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Porträt Michael Krüger: Die Schönheit der Zahl

Suhrkamp? Krise? Wie man erfolgreich Bücher verlegt: ein Treffen mit Hanser-Chef Michael Krüger

Viel Zeit hat Michael Krüger nicht an diesem düsteren, warmen Spätherbsttag. Doch den Ort zu wechseln und das Gespräch nicht in den für seinen Geschmack zu durchdesignten Hotelräumen des Brandenburger Hofs in Charlottenburg zu führen, so viel Zeit ist dann doch. „Ich habe um die Ecke ein Café entdeckt, da gehen wir hin“, sagt er, und dass dieses Café das berüchtigte Wettcafé der Gebrüder Sapina ist, Ausgangspunkt für den Schiedsrichterskandal im Profi-Fußball, nimmt Krüger eher beiläufig zur Kenntnis. Er will schließlich Auskunft geben über sein Leben und den Carl Hanser Verlag, dem er vorsteht, und das macht Krüger dann auf eine undurchdringliche Art, bei der man nicht weiß, ob er sein Gegenüber eigentlich wahrnimmt.

Warum ist Michael Krüger als Hanser-Verlagsleiter seit Jahren der wohl erfolgreichste und anerkannteste Verleger in Deutschland? Schon zu Lebzeiten von Siegfried Unseld bewegte Krüger sich auf dessen Augenhöhe, so dass die Literaturbranche nur zu gern diskutiert, wer nun der relevantere Verlag in Deutschland ist: Suhrkamp oder Hanser? Gerade jetzt ist der Hanser Verlag der wohl beste Beweis dafür, dass die literarische Welt in Deutschland nicht landunter melden muss, nur weil Suhrkamp in der Krise steckt. Darüber hinaus ist Krüger ein Verleger, der das Klappern aus dem Effeff beherrscht, das Lamentieren über schlechte Bücher, den Niedergang des Buchhandels, die Konzentration auf dem Buchmarkt – obwohl er selbst gar keinen Grund zu klagen hat und überall mitmischt, wo es ums Geldverdienen geht, um Preise und Aufmerksamkeit.

Dieses Jahr hat sich Krügers Verlag geradezu übertroffen, nimmt man allerhöchste literarische Auszeichnungen zum Maßstab: Der Preis der Leipziger Buchmesse ging an Ilija Trojanow, der Büchner-Preis an Oskar Pastior, der Friedenspreis an Wolf Lepenies, der Literaturnobelpreis an Orhan Pamuk. Sie alle sind Autoren des Hanser Verlags. Krüger mag das nicht groß kommentieren. Der Preis an Pamuk sei „ein Segen" gewesen. Es bedeute, so Krüger, nicht nur Pamuks aktuelle Bücher im Buchhandel verbreiten und zu Bestsellern machen zu können, sondern auch dessen ältere Bücher sowie eine Reihe weniger bekannter Hanser-Autoren gleich mit. Für Krüger, da ist er pragmatisch, sozusagen unseldesk: „Man muss gute Bücher auch verkaufen können. Ich achte sowohl auf Qualität als auch aufs Geld.“

Das ist zunächst erstaunlich für einen von der Literatur Besessenen, der selbst publiziert, als Lyriker, Romancier und Essayist. Aber es ist weniger verwunderlich, betrachtet man Krügers Werdegang. Das Verlagsgeschäft hat er von der Pike auf gelernt. Nach dem Abitur in Berlin Ende der fünfziger Jahre macht er eine Lehre beim Herbig-Verlag, lernt dann die Buchdruckerei und geht von 1965 bis 1968 nach London, wo er im Kaufhaus Harrod’s zum Buchhändler ausgebildet wird.

Man spürt an diesem Vormittag im Café King, wie lebendig für den 63-Jährigen diese Zeit ist. Er nennt Namen über Namen, schwärmt von Gabriele Tergit, „eine wunderbare Autorin“, von Reinhard Lettau, „unvergessbar, unvergesslich“ und liefert unentwegt Anekdoten. Etwa über Wolfgang Koeppen: „Als ich dem gesagt habe, dass ich bei Herbig seine Taschenbücher betreut habe, ist er fast vom Stuhl gefallen, er wusste von denen gar nicht.“ Oder er erzählt, wie der Bibliothekar der Queen in der von Krüger aufgebauten ausländischen Literaturabteilung im Harrod’s Romane von Grass, Johnson, von Doderer und Claude Simon sowie ein Buch über romanische Kirchen in Deutschland einkauft. Krüger bekommt viel Lob von seinem Chef. Doch das Königshaus gibt alle Bücher zurück, bis auf das über die romanischen Kirchen. Krüger, so wie er einem da in hellblauem Hemd, beiger Hose und wohlgebräunt gegenübersitzt, erzählt das gutgelaunt und ist immer noch so involviert in diese Geschichten, dass er seine Zigarette schon mal von der falschen Seite ansteckt.

