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Verdi dekonstruiert. Violetta Valéry (Natalya Pavlova) setzt sich an den Rechner.

©  Iko Freese

Premiere an der Komischen Oper: Verdis „La traviata“ im digitalen Zeitalter

Alte Mode, neue Medien: Die Regisseurin Nicola Raab setzt die schwindsüchtige Violetta an den Computer.

Schon lange vor dem eigentlichen Beginn erklingt Musik auf offener Bühne, Themen und Motive aus „La traviata“, nur angerissen, ins Gläserne gewendet, synthesizerverfremdet. Ist das bereits jene „dekonstruktive Neuinterpretation“, die die Komische Oper für diese Premiere von Verdis wahrscheinlich populärstem Werk versprochen hat? Zu sehen ist eine riesige transparente Wand, eine Art Paravant mit kleiner Tür, Licht strömt von hinten. Davor, in die Ecke gedrängt und ziemlich verloren, ein Computertischchen.

Regisseurin Nicola Raab will eine Inszenierung fürs Internetzeitalter schaffen. Für unsere Epoche, in der wir permanent Bilder von uns selbst fertigen und unsere Haut zu Markte tragen. Was ja an sich hervorragend passt zu einer Oper, in der eine Prostituierte die Hauptrolle singt. Damit nicht genug: Auch der Überbau, der Mythos „La traviata“, die Inszenierungsgeschichte seit der Premiere 1853, sollen aufgegriffen werden. Viel Stoff.

Als es dann tatsächlich losgeht mit der Musik – mit jenen spinnwebenfeinen Streicherfäden, die ab dem ersten Takt die Tuberkulosekrankheit der Violetta Valéry in Klang umsetzen –, setzt Generalmusikdirektor Ainars Rubikis Pausen zwischen die Phrasen, die so nicht in Verdis Partitur stehen. Auch dies Teil der „Dekonstruktion“? Seit Frank Castorfs Inszenierung von Verdis „La Forza del destino“ an der Deutschen Oper wissen wir, dass man Teile des Opernpublikum mit so etwas immer noch schocken kann. Doch die Ankündigung der Komischen Oper erweist sich als recht großspurig. Natalya Pavlova als Titelheldin setzt sich nur ein Mal an den Rechner, Bilder ihres Mieders erscheinen in Projektion auf dem Paravant. Offenbar soll alles Folgende als ihre Imagination verstanden werden, die epochentypische Mode mit Reifröcken für die Damen und phallischen Zylindern für die Herren (Kostüme: Annemarie Woods) nur als Zitat.

Die Kurtisanen akquirieren ihre Kunden online

Innerhalb dieser dünn legitimierten Rahmenhandlung schnurrt eine konventionelle Inszenierung ab. Einige Choristen schwenken während der großen Ballszene im dritten Akt leuchtende Handydisplays, Violettas Kurtisanen-Kolleginnen sitzen an Monitoren, wohl um neue Kunden zu akquirieren. Soll so Oper im digitalen Zeitalter aussehen? Das hat Kirill Serebrennikow mit seinem tippfreudigen „Barbier von Sevilla“ am gleichen Haus schon wesentlich überzeugender hingekriegt.

Bleibt also die Musik. Und die rettet den Abend ein Stück weit, allen voran der fast zu jugendlich wirkende, auf grau geschminkte Günter Papendell als Vater Giorgio Germont. Was für ein unglaublich mächtiger, ausdrucksstarker, balsamischer Bariton flutet da den Saal! In ihm steckt, aller Kraft zum Trotz, so viel Gefühl, dass er tatsächlich so etwas wie Verständnis für die Handlungsweise des Vaters wecken kann – der bekanntlich Violettas Lebensglück abwürgt, als er sie auffordert, ihrer Liebe zu seinem Sohn Alfredo zu entsagen. Wie Ivan Magrì diese Rolle, man muss schon sagen: in Angriff nimmt, ist  problematisch. Weil er im Dauerforcierungsmodus praktisch über alles hinwegwalzt, was Empfindung, Gefühl, Liebe sein könnte. Anders gesagt: Er schreit.

Eine frostige Stimmung macht sich im Saal breit

Natalya Pavlova hingegen macht ihre Sache sehr fein, ihr Sopran ist schlank, biegsam, klug dosiert, rötlich schimmernd. Als ein Tuch nicht wie vorgesehen vom Schnürboden fallen will, bleibt sie souverän, wie ein Menetekel wirkt das minutenlang nur halb im Raum hängende Textil dennoch. Seltsam, dass die Sänger so wenig Zwischenapplaus bekommen. Eine frostige Stimmung zieht sich an diesem Abend durch den Saal.

[Wieder am 13., 17., 20., 23., 25., 28. 12.]

Ainars Rubikis’ Dirigat ist uneinheitlich. Oft trifft er genau den richtigen Ton, mit mitreißend detaillierten Dynamikabstufungen. Manchmal aber knallt es nur heraus, und die eigentlich grandios komponierte Ballszene nach der Pause rutscht am Ohr vorbei – auch, weil Rubikis plötzlich alle Dynamikunterschiede einebnet. Zum Schluss doch noch kräftiger Applaus, enthusiastischer Jubel für Günter Papendell. Der kleine Computertisch ist da längst von der Bühne verschwunden.

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