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Die Musikerin Agnes Obel.

© PIAS

Porträt der Musikerin Agnes Obel: Undurchschaubar werden

Die dänische Wahlberlinerin Agnes Obel befasst sich in ihrem Kammerpop-Album „Citizen Of Glass“ mit Überwachung im Netz. Ein Treffen.

In einem alten Neuköllner Industriegebäude sitzt Agnes Obel und starrt eine kahle Betonwand an. Ihre Stimme hallt nach, als sie die Besonderheit dieses Ortes hervorhebt: „Hier im Schwuz gibt es nicht mal Netz für dein Telefon. So was mag ich“, sagt die 36-Jährige, die 2006 in der Nähe des heutigen Schwuz-Standorts eine Wohnung mietete.

Dabei war es ein Werbespot für Telekommunikation, der Agnes Obel 2009 zum Durchbruch verhalf. Für die wohltemperierte Atmosphäre in dieser Werbung sorgte ihr Song „Just So“ – eine Piano-Gitarren-Ballade, die zu Obels Markenzeichen geworden ist. Ihr Soundmix aus Kammermusik und melancholischem Pop hat ihr Debütalbum „Philharmonics“ erfolgreich gemacht. Über eine Million Mal ist Obels Erstling verkauft worden.

Dass die gebürtige Kopenhagenerin sich über fehlenden Handyempfang in einem Berliner Club freut, passt gut zum Thema ihres dritten Albums „Citizen Of Glass“. Den Begriff „Gläserner Bürger“ gibt es in ihrer Heimat nicht. Dort sei man viel zu technikbegeistert, findet Obel: „In Dänemark hat die Überwachung durch die NSA überhaupt keine Diskussionen ausgelöst. Das finde ich sehr problematisch.“

Ein Konzeptalbum zum "Gläsernen Mensch"

Angeregt durch Berichte über den Whistleblower Edward Snowden in den deutschen Medien begann Agnes Obel 2014 an einem Konzept-Album zu schreiben: „Ich stieß immer wieder auf diesen Begriff ‚Gläserner Mensch’. Ich fand das Bild großartig: Kann man durch uns hindurchsehen wie durch Glas? Und was folgt daraus? Nehmen wir uns selbst auf eine verdrehte Weise wahr, weil ständig andere auf uns schauen?“

Das aktuelle Album von Agnes Obel gibt keine Antworten auf solche Fragen. Songs wie „Familiar“ oder „Trojan Horses“ vertiefen – begleitet von dramatischen Streichern und klappernden Percussions – eher das unbehagliche Gefühl, im Netz viel zu viel preiszugeben.

Da hilft es, hin und wieder hinter der Betonwand eines Clubs abzutauchen. Für Agnes Obel ist Berlin deshalb nicht nur ein guter Ort für ihre kreative Entfaltung, sondern auch ein Fluchtpunkt im Zeitalter von Big Data: „Genau das macht Berlin für mich aus. Es ist mein Dreh- und Angelpunkt. Eine chaotische Stadt, eine multikulturelle Stadt. Eine Stadt, in der du abtauchen kannst, während sich gleichzeitig die unterschiedlichsten Räume öffnen. Mich fasziniert zum Beispiel, wie sehr sich Neukölln, wo ich wohne, von Oberschöneweide unterscheidet, wo ich mein Studio habe. Das ist ein echter Stadt-Land-Kontrast.“

Obel hat noch einen anderen Weg gefunden, sich unkenntlich zu machen. Sie schlüpft auf ihrem neuen Album in verschiedene Rollen, singt mit mehreren Stimmen. Im Song „Familiar“ geht sie dabei am weitesten und konfrontiert sich mit einer tiefergelegten, männlich klingenden Version ihrer Stimme. Dieser Song mit der größten Dichte und Spannung ihres Albums reiht sich gut ein in die Rollenspiele von Elektropop-Musikern wie Bon Iver, Låpsley oder James Blake.

Mit dem Instrumentarium ihres neuen Albums bewegt sich Agnes Obel denn auch vorsichtig auf Elektromusik zu. Der Sound ihres Klaviers hat der Kopenhagenerin für „Citizen Of Glass“ nicht mehr gereicht, und sie war von Anfang an auf der Suche nach etwas Neuem. Dabei ist sie auf ein altes Instrument gestoßen. Ein Freund, der von ihrer Vorliebe für Hitchcock-Filme wusste, machte sie auf das Trautonium aufmerksam. Ein schwer zu spielendes und rätselhaftes elektroakustisches Instrument mit einer langen Metallschiene, die in Schwingungen versetzt und mit Effekten gekoppelt wird. Der Düsseldorfer Pionier Friedrich Trautwein stellte diesen Vorläufer des Synthesizers 1930 erstmals vor, meisterhaft gespielt wurde es vom Berliner Komponisten Oskar Sala.

Ein Song thematisiert ihre depressive Seite

„Ich fand heraus, dass ich bestimmte Stimmungen mit dem Trautonium erzeugen und dadurch Streicher und Chöre ersetzen konnte“, berichtet Obel fasziniert vom Sound des historischen Instrumentes: „Es ist schön anzuhören, aber auch unbehaglich.“ So unbehaglich, dass Alfred Hitchcock seinerzeit für seinen Thriller „Die Vögel“ Trautonium-Sounds von Oskar Sala entwickeln ließ.

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Am effektvollsten hat Obel das Instrument beim Song „It’s Happening Again“ eingesetzt. Fast unmerklich schleichen sich bei diesem Song die Missstimmungen ein, das Piano-Streicher-Gefüge gerät in Schieflage. Es ist der Sound für eine besonders schmerzhafte Erfahrung in Obels Leben: Ihr Vater Ole starb 2014. Er litt Zeit seines Lebens an schweren Depressionen und seine Tochter beschreibt in „It’s Happening Again“ nun, wie diese Krankheit auch in ihr schlummert: „Bei mir ist es nicht so schlimm, wie es bei meinem Vater war. Doch auch bei mir gab es immer wieder Phasen, in denen ich niedergeschlagen war. Ich konnte immer spüren, wenn es losging. Du wachst dann morgens auf mit dem Gefühl: Jetzt ist es wieder so weit. Es ist wie eine dunkle Wolke, die auf einmal da ist, die mir Angst macht. Und darüber wollte ich ganz direkt schreiben. Ohne – wie ich das sonst gerne mache – abzuschweifen.“

Die Mutter spielte Klavier, der Vater sammelte Instrumente

Gläsern werden bekommt in diesem Fall eine positive Bedeutung für Obel, denn mit „It’s Happening Again“ geht das erlösende Gefühl, etwas Schmerzhaftes endlich zeigen zu können, einher.

Der Abschied von ihrem Vater wiegt auch in musikalischer Hinsicht schwer. Während Agnes Obel in ihrer Kindheit Mama Obel beim Vorspielen von Chopin und Bartok lauschte, konnte sie ihrem Papa beim Sammeln von Instrumenten zuschauen. Alles durfte ausprobiert werden: Klaviere, Gitarren, Marimbas, Kontrabässe und jede Menge obskures Zeug. Ein Trautonium fehlte allerdings in Papas Sammlung. Das gehört nun zum Berliner Instrumentenpark seiner Tochter.

„Citizen Of Glass“ ist bei PIAS erschienen. Konzert: Admiralspalast, 14.11., 20 Uhr (ausverkauft)

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