gute Absichten, die nicht gut genug waren.

In einer Szene dieses Stücks läuft ein Film, in dem sich Voges’ acht Schauspielerinnen und Schauspieler im Hedonisten-Look der späten 80er zu einer ziemlich tristen Fetisch-Party versammeln, während sie die „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“ von John Perry Barlow von 1996 zitieren: „Regierungen der industriellen Welt, ihr müden Giganten aus Fleisch und Stahl, wir kommen aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes.“ Ein Manifest der Kontrollverweigerung, das nur die Schöpferkraft des Geistes vor Augen hatte und nicht die weitverbreitete Geisteskrankheit.

Regisseur Voges ist kein technophober Zeitgenosse, im Gegenteil. Seine Arbeiten zielen seit Jahren darauf, das analoge Medium Theater mit den digitalen Möglichkeiten zu verlinken. Was noch immer Live-Kamera- und Videoeinsatz bedeutet. Die Mittel, wirklich virtuelle Welten auf der Bühne zu erschaffen, sind halt doch noch nicht ausgereift. Zuletzt hat Voges „Die Parallelwelt“ inszeniert, einen Abend, der sich simultan am Dortmunder Schauspielhaus und Berliner Ensemble abspielte und die Frage nach Identität im Zeitalter der menschlichen Reproduzierbarkeit aufwarf.

Die Schauspieler performen das Durcheinanderbrüllen im Netz

Die unerträgliche Gleichzeitigkeit des Seins ist, etwas anders gelagert, auch in „Don’t be evil“ wieder Thema. Etwa wenn die Schauspieler als Videoprojektion oder leibhaftig im Bühnenkubus von Michael Sieberock-Serafimowitsch das Durcheinanderbrüllen der Stimmen im Netz performen: Andreas Beck erzählt von den Koranverbrennungen des amerikanischen Fanatikers Terry Jones, Susanne Bredehöft ergeht sich in Gewaltfantasien („Ich schmeiß deinen Körper auf den Vorplatz der Volksbühne“), Manolo Bertling disst Rucola, Vanessa Loibl gibt die schrille Influencerin Fuffifuffzig, die allen Hatern zum Trotz ihre jüngste Single „Life is scheise“ vorträgt.

[Nächste Vorstellungen: 4., 6., 20. Oktober sowie im November und Dezember.]

Die Frontverläufe im digitalen Kampf der Kulturen sind längst nicht mehr klar. Pepe der Frosch, das Symbol der Alt-Right, kämpft gegen das queere Einhorn, okay. Aber sonst? „8chan steht für freie Meinungsäußerung, aber ist laut den Medien voller gewaltbereiter Nazis“, versucht Julia Schubert die Plattformen ideologisch zu ordnen: Reddit hingegen sei angeblich nicht rechtsverseucht, aber trotzdem tummelten sich dort die Identitären und die Incels, was für „Involuntary Celibates“ steht und unfreiwillig sexuell Enthaltsame bezeichnet, die ihren Frauenhass in die Kanäle krakeelen. Vielleicht wär’s besser, einfach abzuschalten.

Die „russischen Bonnie & Clyde“ kommen ebenfalls vor

„Don’t be evil“ navigiert sprunghaft zwischen dem Live-Suizid eines Teenie-Pärchens (die „russischen Bonnie & Clyde“, ein realer Vorfall) und Bertolt Brechts „Radiotheorie“, die Uwe Schmieder als Parkett-Kletterer unters Volk bringt.

Was wäre, so Brechts Frage, wenn es der Rundfunk verstünde, nicht nur zu senden, sondern auch zu empfangen, „also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen“? Die Antwort kennen wir heute. Dann wäre viel sinnlose Wut im Äther.

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