In London begründet sich die Internationalität des Hanser Verlags: „Mich hat diese Zeit bis heute geprägt.“ 1968 kommt Krüger zu Hanser nach München. Er beginnt mit einer Filmbibliothek, gründet mit H.C. Artmann die „Bibliotheca Dracula“, ist „nicht scharf auf politische Betätigungen“ und wird in den achtziger Jahren nach dem Ausscheiden der Verlagsleiter Christoph Schlotterer und Fritz Arnold von den Angestellten des Verlages gebeten, den Verlag zu leiten.

Krüger sagt nun, er sei gar nicht so erpicht auf die Verlagsleitung gewesen, und man fragt sich, wie viel Koketterie, wie viel gesunde Selbstbezogenheit bei ihm mitschwingen – gerade auch, wenn er lässige Einschübe macht wie: „Ich habe in München in vielen Filmen mitgespielt.“ Oder er trotz des Eingeständnisses, 68 politisch zurückhaltend gewesen zu sein, sagt: „Ich habe mit verhindert, dass die ,Bild’ ausgeliefert wurde, saß eine Nacht im Gefängnis und kannte alle, von Baader bis Meinhof.“ Als er 1986 literarischer Leiter von Hanser wird, wusste er, „dass gegen die Marktmacht von Suhrkamp nichts auszurichten war. Aber ich wollte zeigen, was wir können. Ich begann mit Erzählern, die lange nicht auf Deutsch lieferbar waren, Singer, Yourcenaar, Green, Calvino.“ Große Markterfolge feierte Hanser dann mit Kunderas „Unerträglicher Leichtigkeit des Seins“, Ecos „ Name der Rose“, später mit Philip Roth. Inzwischen gilt Hanser als Verlag der Literaturnobelpreisträger (elf stehen im Programm), hat jährlich mehrere Bestseller und ist bei aller Schimpferei Krügers überRandom House selbst ein Mini-Imperium: Neben dem Fachverlag mit 120 Angestellten gehören zu Hanser die Verlage Nagel & Kimche, Sanssouci, Zsolnay und Deuticke mit sechzig Angestellten.

Spricht man ihn darauf an, dass sein Verlag bei der jungen deutschsprachigen Literatur nicht immer vorn liegt, schwingt er sich endgültig zum Werber auf: „Glavinic, Genazino, Geiger, wir haben die Besten. Nur mache ich diesen Kannibalismus nicht mit, vier deutsche Autoren gleichzeitig in einem Programm zu führen. Die Buchhändler fragen dann: Wer ist der Beste? Ich habe immer versucht, meine Programme so zu gestalten, dass kein Buch dem anderen wehtut, eines meiner längstdiskutierten Probleme im Verlag.“

Und schon ist Krüger mittendrin in den Zahlen, erzählt er, dass ein Peter von Matt eine 20 000er-Auflage mit seinem „Intrigen“-Buch erreicht, dass Rüdiger Safranskis erstes Buch über E.T.A. Hoffmann eine 3000er-Auflage hatte und Safranskis Schillerbuch jetzt 80 000 Mal verkauft wurde. Krüger überprüft täglich mindestens eine Stunde die Bilanzen, egal ob im Münchener Verlagsgebäude in der Vilshofenerstraße oder auf Reisen. „Die Bewegungen der Bücher“ nennt er das: „Ich will immer genau wissen, wie, wo, wie lange und warum sich ein Buch verkauft.“ Krüger hat anders als viele seiner sich bei Zahlen gern zurückhaltenden Kollegen kein Problem damit, konkret übers Geschäft zu reden. Sei es im diesjährigen Streit um die angemessene Vergütung von Übersetzungen, sei es im Fall des Preisbietens um Jonathan Littells Roman „Les Bienviellantes“. Er habe mitgeboten, so Krüger, sei bei 170 000 Euro aber ausgestiegen.

Auch im aktuellen Streit um den Suhrkamp Verlag ist Krüger offen. Bei Suhrkamp erscheinen seine Romane und Gedichte – es gebührt sich nicht, im eigenen Verlag zu veröffentlichen. Natürlich steht er in der Suhrkamp-Debatte auf der Seite des Guten, des Geistes, der verlegerischen Unabhängigkeit. Spontan ergriff ihn „das blanke Grausen“, sprach er von der Zerstörung von Suhrkamp durch Barlach und Grossner. Mit einigem Abstand sagt er nun: „Wer 29 Prozent Anteile erwirbt, muss sich doch um ein Einvernehmen mit den Mehrheitseignern bemühen. Den Eindruck habe ich von beiden nicht.“

Dass auch auf Hanser Probleme zukommen könnten, sollte er einmal aus dem Verlag ausscheiden, sieht Krüger nicht. Oder er verdrängt es. Einen jüngeren potentiellen Nachfolger hat er schon einzuarbeiten versucht, doch warf dieser nach wenigen Wochen das Handtuch: zu viel Arbeit. „Es sollte jemand sein, der eine neue Generation in den Verlag mitbringt.“ Diesen Kandidaten hat Krüger aber noch nicht.

„Noch Fragen?“ Der Verleger entschuldigt sich: Die Zeit ist knapp, die Termine drängen. Nicht zuletzt, weil er anderntags nach Ankara fliegt, zu einer Pamuk-Tagung, nicht nur wegen Pamuk. Michael Krüger will auch nach anderen türkischen Autoren Ausschau halten.

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