zum Hauptinhalt
Die Berliner Musikerin Louise Gold

© Grandmaster Pitch

Porträt der Musikerin Louise Gold: Das Rodeo-Girl

Sehnsucht nach Weite: Die Indie-Musikerin Louise Gold hat aus einem Arizona-Trip ein Album gemacht – und ein Parfum. Am Sonntag stellt sie die Songs von „Terra Caprice“ live im Roten Salon vor.

Oh je, alles so grau hier in Kreuzberg an diesem Freitagvormittag. Der Himmel, die Straßen, das allgemeine Befinden. Nur Louise Gold leuchtet schon von Weitem, als sie sich dem HAU-Café am Halleschen Ufer nähert. Der Kragen ihrer dicken hellbraunen Jacke ist bis zum Kinn hochgezogen, die rotblonden Haare am Hinterkopf zum kunstvollen Steckwerk gebändigt, ein strahlendes Lächeln im Gesicht. Muss an der Sonne liegen, die sie noch bis vor zwei Tagen im Urlaub auf Gran Canaria getankt hat.

Einfach mal fliehen! Vor dem Winter, der Jahresanfangslethargie, dem ewig Gleichen. Und es passte ja auch prima. Louise Gold war mit den Arbeiten an ihrem neuen Album gerade fertig geworden, da bot sich der Kurztrip in den Süden an. Zumal sie so was noch nie zuvor gemacht hatte: vor der Kälte flüchten. Hat gut getan, sagt die Sängerin. Und weil die Erinnerungen noch so frisch sind, kann man schon mal grinsen.

Ständig Berlin – das kann einem auf Dauer ja auch auf die Nerven gehen. Vor allem wenn man hier schon seit über 20 Jahren lebt. Gerade mal 17 war Louise Gold, als sie ihre Heimatstadt Potsdam verließ, denn ein paar S-Bahn-Stationen gen Osten lag ein Versprechen in der Luft: Wenn du jung bist und den Kopf voller Ideen hast, dann kannst du sie hier verwirklichen. Die erste eigene Wohnung in Friedrichshain. Ein Zimmer für 80 Mark, das Klo eine Treppe tiefer. Egal. Kleine Miete, große Träume.

Als Kind hatte sich Louise das Gitarrespielen selbst beigebracht. Dass damit der Grundstein für eine Karriere als Musikerin gelegt war, ahnte sie bei ihrer Ankunft in Berlin Anfang der 90er Jahre nicht. Das Einzige, was ihr zu dem Zeitpunkt klar war: dass die Friseurinnenausbildung, die sie ihren Eltern zuliebe angefangen hatte, nicht ihr Leben sein würde. Eine verpatzte Abschlussprüfung tat ihr Übriges – die verdammte Dauerwelle wollte einfach nicht gelingen. Louise Gold nahm’s locker. Den Leuten die Haare machen war eh nicht ihr Ding.

Musik dafür schon. Kate Bush sang den Soundtrack zu ihrer Kindheit und frühen Jugend, die von Freunden überspielte Kassette lief in Endlosschleife. Der Vater, ein Fernfahrer, hatte Louise früh für Country-Musik begeistert; die Mutter, eine Polizistin, hörte am liebsten amerikanischen Rock, das prägt. Singen, eigene Lieder schreiben, auftreten: Das wär’s, dachte sich die Zwanzigjährige. Nur mit der Aufnahme an der Popakademie oder der UdK wollte es nicht klappen. „Klatschen Sie bitte einen Dreiklang“, hieß es beim Eignungstest. Die aufgeregte Bewerberin versagte, denn „technisch bin ich überhaupt nicht versiert, ich arbeite intuitiv“. Aber an Rückschlägen wächst man bekanntlich. Und so nahm Louise Gold einfach privaten Gesangsunterricht.

Selbst ist die Frau, das trifft vielleicht auf niemanden besser zu als auf die heute 40-Jährige. Neugier und Begeisterungsfähigkeit treiben sie an. Der Wille, Grenzen auszuloten, oder besser noch – zu überschreiten. Das war schon so, als Louise Ende der 90er das Trip-Hop-Projekt Recorder gründete und ihre Stimme über gebrochene elektronische Beats legte. Fünf Jahre lang, meist bei selbst organisierten Konzerten in einer Bar, die sie mit Freunden auf einem Brauereigelände in Prenzlauer Berg betrieb. Alles halb legal, natürlich. Bis das Areal kurz nach der Jahrtausendwende von einem Investor aufgekauft wurde und der Laden schließen musste.

