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Glücklich. Saša Stanišik wurde bei der Leipziger Buchmesse 2014 für seinen Dorfroman ausgezeichnet.

© Arno Burgi/dpa

Preis der Leipziger Buchmesse für Saša Stanišic: Komische Uckermark

Saša Stanišić erhält für seinen Roman "Vor dem Fest" den Preis der Leipziger Buchmesse.

Maxim Biller ist nicht nach Leipzig gekommen; er wird auch die nächsten Tage nicht erwartet. Das ist keine Überraschung, Biller hat bis auf die kleine illustrierte Kindergeschichte „Jack Happy“ in diesem Frühjahr kein Buch veröffentlicht. Er sitzt noch, wie man hört, an einem gleich tausendseitigen Großwerk. Zumindest sein Geist schwebt jedoch an diesem Donnerstagnachmittag recht munter durch die Glashalle der Messe, als der Preis der Leipziger Buchmesse in den Kategorien Belletristik, Sachbuch und Übersetzung vergeben wird.

Biller hatte vor einigen Wochen die deutschsprachige Gegenwartsliteratur in Bausch und Bogen verdammt. Schon im Vorfeld der Messe war Saša Stanišić mit seinem nun mit dem Belletristik-Preis der Messe ausgezeichneten Roman „Vor dem Fest“ oft in einem Atemzug mit Biller genannt worden – natürlich immer derart, dass Biller wohl doch sehr danebenlag, als er Stanišić explizit vorgeworfen hatte, als nichtdeutscher Muttersprachler ausgerechnet einen Roman über ein Dorf in der Uckermark geschrieben zu haben. Auch Hubert Winkels, der Juryvorsitzende des Preises der Leipziger Buchmesse, nimmt in seiner kleinen Rede über den Lärm, den die Literatur stets zu schlagen vermag, noch mal Bezug auf Biller („Möchtegernbarbar“), und selbst in der Laudatio der Jury auf Stanišić fehlt der entsprechende Wink nicht: „Man nennt es Literatur, und die lässt sich nicht einsperren in den Käfig ewigen Migrantentums!“. Ist das jetzt wirklich gut gebrüllt? Kann man das Selbstbewusstsein nennen? Maxim Biller wird sich schön eins lachen.

Ein sterbendes Dorf mit skurrilen Typen irgendwo bei Prenzlau

Stanišic, auch das bezeichnend, aber großartig, betont in seiner kleinen Danksagung, dass zu dem Wir, das „Vor dem Fest“ meistens perspektivisch bestimmt, inzwischen auch er selbst sich zugehörig fühlt – der Schriftsteller, der 1978 in Višegrad, Bosnien/Herzegowina, geboren wurde und nach dem Beginn der Jugoslawienkriege Anfang der 90er nach Deutschland kam. „Vor dem Fest“, Stanišics zweiter Roman nach „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ von 2006, ist ein Uckermark-Dorfroman und erzählt durchaus komisch von einem sterbenden Ort und seinen skurrilen Bewohnern irgendwo in der Nähe von Prenzlau. Darüberhinaus begibt er sich in die Tiefe der Zeit und beschreibt anhand alter Überlieferungen Dorfgeschichte bis ins 16. Jahrhundert: das aber gleichfalls fiktiv, mitunter als Parodie, in altem Sprachsound. „Vor dem Fest“ ist ein kleines sprachliches Wunderwerk, das glaubhaft vermittelt, dass die Bewohner Fürstenfeldes in Form dieses Wirs tatsächlich so sprechen – obwohl es eine Kunstsprache ist und Stanišić lange daran herumgefeilt hat. Also wirklich Literatur, zumal in diesem Fall die Literatur über das Dorf kam und nicht umgekehrt, wie im Fall von Moritz von Uslars Zehdenick-Inspektion „Deutschboden“.

Der Roman ist verdientermaßen ausgezeichnet worden, er galt als einer der Favoriten, aber auch Katja Petrowskajas „Vielleicht Esther“ oder Per Leos „Flut und Boden“ wären würdige Gewinner gewesen. Bei den beiden anderen Kategorien verhält sich das nicht viel anders: Robin Detjes Übersetzung von William T. Vollmanns „Europe Central“ war Herkulesarbeit und ist überaus gelungen. Und Helmut Lethens Fotografie-Geschichtstheorie „Der Schatten des Fotografen“ hätte eigentlich nur von Diedrich Diederichsens Opus Magnum „Über Pop-Musik“ getoppt werden können. So ein Buch, das sich umfassend, klug und theoretisch mit Pop auseinandersetzt, als Siegertitel bei einer ausgesprochen literarischen Veranstaltung – das wäre es gewesen, das hätte dem Pop nochmal ganz andere Aufmerksamkeit beschert. Dafür fehlte der Jury wohl der Mut.

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