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Das Glück ist manchmal auch lustig. Im Bild-Hintergrund schmust Ali (Taner Şahintürk) mit der deutlich älteren Emmi (Ruth Reineke), vorn spielt Daniel Kahn lässig mit den diversen Ressentiments und Klischees.

© Marcus Lieberenz/bildbuehne.de

Premiere am Gorki-Theater: Andere Länder, andere Sitten, ne?

Mit einer Theateradaption von Rainer Werner Fassbinders „Angst essen Seele auf“ verabschiedet sich das Gorki-Theater würdig aus einer mehr als respektablen Spielzeit. Besonders überzeugen können dabei vor allem Taner Şahintürk und ein Musiker.

Armer Ali. Nix sprechen gut Deutsch. Ganz allein mit seiner Cola im kalten Land. Herablassend behandelt von den Alltagsrassisten: „Deutscher Herr – Arabisch Hund!“ Lebenswirklichkeit am Gesellschaftsrand.

1974, als die BRD noch Gastarbeiterland war, brachte Rainer Werner Fassbinder seinen legendär gewordenen Film „Angst essen Seele auf“ ins Kino. Diese Geschichte einer skandalösen Liaison zwischen der gealterten Putzfrau Emmi (Brigitte Mira) und dem viel jüngeren Marokkaner mit dem ewig langen Namen, den alle nur Ali nennen (El Hedi ben Salem). Ein Melodram aus grauen Tagen. Wie fern die sind, ist die Frage.

Am Gorki-Theater bringt Regisseur Hakan Savaş Mican den Fassbinder-Stoff als letzte Premiere der Spielzeit auf die Bühne. Und holt damit vor allem ein Stück untergegangenes Deutschland aus der Versenkung. In einer Art Grubenaufzug wird das Ensemble in 70er-Jahre-Kostümen eingangs aus dem Unterboden gefahren, unablässig regnet es glitzernden Ruß, der sich im leeren Rund zur Halde türmt (Bühne: Sylvia Rieger). Schillernde Poesie. Der aus Detroit stammende Musiker Daniel Kahn klimpert dazu einen lässigen Blues-Folk-Mix, der gut gelaunt mit Ressentiments spielt: „Es kann sein ein schwarzer Zigeuner, ein Araber, Türke oder Jud’, wir kommen und saugen nur Kohle, we’ve broken your Sprache and ruined your food“. Songtitel: „Das Glück ist nicht immer lustig“.

Den verqueren Blick der Mehrheitsgesellschaft bricht auch der großartige Ali-Darsteller Taner Şahintürk ironieversiert, wenn er eine Kassette an die Daheimgebliebenen bespricht und vom Paradies BRD schwärmt: „Schwestern, ihr müsst euch hier hintun!“ Wo das Radebrechen schon bei Fassbinder Verfremdungsklang hatte, treibt Şahintürk es in die totale Künstlichkeit. Ruth Reineke gibt dagegen eine erdig-schnoddrige Emmi, die wenig Berührungsängste kennt („Andere Länder, andere Sitten, ne?“) und im geschockten Freundinnenkreis freudig die Bombe platzen lässt: „Ich hab mich verliebt. In einen Marokkaner, der 20 Jahre jünger ist“. Sie spielt das mit Fallada-mäßigem Proletenstolz, eine tolle Leistung.

Umstellt ist das Paar von allerlei Missgunstmenschen, die Mareike Beykirch, Anastasia Gubareva und Dimitrij Schaad in pointierten Mehrfachrollen performen: tratschende Nachbarinnen, eklige Einzelhändler, rassistische Vermieter.

Wobei Fassbinder – der mit seinem Hauptdarsteller El Hedi ben Salem eine tragisch endende Affäre hatte – sich ja nicht als Ausländerbeauftragten des deutschen Films sah. Sondern auch in „Angst essen Seele auf“ im Wesentlichen von seinem Herzensthema erzählt: Liebe als Abhängigkeitsverhältnis. Die Beziehung als Kampfplatz der Verletzungen.

Was Regisseur Mican mit jener Szene beibehält, in der Ali seine Emmi brutal brüskiert, indem er sie in der Kneipe als seine Großmutter verlacht.

Die Inszenierung ist über weite Strecken konzentriert und bis auf ein paar Albernheiten so absurd-komisch, wie es dem bitteren Humoristen Fassbinder entspricht. Mican („Schwimmen lernen“) glückt damit der würdige Abschluss einer Auftaktsaison, der man Respekt zollen muss. Aus dem Stand hat Shermin Langhoff das Gorki zum Stadtgespräch gemacht. Die neuerliche Promidichte aus Kultur und Politik bei der Premiere spricht für sich. Inhaltlich bietet „Angst essen Seele auf“ zudem einen schönen Ausblick. Wo die erste Premiere, Nurkan Erpulats „Kirschgarten“, noch als auftrumpfende migrantische Occupy-Party aufgezogen war, kehrt nun Normalität ein. Mican verzichtet auf Fassbinders tragisches Ende (Alis Magengeschwür) und gibt dem ungleichen Paar stattdessen eine Zukunft: „Gemeinsam sind wir stark“. In Berlin 2014 ist das keine Utopie. Und am Gorki wird es jetzt vielleicht erst richtig spannend.

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