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Die Berliner Musikerin Charlotte Brandi.

© Helen Sobiralski

Porträt der Musikerin Charlotte Brandi: Als ich hundert Jahre alt war

Charlotte Brandi hat das Synthie-Pop-Duo Me And My Drummer hinter sich gelassen. Und eine Beziehung. Nun tourt sie mit ihrem ersten Soloalbum.

Schon als Charlotte Brandi noch ein Kind ist und in Dortmund aufwächst, übt das heimische Klavier eine magische Anziehung auf sie aus. Sie kommt von der Schule nach Hause und setzt sich erst einmal ran, einfach nur spielen, mindestens eine halbe Stunde lang. „Ich musste alles loswerden“, sagt sie. Sie spielt Klavier, wie andere Tagebuch schreiben.

Das Haus gibt es mittlerweile nicht mehr, die Eltern sind umgezogen. Das Klavier gaben sie an Freunde, die es in ihr Lokal gestellt haben. Traurig ist Charlotte Brandi darüber nicht. „Klaviere werden schlechter mit der Zeit“, erklärt sie. Sie verzögen sich, die Hämmer nutzten sich ab. Das Klavierspielen jedoch ist ihr nach wie vor eine Notwendigkeit. Seit drei Jahren hat sie in ihrer Wohnung in Neukölln ein eigenes Instrument.

Seit neun Jahren wohnt Charlotte Brandi in Berlin

Darauf spielt und komponiert die Musikerin, was durchaus Fingerspitzengefühl erfordert. „Man ist gezwungen zu koexistieren mit den Nachbarn“, sagt sie. Der von oben ruft sie immer an und sagt: „Hör’ auf, es geht nicht. Du fängst an und dann hörst du wieder auf. Ich weiß nicht, worauf ich mich einstellen soll.“ „Ja“, antwortet sie dann, „das nennt man komponieren.“ Auf diese Weise ist die Platte „The Magician“ entstanden, die sie im Februar veröffentlicht hat. Ihr erstes Soloalbum, mit dem sie nun auf Tour geht. Am Freitag spielt sie im Silent Green Kulturquartier in Berlin.

Zum Gespräch hat es Charlotte Brandi nicht weit: Fünf Minuten sind es von ihr zum Treffpunkt, einem Café in der Hermannstraße. Sie trägt einen dunkelblauen Pulli, sportliche Hosen, wirkt durch und durch entspannt, lässt sich auch nicht aus der Ruhe bringen, als ein älterer, etwas verwahrloster Mann neben ihr auf der Bank Platz nimmt und unbedingt über ein 50 Jahre altes Album der Band Steppenwolf reden möchte. „Hier wird es nie langweilig“, kommentiert sie.

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Charlotte Brandi – Jahrgang 1986 – ist längst angekommen in Berlin. Neun Jahre wohnt sie inzwischen hier. Damals ist sie gemeinsam mit dem Schlagzeuger Matthias „Matze“ Pröllochs hergezogen. Die beiden hatten sich in Tübingen am Landestheater kennengelernt, wo sie für eine Produktion die Stageband gaben. Sie wurden ein Paar und machten sich auf nach Berlin, um es als das Synthie-Pop-Duo Me And My Drummer zu probieren.

Die beiden schaffen tatsächlich den Durchbruch und gehen groß auf Tour – zu dumm nur, dass zu diesem Zeitpunkt ihre Beziehung schon in die Brüche gegangen war. Das sei echt hart gewesen, sagt sie, „frisch getrennt direkt auf die Bühne und in einem Jahr über hundert Konzerte spielen.“ Brandi wirkt gefasst als sie das erzählt. Sie fixiert ihr Gegenüber mit ausdrucksstarken blauen Augen, selten huscht mal ein Lächeln über ihr Gesicht, selbst wenn sie einen Witz macht.

