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Die Berliner Musikerin Cäthe, 32.

© Thorsten Dirr

Porträt der Sängerin Cäthe: Zu den leisen Tönen streunen

Sängerin und Songwriterin Cäthe hat gerade ihr drittes Album „Vagabund“ veröffentlicht. Eine Begegnung.

Schnell noch eine rauchen. Cäthe setzt sich auf die Bank vor einem Eckcafé in Friedrichshain. Sie zündet sich eine Zigarette an und bläst Dunstwölkchen in die kühle Herbstluft. Versonnen blickt sie zur gegenüberliegende Straßenseite, wo der Berliner Nachmittagsalltag über schiefes Kopfsteinpflaster stolpert.

Was wohl jetzt in Cäthes Kopf vorgeht? Ob die Szene schon was hergibt? So in etwa muss es zumindest aussehen, wenn die Sängerin arbeitet. Wenn sie über neue Texte und Lieder nachdenkt. Sie lässt sich dann durch den Tag treiben. Saugt das Raunen der Stadt auf den Straßen oder im Café auf, die Geräusche, Bilder und Stimmungen. Das kann die Plauderei von Passanten sein oder der Baum mit den roten Blättern am Wegrand. Ihre Eindrücke und Beobachtungen notiert sie in einem schwarzen Büchlein. Es ist ihr Kaleidoskop der Momentaufnahmen.

Das schwarze Büchlein hat Cäthe, die eigentlich Catharina Sieland heißt, auch an diesem Nachmittag dabei. Es liegt während des Gesprächs neben ihr, falls sie was notieren muss. „Vagabund“, ihre dritte Platte, ist Anfang Oktober erschienen, aber das Ideensammeln geht natürlich weiter. Sie kann nicht anders, seit knapp 20 Jahren schon. Damals ist sie zwölf und lebt mit ihrer Familie im baden-württembergischen Aalen, als sie eine erste Ahnung davon bekommt, was Musik in Menschen auslösen kann. Auf einer Autofahrt mit ihrem Vater läuft im Radio „Mercedes Benz“, die Antikapitalismus-Hymne von Janis Joplin. Ein Erweckungserlebnis. Cäthe ist „völlig geplättet von dieser Stimme“. Den englischen Text versteht sie kaum, aber dass da jemand gehört werden will, ist ihr trotzdem sofort klar.

Die Lieder von Janis Joplin und anderen Woodstock-Künstlern begleiten Cäthe durch die Pubertät, später kommt Aretha Franklin hinzu. „Ich fühlte mich von denen sehr verstanden“, sagt sie. Cäthe schreibt Tagebuch, träumt vor sich hin, lernt Gitarre spielen und will nur eins: singen und selbst Musik machen. Was es dafür braucht und wie das geht, lernt sie mit 19 an der Musikfachschule. Zwei Jahre Gesangsunterricht, Gehörbildung, Textkomposition. Die ersten Ideen sind noch auf Englisch, „aber ich wusste, das ist noch nicht rund“. Also schwenkt sie auf Deutsch um. Weil ihr die Sprache steht, wie sie findet. Und weil der Klang ihr gar nicht so hart vorkommt, wie gemeinhin angenommen. „Es ist eine Frage des Herangehens. Für mich ist Texten wie Modellieren. Ich bearbeite die Worte so lange, bis die Form stimmt.“

Chansons und Udo Jürgens haben sie geprägt

Auf der neuen Platte tut sie das. Das Cover von „Vagabund“ zeigt Cäthe mit Schlapphut und offenem Blick – ein großes Mädchen, das neugierig sich und seine Umgebung erkunden möchte. Im Titelstück heißt es: „Du erinnerst mich an ein Kind, das nicht schlafen will / Deine vielen Füße streunen Richtung Fluss / Was für ’ne wilde weite Welt, selten hältst du still / Und dann auch nur, dann auch nur weil du musst.“ Zunächst hört man nur leise eine Akustikgitarre, später kommen Klavier, Bläser und Harmonikaorgel hinzu. Das anfängliche Säuseln von Cäthes Stimme steigert sich ins Energische und die Frage: „Ist denn nicht jeder mal ein Vagabund?“ In diesem Moment erinnert die Sängerin ein wenig an Marius Müller-Westernhagen, auch wenn sie den im Gespräch nicht als Referenz erwähnt. Stattdessen redet sie über Chanson und Udo Jürgens. „Der hat mich geprägt, das ist in mir drin.“

