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Frei, hübsch, leicht und losgelöst. Das ist das Motto von Anitta.

© Fernando Tomaz

Porträt der Sängerin Anitta: „Ich spiele gern das Luder“

Feminismus auf brasilianisch: Sängerin Anitta ist auf dem Weg zum Megastar. Dafür setzt sie ausgiebig ihren Körper ein. Jede Frau habe dazu das Recht, sagt sie. Ein Hausbesuch in Rio.

Die vierspurige Avenida das Américas führt schnurgerade in den Westen Rio de Janeiros. Hinter dem verwaisten olympischen Golfplatz biegt man in eine der exklusivsten Wohnanlagen Brasiliens ein. Von außen nicht zu sehen, sind die Anwesen hier noch ein bisschen ausgedehnter, die Villen noch ein bisschen protziger.

Man kurvt noch ein wenig herum, dann steht man vor einem sehr rechteckigen und sehr weißen Haus. Hier wohnt sie: Larissa de Macedo Machado alias Anitta. Die 24-Jährige ist nicht nur die angesagteste Popsängerin Brasiliens, sondern gerade dabei, in die globale Riege weiblicher Megastars mit Beyoncé, Shakira und Rihanna aufzusteigen.

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Bei Instagram, dem unter Jugendlichen wohl beliebtesten sozialen Netzwerk, folgen Anitta fast 30 Millionen Menschen. Bei Facebook hat sie 14 Millionen Anhänger, bei Twitter rund sieben Millionen. Auf YouTube wurden ihre Clips 2017 mehr als 1,5 Milliarden Mal angeklickt, und beim Streamingdienst Spotify hat sie erstmals einen Song auf Portugiesisch unter die Top 20 verfrachtet.

Nicht-Brasilianern dürfte Anitta bei der Olympia-Feier in Rio aufgefallen sein, als sie mit den beiden Tropicalismo-Legenden Caetano Veloso und Gilberto Gil auftrat. Ihren überwältigenden Erfolg hat sie aber vor allem einer Person zu verdanken: sich selbst.

Sie repräsentiert einen neuen Typ Frau

Anitta ist ihre eigene Managerin, entscheidet über ihre Karriere im Alleingang. Um im Rest Amerikas zu reüssieren, lernte sie Englisch und Spanisch und suchte sich strategisch Partner wie den kolumbianischen Reggeaton-Star J Balvin. Anitta hatte überlegt, warum brasilianische Popkünstler international fast nie bekannt werden. 1989 gab es den „Lambada“, danach kam zwei Jahrzehnte lang fast nichts. Sie kam zu dem Schluss: „Es liegt an der Sprachbarriere.“

Mit diesem unternehmerischen Selbstvertrauen repräsentiert Anitta in Lateinamerika einen neuen Typ Frau. Gerade erst wurde sie auf eine Vorlesungsreihe nach Harvard eingeladen. Weitere Gäste waren die Generalbundesanwältin und der Präsident der Zentralbank Brasiliens. Anitta sprach über Erfolg, die Zuschauer applaudierten ihr stehend.

Zum Gespräch lädt Anitta in ihr Heim und nicht in eine Hotelsuite wie bei Popstars ihres Kalibers meist üblich. Als man das weite Wohnzimmer betritt, sitzt sie im Schneidersitz auf einem großen Sofa, trägt kurze Jeans, ein Schlabber-T-Shirt und eine blonde Mähne. Hinter ihr hängen die Pop-Art-Porträts von Amy Winehouse, Madonna und Marylin Monroe an einer Klinkerwand. Es wirkt leicht kitschig, macht aber Anittas Anspruch deutlich, die Ahninnenreihe, in der sie sich sieht. Sie springt auf, umarmt den Gast, Küsschen links, Küsschen rechts, fragt: „Tudo bem, querido?“ (Alles gut, mein Lieber?). Es ist die in Formeln gegossene brasilianische Herzlichkeit.

Trotz Megastar-Status ein herzlicher Familienmensch

Es folgt eine Vorstellungsrunde. Da sind noch: Anittas Ehemann, ihre Mutter, ein Bruder, eine Haushälterin und fünf kleine Kläffer. Sie alle wohnen hier, und man versteht, warum Anitta zu sich eingeladen hat. Sie ist trotz Megastar-Status ein Familienmensch geblieben, hat ihren kleinen Clan aus dem armen Arbeiterviertel Honório Gurgel im Norden Rios hierherverfrachtet, ins soziale und geografische Gegenstück. Krasser könnte der Kontrast nicht sein. Anittas Mutter wird später sagen: „Sie wusste schon mit zwölf, was sie wollte.“

Die familiäre Gemütlichkeit widerspricht dem Image, das Anitta sich zugelegt hat. Auch darin ist die Frage angelegt: Was macht eine moderne, selbstbestimmte Frau aus? In Ihren Videos präsentiert sich Anitta meist als sexy Verführerin. Sie schwenkt ausführlich und eindeutig ihr Hinterteil, ein Tanzstil, der mit dem Funk aus den Favelas populär wurde. Sie wirft mit lasziven Blicken um sich, macht die Männer reihenweise verrückt.