Ausgangspunkt für Brandi war die Musik von Serge Gainsbourg

Zwei Platten lang geht die Sache mit Me And My Drummer gut. Im vergangenen Jahr ist es Matze Pröllochs dann zu viel. Er löst die Band auf und beendet die Freundschaft gleich mit. „Das tat erst voll weh“, sagt sie, „aber ich hab’s gleichzeitig auch verstanden.“ Jetzt sei es Zeit, dass jeder seins mache. Für Pröllochs geht es zurück zur Theatermusik, nebenbei trommelt er bei verschiedenen Bands. Brandi wiederum kann sich ganz ihrem Solodebüt widmen, wobei sie die Arbeit daran schon 2015 begann. 2017 hat sie den Großteil aufgenommen und jetzt, nach dem Ende von Me And My Drummer, noch einige Stücke hinzugefügt, die eigentlich für die Band gedacht waren.

Herausgekommen ist ein Album, das voranströmt wie ein wohlbekannter Fluss. Kreativer Ausgangspunkt für Brandi war die Musik von Serge Gainsbourg: üppige Instrumentierung, „Streicherhimmel“, wie sie es nennt, plus eine Stimme, die mehr erzählt, als dass sie singt. Auf „The Magician“ gibt sie sich nicht so extrovertiert und überzuckert wie im „Thermalbad-Sound“ von Me And My Drummer.

Auch dieser Begriff stammt von Charlotte Brandi. Sie spricht gern und bildhaft von ihrer Musik, beschreibt Einflüsse und schwärmt von Vorbildern. Von PJ Harvey zum Beispiel. Noch deutlicher aber wird auf dem Album die kreative Verwandtschaft zu Feist, besonders beim zentralen Stück „Jenny In Spirit“ übernimmt sie deren zarte Phrasierung. Brandi singt mit sich selbst im Chor, darunter Streicher, dezentes Schlagzeug, Gitarrenakzente und immer wieder das obligatorische Klavier.

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Ganz selbstverständlich strömen die Songs aus ihr heraus, alles fügt sich ineinander, nichts schiebt sich in den Vordergrund. Brandi schafft schwerelose Pop- Melodien, nichts Niederschmetterndes, eher wohlige Melancholie, selbst wenn ein Stück wie das eröffnende „Veins“ von Trennungsschmerz getränkt ist: „I let you go/ I let the whole thing go/ I am a hundred years old/ and you are a newborn baby.“ Es ist schwer, diese Zeilen nicht als Abschiedsgruß an Pröllochs zu verstehen.

Mittendrin lässt sie auf „Sitting Bull“ allein das Klavier sprechen. Die Akkorde wirken bewusst unfertig, eine Atempause inmitten des wohlverfugten Albumgefüges. Derart improvisierend haben Me And My Drummer meist gearbeitet. „Ein bisschen wie beim Tennis“, beschreibt sie den Vorgang. Beide inspirierten sich gegenseitig, „ein sehr eingespieltes Team.“ Für die Arbeit an ihrer Soloplatte hat sie nun andere Partner gebraucht, die ihr die Bälle zurückspielen. Sie nennt sie die „Schatten der Vergangenheit“. Ihr war es wichtig, noch mal in die Emotionen zu schlüpfen, die sie während der Pubertät empfunden hat: „Isolation, Einsamkeit, Traurigkeit, Wut, aber alles auch abgemildert, als wäre es nur ein Traum“, sagt sie.

Die Eltern spielten beide in Bands

Auch damals schon war sie immer von Musik umgeben. Ihr Vater spielte in der NDW-Band Freiberg & Conditors, ihre Mutter in der Polit-Folk-Kombo Cochise. „Damit bin ich aufgewachsen: Proben im Wohnzimmer, ganz viel Musik auf Platte und CD, auf Konzerte gehen“, sagt Brandi. Dabei seien ihre „Hippie-Eltern“, wie sie sie nennt, leider nicht strikt genug gewesen, um ihr regelmäßigen Klavierunterricht zu verordnen. Noten lesen kann sie bis heute nicht.

Wenn sie nun mit ihrer Liveband auf Tour geht, bleibt das Klavier zu Hause in ihrer Neuköllner Wohnung. Alles andere wäre zu kostspielig. Sie könne auch nur mit vier Musikern touren, weil sie eine Förderung von der Initiative Musik bekommen habe, sagt sie. Auf der Bühne muss sie dann mit einem sogenannten Stage-Piano Vorlieb nehmen. Doch auch dem wird sie einiges anzuvertrauen haben.

"The Magician" ist bei PIAS erschienen. Konzert: 12.4., 20 Uhr, Silent Green Kunstquartier

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