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Lachender Tod. Tristan (Andreas Schager) geht heiter zugrunde.

© Monika Rittershaus

Premiere an der Berliner Staatsoper: Liebe ist ein dehnbarer Begriff

Daniel Barenboim und Dmitri Tcherniakov verlieren sich an der Berliner Staatsoper in Wagners „Tristan und Isolde“.

In jeder Oper Richard Wagners steckt ein unverdaulicher Kern, etwas, das nach flammendem Widerspruch ruft oder aber nach völliger Unterwerfung. Im Fall von „Tristan und Isolde“ bemächtigt sich der Komponist Schopenhauers Philosophie mit ihrer Verneinung des Willens zum Leben und beschwört „volle Bewusstlosigkeit, gänzliches Nichtsein, Verschwinden aller Träume“. In keinem anderen seiner Werke manipuliert Wagner seine Figuren so gnadenlos, nirgendwo fällt die Selbstanalyse des siechen Helden so klar aus wie die von Tristan im dritten Akt. Aus der blühenden Isolde und dem strahlenden Helden müssen unstillbar Todessüchtige werden.

Wagner nennt diese Verwandlung listig seine „Kunst des Übergangs“. An ihr muss sich jede Inszenierung von „Tristan und Isolde“ abarbeiten, wenn sie halbwegs ernst nimmt, was in der Musik und ihrem Drama geschieht. Daniel Barenboim hat nun Unter den Linden eine neuerliche Therapiesitzung einberufen. Das Werk lässt ihn seit bald 40 Jahren nicht los, sechs Neuproduktionen hat er schon geleitet, davon zwei in Bayreuth, zwei an der Staatsoper, je eine an der Scala und an der Deutschen Oper Berlin, wo 1980 das Tristan-Abenteuer für ihn begann.

Nun also der siebte Anlauf, die erste ganz große Premiere im wiederbezogenen Stammhaus. Auch Thomas Gottschalk schaut vorbei, und Berlin darf wieder davon träumen, sich mit dem Ehrentitel „Winter-Bayreuth“ zu schmücken.

Mit Wagners "Tristan" wird ein Dirigent nie wirklich fertig

Dass ein Dirigent niemals fertig wird mit dem „Tristan“, liegt in dessen Grundmotiv eingeschrieben, jener Formel, die „unstillbares, ewig neu sich gebärendes Verlangen“ erzeugt. Es ist magisch, an den Tristan-Akkord zu rühren, seine unbeugsame Kraft zu entfachen, aus der das Drama keimt die und es am Leben erhält, bis Isolde das ihre ausgehaucht hat.

Daniel Barenboim wusste immer auf diesen Sehnsuchtsruf zu antworten, mit entfesseltem Lyrismus, mit beharrlicher Ekstase, mit kühlem Trotz. Doch was den Generalmusikdirektor diesmal am „Tristan“ reizt, ist beinahe so schwer zu erklären wie der Treuebruch des Helden gegenüber seinem Onkel, König Marke. Zwar hat die Staatskapelle Wagners Narkotikum niemals fließender, vertrauter gespielt als jetzt im extratief heruntergefahrenen Orchestergraben. Nur, wo bleibt die Spannung, wenn der Tristan- Akkord von Beginn an überdehnt wird, die harmonische Bindung erschlafft wie der Gummizug einer Schlafanzughose?

Tristan und Isolde reden ja nur von der Liebe, Tristan überredet Isolde zum gemeinsamen Tod. Die Rhetorik der Musik hat daher eine viel wichtigere Rolle als die wenigen Höhepunkte von schierer dynamischer Kraft. Doch in Barenboims Lesart will keine Zwiesprache aufkommen. Zu langsam und zu wenig polarisierend musiziert die Staatskapelle dahin – ein ungemein kultiviertes Spiel, das aber dramatisch nicht verstanden werden kann und der Szene keinerlei Impulse zu geben vermag. Ja, es scheint, als dirigiere Barenboim von Anfang an, von Wagners Kunst des Übergangs übermannt, jenseits jenes Punkts, den das Theater eigentlich erst gegen Ende des zweiten Akts erreicht. Von all dem Widerstreben, Zurückweichen, Gegenhalten zeigt sich die hohe Staatskapellenkunst an diesem sehr langen Abend unbeeindruckt, sie verströmt sich im Saal selbstgenügsam wie Edelgas, das mit keinem anwesenden Element eine Verbindung eingeht.

Tcherniakov ist Regisseur und Bühnenbildner in Personalunion

Dmitri Tcherniakovs Regie fügt sich da auf deprimierende Weise ins Muster. Wie immer auch sein eigener Bühnenbildner, halbiert Tcherniakov das Sichtfeld und stellt seine Figuren in ein gedrungenes Querformat. Die Vorderbühne dient nur als Abstellfläche für Mikrofone, eine Gaze spannt sich zwischen Szene und Saal. Sie lässt alles milchig erscheinen – und obwohl man um diesen Effekt weiß, putzt man immer wieder die Brillengläser in der Hoffnung, die Schlieren mögen verschwinden. Vorteil dieser Bühnenaufteilung: Den Sängern bietet sich ein guter Resonanzraum, in dem sie selbst mit dem Rücken zum Publikum nicht forcieren müssen.

Der Nachteil: In Tcherniakovs Saloninterieurs müssen alle einmal durchs Bild laufen, um zu zeigen, dass sie da sind. Was dann aber ohne weitere Wirkung bleibt. Wer erlebt, wie sich der Regisseur Wagners Wähnen sowie Barenboims Lesart ergeben hat, gewinnt beinahe Verständnis für seine Niedergeschlagenheit. Und versteht, warum Tristan und Isolde nach dem vermeintlichen Todestrank in hemmungsloses Gekicher ausbrechen: eine Übersprungshandlung angesichts einer selbst durch Zaubertränke nicht enden wollenden Tristesse. Barenboim will Tcherniakov für seinen letzten Berliner „Ring“ engagieren, hat das wohl ebenfalls interessierte Bayreuth in die Schranken gewiesen. Doch das gegenwärtige Kräfteverhältnis zwischen dem Dirigenten und seinem Regisseur lässt für die Zukunft wenig Großes hoffen.

Einen gewaltigen Sprung seit seinem Berliner „Parsifal“ 2015 hat hingegen Andreas Schager getan, dessen Tristan keinerlei Ermüdungserscheinungen kennt. Zu seiner leuchtenden Kraft treten eine deutlich gereifte Intonation und ein erstarktes Interesse daran, welcher Text eigentlich gesungen wird. Auch seine kindliche Freude darüber, wie er Isolde dazu bringt, seinen Todesdrang zu teilen, nimmt man Schager ohne Weiteres ab. Im dritten Akt fordert allerdings das allzu lockere Band zum Orchester Tribut, und Tristans schmerzhafte Selbsterkenntnis verliert ihre scharfe Kontur.

Anja Kampe schont sich nicht als Isolde, gewinnt ihr immer wieder zarte Akzente ab – und muss doch erleben, dass ihr Liebestod nur Anhang ist, nicht musikalisches Ziel. Stephan Milling als König Marke lässt sich als erkältet ansagen, um bei seinem finalen Auftritt dann von Barenboim ohne Erbarmen übertönt zu werden. Totes Musiktheater.

Wieder am 15., 18. und 25. Februar sowie am 3., 11. und 18. März

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