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Der Künstler Olaf Holzapfel im Vorraum seines Ateliers.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Porträt des Berliner Künstlers Olaf Holzapfel: Meister der Gegensätze

Vom Atelier in Treptow aus dirigiert Olaf Holzapfel die Produktion in Südamerika. Seine Stadtbilder werden dort von Frauen der Wichí gewebt.

Dass man als Künstler etwas in Auftrage gebe, sei ganz normal, sagt Olaf Holzapfel. Er sitzt in seinem Büro: ein Raum mit hohen Decken, vielen Büchern, großem Bildschirm, in einer Ecke lagert akkurat gestapeltes Stroh. Holzapfel stellt einen leeren Aschenbecher zur Seite und schenkt Espresso aus einer Bialetti ein. Dann reißt er die Plastikfolie von seinem neuen Katalog „Textile“ auf. Die schweren Seiten gleiten ihm durch die Finger.

Der Künstler stoppt bei einer Abbildung, die einen Wandteppich zeigt. Der sieht ganz leicht aus, das Gewebe ist durchlässig und gleichmäßig. Es erinnert an die Beschaffenheit von Kettenhemden. Auf den darauffolgenden Seiten sind ähnliche Exemplare abgebildet. Sie heißen „Chaguarbild“ mit unterschiedlichen Nummern dahinter. Es gibt 34 verschiedene. Die Muster sind flächig, mit kleinen Kästchen in bunten Farbe, dazu dunkle Linien. Das Material wirkt ausgeblichen, als hätte es irgendwo lange in der Sonne gehangen.

Zwölf Jahre ist es her, dass Olaf Holzapfel die Frauen der Familie Gutiérrez kennenlernte. Teresa, Mirta, Dionisia, Noelia und Luisa leben in der Provinz Chaco im Norden Argentiniens und gehören der indigenen Gemeinschaft der Wichí an. Sie beherrschen eine spezielle Nadelbindetechnik mit Chaguar, einem Material, das in einer aufwändigen Prozedur aus Kaktuspflanzen gewonnen wird. Holzapfel gefiel die Technik, die natürlichen Farben und das Material. Er bat die Weberinnen, seine „Entwürfe von Bildern der Stadt, ihrer Schatten und ihrer einzelnen Blöcke zu weben“.

In den Ausstellungsräumen der Schwartzschen Villa hängt gerade „Chaguarbild 33“, das 2020 entstand. Der Wandteppich wird auf dunklem Untergrund präsentiert, eingebettet in einer Holzkonstruktion, davor Acrylglas, „damit die Farben nicht ausbleichen“, wie Holzapfel erklärt. Unter dem Titel „Blaues Gras entlang der Flüsse“ stellt er zusammen mit dem argentinischen Künstler Guido Yannitto aus, dessen Wandteppiche ohne Schutz an der weißen Wand hängen.

Ein Film stellt die Frauen vor, er reist mit jeder Ausstellung mit

Zur Ausstellung gehört ein Film. Teresa Gutiérrez spricht darin: „Nun, und dann kommt Olaf von außen. Er ist an unseren Stoffen interessiert, an unserer Arbeit. Und dann zeigt er, durch die Textilien, unsere Welt und unsere Identität als indigene Gemeinschaft.“ Das projizierte Bild teilt sich in einzelne Quadrate, zeitweilig sind sechs verschiedene Aufnahmen gleichzeitig zu sehen, Ameisen krabbeln auf sandigem Boden, die Hände der Frauen bei der Arbeit, dann wuchtige Baumlandschaften, abgelöst von hektischen Straßenszenen.

Holzapfels Produktionsweise ist bedenklich. Er, der Arbeitgeber, der prestigeträchtige Künstler, sie, die Arbeitnehmerinnen, Produzentinnen seiner Werke, kooperieren binnen zweier völlig unterschiedlicher Wirtschaftssysteme, eingespannt in einem globalen Nord-Süd-Gefälle. Holzapfel kennt diese Kritik, sie begegne ihm in letzter Zeit öfter, sagt er. Allerdings vor allem hier – in Deutschland.

Vor Ort seien die Weberinnen froh über die Arbeit: „Die Frauen verdienen so besser als in der besten Boutique in Buenos Aires.“ Sie könnten selbstbestimmter leben, die Ausstellungen verliehen ihrer Arbeit ein höheres Ansehen.

