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Karin Schöning erhielt den Preis für ihr Lebenswerk auf dem Kölner Filmfestival Edimotion.

© Jule Gulder/Edimotion

Porträt der Editorin Karin Schöning: Die Komplizin

Seit Defa-Zeiten montiert die Karin Schöning Dokumentarfilme. Jetzt wird die Berlinerin für ihr Lebenswerk geehrt.

Anschwellende Streicherklänge zu Vogelschaubildern einer Flussschleife mit Wäldern und Burg. Eine schmelzende Stimme singt von den „Burgen stolz und kühn“, die „an der Saale hellem Strande“ stehen. Doch schon nach ein paar Sekunden führt ein Schnitt vom romantischen Flusspanorama auf die Plattenbau-Kolosse einer DDR-Neustadt.

Dann Überblendung zu einem heftig rauchenden Schlot und den Titelbuchstaben „Die Karbidfabrik“. Eine Stimme aus dem Off erklärt: „Im Kombinat VEB Chemische Werke Buna in Schkopau, wir wollten im Oktober 1987 die Arbeiter kennenlernen, die in einer fünfzig Jahre alten Fabrik Karbid herstellen“.

Über 50 Dokumentationen und Reportagen hat sie für die Defa montiert

Das ist der Beginn eines Dokumentarfilms, den der Regisseur Heinz Brinkmann noch kurz vor dem Ende der DDR über die anachronistische und hochgradig umweltzerstörende Produktionsstätte und die dort Arbeitenden gedreht hatte. Am vergangenen Wochenende wurde eine frisch digitalisierte Kopie des Films spontan auf dem online und physisch stattfindenden Kölner Filmfestival Edimotion vorgeführt.

Gewünscht hatte sich das zu Ehren des im April 2019 verstorbenen Regisseurs die Ehrenpreisträgerin des dezidiert der Montage gewidmeten Festivals. Dies war die Berliner Schnittmeisterin Karin Schöning, die in Köln für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde und auch „Die Karbidfabrik“ geschnitten hatte.

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Dabei hatte sie die ironische Anfangssequenz gemeinsam mit dem Regisseur ausgetüftelt, um das eher spröde Thema aus der Produktion „mit etwas Spektakulärem“ gleich zu Anfang aufzubrezeln. Das war nicht ganz unaufwändig, in Vor-Drohnen-Zeiten musste für die Luftaufnahmen extra ein Hubschrauber gechartert werden.

Mehr als 50 Dokumentarfilme und Reportagen unter anderem für das Defa-Feuilletonformat „Kinobox“ hat Schöning montiert, erst in Festanstellung für die Defa, dann auf dem sogenannten freien Markt. Doch trotz des Systembruchs und einer schwierigen Zeit der Arbeitslosigkeit ging es irgendwann weiter.

Denn Film ist Teamarbeit. Und die drei Männer, mit denen Schöning im Schneideraum Ideen und Synergien teilte, konnten langfristig auch nach 1990 weitermachen. Ja, zwei von ihnen legten da erst richtig los: „Eine freundschaftlich-künstlerische Komplizenschaft in Sachen Dokumentarfilm“ nannte dies in seiner inspirierten Kölner Laudatio der Dokumentarfilmer Gerd Kroske, der neben Heinz Brinkmann und Thomas Heise einer dieser langjährigen Mitarbeiter war.

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Angefangen hatte seine Bekanntschaft mit der Preisträgerin schon 1985 als studentischer Praktikant, der beeindruckt war vom „autark wirkenden Regime“ der Schnittfrauen des Defa-Dokumentarfilms, die im studioeigenen Häuserkomplex in der damaligen Otto-Nuschke-Straße (heute Jägerstraße) in Berlin- Mitte eine ganze Etage besetzten.

Einige Jahre später begann mit dem Wendefilm „Leipzig im Herbst“ eine Zusammenarbeit von Kroske und Schöning, die bis zu seinem letzten Film „SPK Komplex“ 2018 reichte – wo sie allerdings nur noch beratend tätig war. In den beiden letzten Filmen der „Kehraus“-Trilogie des Regisseurs zeigte sie souverän die große Kunst der zeitenüberspringenden Rückblicke und Inserts.

Berufliche Bodenständigkeit verbunden mit inhaltlicher Dissidenz

Schönings Grundmethode beruht dabei auf der gründlichen Einverleibung des Materials durch exzessives Schauen. Dazu kommen freundliche Hartnäckigkeit und eine gewisse Resistenz gegenüber von außen angetragenen Ansprüchen.

Kroske beschwor in seiner Würdigung Grandezza, Dezenz und Feingliedrigkeit von Schönings Arbeit, berichtete aber auch, wie sich die Schnittmeisterin während der Defa-Abwicklung für die Absicherung entlassener Kolleginnen einsetzte.

Sie selbst erzählt im Gespräch von dem Bruch durch den Verlust an Kontinuität und Sicherheit. So habe ihr die Festanstellung bei der Defa die Freiheit gegeben, sich als Mutter zweier kleiner Kinder von ihrem damaligen Mann zu trennen, ein Schritt, der unter den prekären Arbeitsbedingungen nach der Wende kaum denkbar gewesen wäre.

Auch die intensive Verbindung beruflicher Bodenständigkeit mit inhaltlicher Dissidenz war so vielleicht nur in dieser besonderen historischen Phase möglich: So war die erste spielfilmlange von ihr geschnittene Arbeit „Flüstern & Schreien“ (Regie: Jochen Wisotzki und Dieter Schumann) 1988 ein inspirierender Dokumentarfilm über die aufmüpfige Musikszene des Landes.

Ab 1991 begann dann mit „Eisenzeit“ ihre Zusammenarbeit mit Thomas Heise, der zu Schönings Ehren mit seinem Film „Barluschke“ ebenfalls nach Köln gereist war. Das Porträt des Doppelagenten macht anschaulich, wie die Distanz im Schneideraum auch Schutz und professioneller Gewinn sein kann. Für manche diese „zweite Reihe“ die erste Wahl.

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