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Chanson nimmt man ihr sofort ab, auch wenn ihre raue, kräftige Stimme wohl eher fürs Rockige oder den Blues prädestiniert ist. Wer sich in die zwölf Stücke hineinhört, der kann sich schnell für die ruhigeren Nummern begeistern. Für „Foto im Portemonnaie“ etwa, das die Trennung ihrer Eltern behandelt. Oder für „Junge aus Sand“, das von einem Strandausflug erzählt und ausschließlich mit Gitarre begleitet ist. Die leisen Töne stehen ihr gut. Dass sie die anderen ohnehin beherrscht, hat sie bereits mit ihrem Debüt „Ich muss gar nichts“ vor vier Jahren bewiesen. So trotzig wie der Titel vermuten lässt, klingt Cäthe damals auch. Im schwarz-weißen Clip zu „Unter meiner Haut“ sieht man sie in Lederjacke herumlaufen, bebend, entschlossen, zu allem bereit. Manche Kritiker hat sie an Alanis Morissette erinnert.

Erst zieht Cäthe nach Hamburg, dann nach Berlin

Als die Überdrehte gilt sie schon bei ihren Mitschülern an der Musikfachschule. Wirklich wohl fühlt sie sich in dieser Rolle nicht. Was sie will, ist Musik machen und auf der Bühne stehen. Nur die Lieder anderer Musiker zu covern ist ihr bald zu wenig. Und doch geht es irgendwann nicht mehr weiter. Also zieht sie nach Hamburg. In einen dieser Sehnsuchtsorte deutscher Künstler. Wer hier Fuß fasst, der verschafft sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch im Rest der Republik Gehör.

Cäthe kommt mit zwei Koffern und dem Vorsatz, einen mehrwöchigen Popkurs zu belegen. Eine Kontaktbörse für Gleichgesinnte. Sie findet Anschluss, lernt andere Musiker kennen, „Leute, die Lust hatten zu experimentieren“. Gisbert zu Knyphausen zum Beispiel, mit dem sie ein Duo gründet. Braut und Degen nennen sie sich und singen melancholische Lieder. Bis Cäthe beschließt, allein weiterzumachen. Ab da geht dann alles recht schnell: das Debüt, der Applaus, die zweite Platte „Verschollenes Tier“. Bryan Adams nimmt sie mit auf Tour, im Fernsehen singt sie mit den Scorpions. Die Rechnung ist aufgegangen, Hamburg hat sie groß rausgebracht.

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Seit anderthalb Jahren lebt Cäthe nun in Berlin. Es sei Zeit für einen Tapetenwechsel gewesen: „Ich wollte neue Gesichter und Straßen sehen“. Sie landet in Friedrichshain, die ersten Monate sind schwer. Anfangs macht die Stadt ihr Angst. Sie erscheint ihr zu groß, hart und wuchtig. Doch das legt sich irgendwann, mittlerweile hat sie sich hier gut eingelebt. Hat Berlin ihren Sound beeinflusst? „Ich glaube, es hat vor allem mich verändert“, sagt Cäthe. Die Energie, die Vielfalt an Eindrücken, das ständige Flirren: Die 32-Jährige ist dadurch zu einer noch aufmerksameren Beobachterin geworden. Wahrscheinlich wird sie hier noch viel in ihr schwarzes Büchlein schreiben.

„Vagabund“ ist bei Deag Music erschienen. Cäthes Konzert (6.11., 20 Uhr, Kesselhaus) fällt krankheitsbedingt aus.

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