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Das Video zu ihrem letzten Hit führte dann auch zu hitzigen Debatten. „Vai Malandra“ (Los geht’s, Luder!), ein typischer brasilianischer Funk, spielt in der Favela Vidigal. Ganz zu Anfang steigt Anitta auf ein Motorrad, während die Kamera in Nahaufnahme ihren Hintern ins Visier nimmt, den brasilianischsten aller Körperteile. Doch was ist da zu erkennen? Cellulite!

Manche Feministinnen sahen darin ein Bekenntnis zum weiblichen Körper mit seinen vermeintlichen Fehlern. Es handle sich um einen neuen, sexuell-selbstbewussten Feminismus. Andere widersprachen: Auch Anitta degradiere den weiblichen Körper zum Objekt. Kein Mädchen in der Favela würde von ihrem wackelnden Hintern dazu animiert, zu lesen und sich zu bilden.

Tatsächlich ist das ein wichtiger Punkt, doch vor eindeutigen Positionierungen schreckt die Sängerin zurück. „Ich will durch mein Image positiv Einfluss nehmen“, sagt sie. Sie meint, dass ihr Auftreten als Frau, die sich nicht von Konventionen einengen lässt, auf ihre weiblichen Fans abfärbt. Anitta als angesexte Variante von Pippi Langstrumpf. Dass das in Brasilien, dessen Schulen nicht gerade zur kritischen Wahrnehmung erziehen, immer so ankommt, kann allerdings bezweifelt werden.

Bei der Debatte ging etwas unter, dass das Video einen realistischen Blick auf die Favela mit ihren grauen Häuserlabyrinthen wirft – ein Bild, das in Brasilien gerne versteckt wird. In Harvard sagte Anitta: „Es ist die Realität. Und wer aus dieser Realität stammt, singt eben nicht über schöne Sonnenuntergänge am Beach, sondern über Armut, Sex und Drogen.“

Und so rekelt sich Anitta nicht etwa in einem Luxuspool, sondern in einem Planschbecken auf einem unfertigen Häuserdach. Und ihr Bikini besteht aus schwarzem Klebeband, um die Bräunungsstreifen zu akzentuieren. Manche lasen das als ironischen Kommentar auf die Angeberei amerikanischer Rapper mit dicken Autos und schweren Goldketten.

Mit der Popo-Kontroverse kann Anitta denn auch nicht wirklich etwas anfangen. Sie sagt, dass jede Frau das Recht habe, so mit ihrem Körper umzugehen, wie sie es wolle, ohne dafür verurteilt zu werden. „Schau mal“, sagt sie, „ich bin verheiratet, da drüben sitzt mein Mann, aber ich spiele einfach gerne das Luder und kreise mit dem Hintern. Habe ich nicht das Recht dazu?! Und sollte nicht jede Frau das Recht haben?!“

Pop als Verkleidung und Spiel mit Sexualität

Zu Anittas Recht gehört auch, dass sie sich einem Dutzend Schönheitsoperationen unterzogen hat. „Ich habe meine Nase, meine Brüste und einiges andere machen lassen“, sagt sie. Es brachte ihr, der Tochter einer Weißen und eines Schwarzen, den Vorwurf ein, sich den stereotypen Schönheitsidealen der weißen Oberschicht unterwerfen zu wollen. Sie lacht, als sie das hört, sagt, dass sie ihre eigenen Schönheitsideale habe.

Zumal der Vorwurf mit „Vai Malandra“ dann ins Gegenteil umschlug. Nun hieß es, sie wolle sich mit ihren geflochtenen Zöpfen in eine Schwarze zurückverwandeln, weil das gerade in sei. Erneut muss Anitta lachen. „Ich bin doch eine Schwarze“, sagt sie. „In den US-Südstaaten hätte ich in den Fünfzigern ganz hinten im Bus sitzen müssen.“

Anitta, so viel ist klar, lässt sich nicht festlegen. Ihre liquides Image, ihre Wandelbarkeit, ihr Gespür für Aufreger gehören zu ihrer Vermarktungsstrategie. Das war bei Madonna nicht anders. Der Pop ist nicht zuletzt dank ihr immer auch Oper, Verkleidung und Spiel mit der Sexualität. In einem Song, den Anitta mit der Dragqueen Pabllo Vittar aufgenommen hat, heißt es: „Frei, hübsch, leicht und losgelöst.“ Es ist Anittas Motto. Sie lebt vor, was für viele Frauen in Brasilien absolut keine Selbstverständlichkeit ist.

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