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Schauspieler Christopher Nell hält als Hamlet einen Totenkopf in der Hand.

© dpa

Premiere am Berliner Ensemble: Leander Haußmann inszeniert "Hamlet"

Ein bisschen nassforsch, dreist, mit genialischem Charme, aber auch mit riesigem Bammel vor dem ungeheuren Anspruch: Zum ersten Mal seit zehn Jahren inszeniert Leander Haußmann „Hamlet“ am Berliner Ensemble.

Hamlet – mit schrägen Strichen in den Stoff geschnitten wie von Zorros Säbel. Zack, ritsch, ratsch. Rette sich wer kann, der Rächer seines Vaters ist in town! Stößt Klingen in Fleisch (und Tapetentüren), schwingt Äxte und Vorschlaghämmer, rupft an Eingeweiden, extrahiert Gehirne aus Hirnschalen und leckt genüsslich am lila schimmernden Nervenstrangsalat. Hamlet – mit schrägen Strichen in den Bühnenstoff gefetzt wie die gruseligen Blutzeichen einen Splattershockers. Moment mal. Erzählt Shakespeares Stück „Hamlet“ nicht vom größten Zauderer, Zweifler und Auf-der-Stelle-Treter der Theatergeschichte?

Jahaa!, ruft Leander Haußmann in einem der vielen Vorfeldinterviews belustigt. Aber eben nicht nur. Hamlet, nicht die Figur, sondern das Stück, erzählt – nach Haußmann – eben vor allem vom Reichtum der Theaterspielmöglichkeiten. Nicht umsonst tritt ja im Stück eine Theatertruppe auf und thematisiert das Spiel im Spiel. Hamlet – eine eklektizistische Spielwiese, ein Theaterbauchladen also, aus dem man eben nicht nur schöne Zitate (Sein oder Nichtsein!), sondern neben dem hohen Ton auch das Grobe, neben dem Vergeistigten auch das Schmissige und natürlich eine Menge selbstreferentielle Kalauer klauben kann. Nicht zaudern, sondern „handeln, handeln, handeln“. Oder in der wunderbaren, aus labyrinthisch verschachtelten Teilwänden und zum Verstecken einladenden Winkeln bestehenden Bühne von Johannes Schütz: drehen drehen, drehen.

Zehn Jahre lang, wenn man von einem Volksbühnen-Intermezzo absieht, hat Leander Haußmann sich vom Theater abgewendet. Nun ist er mit „Hamlet“ ans Berliner Ensemble zurückgekehrt, als das, was er wohl noch immer ist: der verspielte Enkel-Regisseur. Denn er ist ja nicht nur der Sohn des Schauspielers Ezard Haußmann, sondern auch der Enkel von Erich Haußmann, der ab 1962 als Schauspieler am Berliner Ensemble engagiert war. Für Enkel-Regisseure sind Theaterstücke vor allem eines: verwunschene Dachböden, in denen sie herumtollen und die Haltungen der Großen nachäffen können. Ein bisschen nassforsch, ein bisschen dreist, mit genialischem Charme, aber auch mit riesigem Bammel vor dem ungeheuren Anspruch, den sie mit Grimassen und grellen Späßen zu verscheuchen suchen. Als kichernden Klamauk-Jongleur – so kannte man bisher Leander Haußmann aus Filmen wie „Sonnenallee“ oder aus seinem ersten Leben als Theaterregisseur. Das Überraschende jetzt: zur ewigen Berufsjugendlichkeit hat sich so etwas wie aufrichtiger Respekt gesellt. Und der Hang zur Unterhaltung geht nun mit einer fast schon altmeisterlichen Lässigkeit und einem schlafwandlerischen Gespür für Tempiwechsel und Atmosphäre zusammen.

Es wabert der Nebel, es dreht sich die Bühne, nahezu jede Szene wird von zwei melancholischen Engeln mit Akkordeon und Gitarre ein- oder ausgeführt oder hinterlegt. Das Programmheft nennt die beiden „Apples in Space“. Sie spielen Nick Cave & The Bad Seeds und die Sex Pistols, und als es gegen Ende ans Gemetzel geht, immer wieder Bob Dylan: „Just remember that death is not the end.“ Sondern auch nur ein Spaß.

