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Alleindarsteller Alexander Ebeert fungiert als Reiseführer durch Nimmerland.

© Verena Eidel / Heimathafen

Premiere am Heimhathafen Neukölln: Durch die Rummelsburger Bucht mit Peter Pan

Schifffahrt mit Anarchist: Nicole Oder inszeniert J.M. Barries „Peter Pan in Kensington Gardens“ als mitreißenden musikalischen Monolog.

Peter Pan, das ist doch dieser putzige Knabe, der nie erwachsen wird, in Begleitung der Elfe Tinkerbell herumsaust und familienfreundliche Scharmützel mit dem Piratenkapitän Hook austrägt, nicht wahr? Falsch. Jedenfalls ist diese Disney-Version der Geschichte ganz und gar nicht im Sinne des Erfinders. Der englische Autor J. M. Barrie hat seine Mär vom ewigen Kind zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich düsterer, abgründiger angelegt. Im Buch „Peter Pan in Kensington Gardens“ steht gleich zu Beginn ein Abfall vom Glauben.

Der neugeborene Knirps, der wie alle Kinder noch zum Teil ein Vogel ist (die britische Klapperstorch-Variante), erfährt von einer fiesen Krähe, dass er schon mehr den Menschen ähnele und deshalb als „Zwischendrinding“ künftig am Boden zu bleiben habe. Es ist das Dilemma, das der österreichische Dramatiker Werner Schwab präzise auf den Punkt gebracht hat: „Wir sind in die Welt gevögelt und können nicht fliegen.“ Im Weiteren verbringt Peter so viel Zeit in Kensington Gardens, dass seine gramgebeugte Mutter sich ein neues Baby anschafft. Und er schaufelt Gräber für die Kinder, die des Nachts verloren gehen.

Ein Floß als Gegenentwurf zur Gentrifizierung

Inspiriert von den Schattenseiten der Geschichte inszeniert Regisseurin Nicole Oder unter der Flagge des Heimathafens Neukölln den musikalischen Monolog „Peter Pan – Von einem, der auszog, das Sterben zu lernen“. Der findet in Alt-Stralau statt, genauer: auf der Anarche, diesem Floß, das von einem Kollektiv selbst erklärter „Freimeuter“ gebaut wurde und als Gegenentwurf zur rundum sichtbaren Gentrifizierung durch die Rummelsburger Bucht schippert. Ablegen wird die Anarche am Premierenabend zwar nicht – Motorschaden –, doch das schadet der Veranstaltung kein bisschen.

Begleitet von Nicolas Bamberger am Piano und Jan Slak an den Drums (beide geschützt von regenfesten Planen) beginnt der Alleindarsteller Alexander Ebeert den Abend mit einer schönen Version von Alphavilles „Forever Young“. Ebeert gibt aber nicht einfach das große Kind, so verbreitet der Peter-Pan-Komplex in einer bestimmten Generation von Berliner Kreativen auch sein mag. Sondern schraubt sich als Reiseführer durchs Nimmerland in eine vieldeutige Erzählung auf der Folie von J. M. Barrie.

Zwischen Furor und Gebrochenheit

Der Text, der von Vera Schindler stammt, spielt mit zentralen Motiven des Peter-Pan-Mythos, nimmt aber genauso bezugreich die unmittelbare Umgebung auf, von den Neubauten in Alt-Stralau bis zur Liebesinsel. Was sich dabei in mitreißenden 75 Minuten herauskristallisiert, ist ein Requiem, eine Geschichte über den Verlust, nicht nur der Kindheit.

Ebeert balanciert den Endvierziger, den er spielt, dabei großartig zwischen anarchischem Furor und melancholischer Gebrochenheit. Dass das Sterben zum Leben gehört, diese existenzielle Binse gewinnt eine berührende Dimension. Ewige Jugend, das wusste auch J. M. Barrie, ist kein Versprechen, sondern eine Verdammnis.

wieder am 7. und 14. 9., 19 Uhr, Treffpunkt am Uferweg in Alt-Stralau

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