Olaf Holzapfel hat es früh in die Welt gezogen, nach Indien und Japan

In den vergangenen Jahren hatte der Berliner Künstler drei Shows in Argentinien. Teresa Gutiérrez war jedes Mal eingeladen, der Film über ihre Arbeit wurde immer begleitend gezeigt. „Wir machen es uns zu einfach, wenn wir aus unserer europäischen Perspektive immer denken, genau über die Welt Bescheid zu wissen“, sagt Holzapfel.

Ihn hat es schon früh ins Ausland gezogen. 1967 in Dresden geboren, studierte er an Akademie seiner Heimatstadt Malerei. Es folgte ein Forschungsaufenthalt in der indischen Millionenstadt Ahmedabad. „Ich wollte die Quellen verstehen, wo Dinge herkommen. Die 68er kann man nicht ohne Indien denken, Bauhaus wäre nicht vorstellbar ohne japanische Architektur.“

Der Künstler verbrachte Zeit in Tokio, suchte nach Rastern, Leitlinien und Koordinatensystemen in der hektischen Stadt. Es entstanden abstrakte Netze, Bilder am Computer, die aussehen wie das Arrangement elektronischer Beats in einem Musikprogramm. 2009 lud ihn das Goethe Institut ein, Buenos Aires künstlerisch zu erkunden. Seine Arbeiten bestehen seither meist aus organischen Materialien: aus Holz, Stroh oder Heu.

Bei der Documenta erregte seine Fachwerkkonstruktion Aufmerksamkeit

Bei der Documenta 14 präsentierte Holzapfel 2017 ein dreiteiliges Werk mit dem Titel „ZAUN“, in dem es um Grenzräume, Innen und Außen, Stadt und Land ging. Seine Fachwerkkonstruktion in der Kasseler Karlsaue fand starke Beachtung. In einem Interview ein Jahr zuvor konstatierte er: „Ich glaube, dass Luxus per se ökologisch ist.“ Aufwendige Architektur oder gute Kleidung bedeute eigentlich immer, dass man viel Arbeitskraft binde. „Man stellt Dinge her, die man lange gebrauchen will, die man also nicht schnell produziert, die einen langen Wert und eine Dauerhaftigkeit haben. Und das ist ja auch etwas, was ein gutes Kunstwerk auch ausmacht.“

[Schwartzsche Villa, Grunewaldstr. 55, bis 2. 5.; Mo bis So 10 – 18 Uhr. Besuch nur mit Zeitfensterticket und einem tagesaktuell bescheinigten, negativen Ergebnis.]

Ein „Chaguarbild“ ist demnach Luxus. „Die Frauen müssen sich dafür Zeit freischaufeln“, sagt Holzapfel, das dauere Wochen und Monate. Der Transport nach Deutschland sei umständlich. Das kleine Päckchen wird im Bus in die Regionalhauptstadt Resistencia gefahren, „von dort muss es dann jemand nach Buenos Aires bringen.“ Dort wird es wiederum abgeholt und zur Post gebracht. Das seien alles „sehr informelle Strukturen“, so Holzapfel.

Auf sehr langsamen Wegen kommen die gewebten Bilder in Berlin an

Der Künstler muss warten, kann wenig eingreifen. Aber er mag die Gegensätze, wie er bekennt. Dass die Frauen im ländlichen Chaco seine abstrakten Entwürfe von Städten weben, sei so einer. Im Begleitvideo zur Ausstellung tanzt eine leere Plastiktüte im Wind über einen Bürgersteig. Die Tüte ist Aneignung und Eingriff – Stadt, Mensch, Zivilisation. Sie wirkt vertraut und abstoßend zugleich, eine starke Szene.

Holzapfel beherrscht Ästhetik, Widerspruch und Konzeption. Die Fragen, die seine Vorgehensweise aufwirft, schweben darüber. Wird hier Raum gegeben oder angeeignet? Schafft der Künstler Ermächtigung oder Abhängigkeit? Darauf gibt es wohl keine eindeutigen Antworten, nur Diskurs. Die „Chaguarbilder“ können dafür als Anlass dienen.

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