Der Abend hat Witz, Fluss und Rhythmus, doch etwas fehlt.

Zappeln statt zaudern. Christopher Nell gibt den Hamlet im Berliner Ensemble.
Zappeln statt zaudern. Christopher Nell gibt den Hamlet im Berliner Ensemble.

© dpa/Stephanie Pilick

Haußmann behauptet ein Getümmel, in das er sich stürzen und ansprechend herumtreiben kann. So flieht er zwar die Innerlichkeit der Figur und verfehlt irgendwie das Herz des Stückes, findet aber im breiten Erzählstrom eine schöne Melancholie und viele poetische Kammerspielmomente. Aus Hamlet und Ophelia wird ein echt süßes Liebespaar, das mit kindlicher Unschuld nackt beieinander liegt, als der Geist von Hamlets Vater erscheint. Oder: Während Laertes (Felix Tittel), durch die verschachtelten Wände eilend, Schwester Ophelia vor Hamlet warnt, nickt diese brav, schleicht sich aber unbemerkt hinterrücks zum Küssen mit Hamlet und steht, großäugig blinzelnd, am Ende der Predigt wieder brav neben dem älteren Bruder.

Anna Graenzer ist als Ophelia eine Entdeckung. Zart und anrührend Hamlet, mädchenhaft fest ihrem Vater Polonius gegenüber – später, als der Tod ihres Vaters sie fast um den Verstand bringt, singt sie dem Wahnsinn nah mit glockenklarer Stimme entrückt vor sich hin. Wunderbar auch Norbert Stöß, der Polonius mit einer Mischung aus öliger Hinterhältigkeit und verlegener Unsicherheit spielt, unaufdringlich aus seiner Rolle heraustritt („Lief doch ganz gut jetzt“), um genauso unauffällig wieder zurückzufallen. Auch daran, wie Joachim Nimtz den Geist von Hamlets Vater und einen Schauspieler gibt, halb zum Fürchten und halb dröhnende Klischee-Erscheinung, zeigt sich die Leichtigkeit, mit der Haußmann zwischen der Erzählung und ihrer sanften Ironisierung wechselt.

Der Abend hat Witz und Fluss und Rhythmus, doch dass ihm auch etwas fehlt, zeigt sich immer dann, wenn Traute Hoss als Gertrude, Hamlets Mutter, das Wort ergreift. Die Ruhe, die Pausen, ihr Stimmvolumen – und sofort ist der Raum für Shakespeares Sätze da. Wenn Traute Hoss spricht, geht’s nicht nur vorwärts – dann zeigt sich auch, dass „Hamlet“ eine Tragödie ist. Und was einen an Haußmanns sympathischem Bauchladen und Christopher Nell als Hamlet denn doch auf Dauer stört. Die Unkonzentriertheit.

Nell ist als Hamlet chamäleonhaft wandelbar, aber auf seltsame Weise kaum zu greifen. Weil Nell nach Haußmanns Maxime eben nicht zögern darf, sondern ständig handeln muss, hetzt er als agiler Langstreckenläufer durch den Text, wechselt abrupt Ton- und Stimmlagen, braust auf, brütet exzessiv vor sich hin und nuschelt seine Texte (ähnlich wie Roman Kaminski als Claudius) lapidar von sich weg. Stark ist er nach der Geist-Erscheinung, als ihn das Wissen um die Zusammenhänge und das Gewicht seiner Racheaufgabe in eine vorgegebene stumme Verrücktheit treibt. Doch als er seinen Plan in die Tat umsetzt, sind die Schritte seiner Rache – und das Zögern dem Vatermörder Claudius’ gegenüber – nur bedingt nachvollziehbar.

Trotzdem: Lange hat man die Schauspieler des Hauses nicht so stark gesehen. Am Berliner Ensemble wird Theater gespielt.

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