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Pop als Hochleistungssport. Taylor Swift bei einem Konzert in Köln.

© Rolf Vennenberbd/dpa

Postergirl der Alt-Right?: Taylor Swift kämpft um ihren Ruf

Neurechte Aktivisten versuchen, Taylor Swift zu vereinnahmen. Die US-Sängerin wehrt sich - mit ihrem neuen Album „Reputation“.

Wut muss nicht laut sein. Sie kann auch säuseln. „Call It What You Want“, der bemerkenswerteste Song auf Taylor Swifts neuem Album „Reputation“, ist ein himmelhochjauchzendes Liebeslied – und eine eiskalte Abrechnung. Zu sanft aufschäumenden Retrosynthies und fingerschnipsenden Beats schwärmt die Sängerin von einem Mann, der schön ist wie ein „Tagtraum“ und mitreißend wie ein „Jetstream“. Die Huldigung gipfelt in einer Zeile, die zwischen Verschmelzungslust und Unterwerfungsfantasie oszilliert: „I want to wear his initial on a chain round my neck.“ Seine Initialen möchte sie immer mit sich tragen, nicht weil sie ihrem Lover gehören will, sondern weil er der Einzige ist, der sie versteht.

Taylor Swift, mit 170 Millionen weltweit verkauften Tonträgern und zehn Grammys eine der erfolgreichsten Musikerinnen der Gegenwart, fühlt sich missverstanden. Ihre Songs sind das Medium, mit dem sie sich dagegen wehrt. „All the liars are calling me one“, lautet ein Schlüsselsatz von „Call It What You Want“, mit dem sie die Shitstorms der letzten Monate zurückweist. Lügner, das sind die anderen. Musikalisch ist die bittersüße Ballade, wie viele von Swifts sandstrahlpolierten Edelpopstücken, eher belanglos, aber in den verspielten Bildern des Textes wird immer wieder eine tiefe Verletztheit spürbar. Ihr Schloss sei über Nacht eingestürzt, nachdem sie „mit einem Messer zu einer Schießerei“ gegangen sei.

Jeder Shootout braucht einen Bösewicht, in diesem Fall ist es die amerikanische alt.right-Bewegung, die Taylor Swift ungefragt zu ihrem blonden, blauäugigen All-American-Postergirl gemacht hat. Die Hetzseite „The Daily Stormer“ feierte den Superstar als „rein arische Göttin“, und das Nachrichtenportal Breitbart des ehemaligen Trump-Chefstrategen Stephen Bannon attackierte die „New York Times“ im August mit Zitaten aus „Look What You Made Me Do“, der ersten Single-Auskopplung aus „Reputation“: „I don’t trust nobody and nobody trusts me“. Dass Swift offenkundig einen privaten Vertrauensverlust und das Ende einer Beziehung besingt, war egal.

Swift hat ihre Karriere als Country-Kinderstar begonnen.

Der dunkle Dancefloortrack „Look What You Made Me Do“ ist mit seinen ratternden Störgeräuschen und dem hysterischen Falsettgesang der stärkste Track von Swifts sechstem Studioalbum. Das Video dazu, das bei Youtube bereits fast 700 Millionen mal aufgerufen wurde, beginnt, wie Michael Jacksons Klassiker „Thriller“, nachts auf einem Friedhof, wo die halb verweste Sängerin von den Toten wiederaufersteht. Spätet badet sie in Juwelen, schaukelt in einem goldenen Käfig und bricht in einen Banksafe ein. Mit viel bösem Willen kann man in diesem selbstbewusst auftrumpfenden Hedonismus eine Parodie auf die Bling-Bling-Kultur des schwarzen Hip-Hop erkennen.

Taylor Swift, die 1989 in einer Kleinstadt in Pennsylvania geboren wurde, hat ihre Karriere als Country-Kinderstar begonnen. Sie zu einer Gegenfigur zur afroamerikanischen Urban Music zu stilisieren, wie die alternativen Rechten es versuchen, ist schon deshalb absurd, weil sie immer wieder mit Hip-Hop-Stars zusammengearbeitet hat. Ihren Großhit „Bad Blood“ nahm sie 2015 mit dem Rapper Kendrick Lamar auf, und auf dem neuen Album kooperiert sie neben dem britischen Songwriter Ed Sheeran auch mit dem Südstaaten-Rapper Future.

Beiläufigkeit gehört zu Swifts größten Begabungen

Dass der Sängerin vorgeworfen wurde, zu lange zu den Vereinnahmungsversuchen geschwiegen zu haben, belegt, wie sehr die amerikanische Gesellschaft inzwischen polarisiert ist. Unter Präsident Trump kommt es wieder darauf an, Freund und Feind zu unterscheiden, auch in der Unterhaltungskultur. Immerhin lässt Swift nun einen Blog verklagen, der sie mit Hitler verglichen hatte.

Taylor Swift kämpft jetzt um ihren Ruf, so muss man den Albumtitel „Reputation“ wohl verstehen. Auf dem Cover schieben sich Schlagzeilen über ihr schwarz-weißes Porträt. Innovativ ist Swifts Pop allenfalls in Spurenelementen, dafür besitzt sie eine Lizenz für das Erschaffen von Ohrwürmern. Das Anti-Liebeslied „Gorgeous“ gehört zu diesen Songs, die man, morgens im Radio gehört, den ganzen Tag nicht mehr loswird. Da mischen sich blubbernde Kunstglocken und trockene Nineties-Beats mit schwelgerischen Gesangsbögen, in denen die Sängerin einem schönen Kotzbrocken hinterherspottet: „Whisky on ice, sunset and wine / You’ve ruined my life, by not being mine.“

Beiläufigkeit gehört zu Swifts größten Begabungen, abgesehen von Lana Del Rey vermag derzeit keine andere Sängerin Garstigkeiten so täuschend in Wohlklang zu verstecken. Natürlich neigt man als Hörer dazu, die 15 Titel des Albums biografisch zu dechiffrieren. Einen neuen Mann in Swifts Leben soll es auch geben, melden die Klatschmedien. Möglicherweise ist mit dem „Tagtraum“ in „Call It What You Want“ der britische Schauspieler Joe Alwyn gemeint. Offenbarung oder nur Erfahrung? Nenn es, wie du willst.

„Reputation“ von Taylor Swift ist in dieser Woche bei Universal erschienen.

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