Nach ihrer Barzeit wurde Louise Gold erstmal Jazzsängerin

„Es war dann auch gut“, sagt die Sängerin, „ich hatte nicht vor, mein Leben lang Barschlampe zu sein“. Hinzu kam, dass sich Wegbegleiter Daniel mehr auf seine Theatermusik konzentrieren wollte. Recorder war Geschichte. Dafür trieb der Zufall Louise Gold eine Weile später in eine völlig neue Richtung. Sie lernte den Musiker Hans Quarz kennen, mit ihm und seinem zehnköpfigen Orchester probierte sie sich im Jazz aus. 2012 erschien das gemeinsame Album „Debut“, die Kritik war von der Novizin begeistert. Dabei plagte diese sich anfangs mit Selbstzweifeln: „Ich bin ja eigentlich keine Jazzsängerin. Ich hätte mir das gar nicht zugetraut.“ Es wurde dann trotzdem gut.

„I am the dolphin man / my webfooted self, left on the shelf“, singt Louise Gold nun im Eröffnungsstück ihres neuen Albums „Terra Caprice“. Es ist das erste, die sie allein unter ihrem eigenen Namen veröffentlicht. Den „Dolphin Man“ mit den Schwimmhäuten an den Füßen, um den es im Opener geht, muss man sich als einen Einzelkämpfer in der Tradition amerikanischer Superhelden vorstellen. Als den kleinen Bruder von Spiderman oder Batman. Eine Figur, die über außergewöhnliche Kräfte und Stärken verfügt. „Als ich das Lied geschrieben habe“, erzählt Louise, „dachte ich mir, es wäre doch toll, wenn man so ein Übertier wäre“.

Das Übertier als Alter Ego: Im Laufe der Platte begibt es sich auf einen Selbsterfahrungstrip. Es begegnet Cowboys und heulenden Wölfen, erinnert sich an seine Kindheit und landet im Titelstück an einem sturmumtosten Ort, einem wahr gewordenen Alptraum. Die elektrische Gitarre klingt dreckig und verzogen, die Drums scheppern unerbittlich, eine Orgel gibt dem wilden Treiben den Rest. Es ist schwer, sich diesem Sog zu entziehen.

In den USA kam die Sängerin kaum aus dem Staunen heraus

Entstanden ist ein Großteil der Platte während eines Roadtrips durch den Westen der USA, genauer durch Arizona, und das merkt man ihr auch an: Die Stücke changieren zwischen Pop, White Soul, Folk-Rock und Americana, gelegentlich fühlt man sich vage an die Carpenters erinnert. Die Staaten, sagt Louise Gold, seien für sie schon immer ein Sehnsuchtsort gewesen. Die Weite. Die gefühlten Möglichkeiten. Die ewige Verheißung der Selbstverwirklichung. „Das alles macht was mit einem. Ich war dort die ganze Zeit nur am Staunen.“ Beeindruckend fand sie vor allem den Alltag. Die Rodeos. Die Viehmärkte. Die Traditionen. „Ich habe nicht daran geglaubt, dass es tatsächlich Cowboys gibt. Ich dachte, das wäre Erzählfolklore.“ Nun ist sie eines Besseren belehrt.

Und dann waren da noch die vielen fremden Gerüche. Nach ihrer Rückkehr begab sich Louise Gold deshalb auf die Suche nach jemandem, der ihre Erinnerungen, ihre Musik in einen Duft übersetzt. In Dresden wurde sie fündig. Ein halbes Jahr lang tüftelte sie mit einem Parfümeur an der Zusammensetzung. Das Eau de Toilette riecht nach süßlichen Kaktusfeigen und ein ganz klein wenig nach Reifengummi, es ist in 50-Milliliter-Flacons abgefüllt und soll auf Konzerten verkauft werden. Wer will kann „Terra Caprice“ nicht nur hören, sondern auch riechen.

Das Album erscheint am 30. Januar bei RaR/Motor. Release-Party ist am Sonntag um 20 Uhr im Roten Salon der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false