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Dua Lipa ließ ihre Hit-Album "Future Nostalgia" von The Blessed Madonna remixen.

© Hugo Comte

Popstar-Zeitvertreib in der Pandemie: Warum es derzeit so viele Remix-Alben gibt

Weil sie nicht auftreten können, lassen Popstars wie Dua Lipa, Grimes oder Paul McCartney ihre aktuellen Alben neu interpretieren. Zum Tanzglück für die Fans.

Was neu ist, ist ja immer relativ. Neue Musik kann klingen wie etwas, das man schon tausendmal gehört hat – besonders im Schlager. Andersherum kann ein Popsong, den man tausendmal gehört hat, schnell wie ein neuer Song klingen, etwa wenn ein anderer Beat daruntergelegt wurde oder die Melodie über eine geänderte Akkordfolge läuft.

Die Remix-Kultur hat sich solche Auffrischungseffekte, die auch mit allerhand Musikstudiotricks immer wieder das Klangbild und den Kontext von Songs verschieben, schon lange zunutze gemacht. Neu ist allerdings, dass im Pop gerade ein Remix-Album das nächste jagt.

Grimes brachte eine "Rave Edition" ihres letzten Werkes heraus

Da war im Spätsommer vergangenen Jahres schon das herrlich euphorische Album „Club Future Nostalgia“, das die britisch-kosovarische Pop-Queen Dua Lipa bei der Produzentin und DJ Marea Stamper alias The Blessed Madonna aus Kentucky in Auftrag gegeben hatte.

Auf ihm wurden die ohnehin sehr tanzbaren Hits aus Dua Lipas nur wenige Monate zuvor erschienenem „Future Nostalgia“-Album mit knallenden Club-Beats, mit Gesangs- Samples von Stevie Nicks und Jamiroquai und mit kurzen Gastauftritten von Madonna und Missy Elliott auf so wilde Art zusammengemixt, dass es klang wie eine DJ-Show im Londoner Pirate-Radio der 1990er Jahre, wo zwischen den neuesten Rave-Tracks immer auch noch durchgesagt wurde, wo heute Nacht, psst-psst, die geheimen illegalen Partys steigen.

Und da war, Anfang Januar, das Remix Album „Miss Anthropocene (Rave Edition)“ der kanadischen Popkünstlerin Claire Boucher alias Grimes. Zerebral verstrahlte Remixe der Songs des „Miss Anthropocene“-Albums, gemischt von Berliner Techno-Stars wie Richie Hawtin, Modeselektor und Âme.

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Das Album würde sich bestens dazu eignen, um fünf Uhr morgens durch die vollgenebelte „MegaRave-Höhle“ zu hämmern, von der Grimes’ Partner, Tesla-Chef Elon Musk, vor einigen Monaten versprach, dass er sie im Keller seiner Fabrik in Grünheide „natürlich“ einzubauen plane.

Vor einigen Wochen folgte dann noch „Suddenly Remixes“, ein Remix-Album des kanadischen Indie-Dance-Lieblings Daniel Snaith alias Caribou, und der Amerikaner Mike Hadreas alias Perfume Genius veröffentlichte gerade ebenfalls eine Sammlung von remixten Songs: „Immediately Remixes“.

Klang-Reisen mit dem Halleffekt

Auf letzterer findet sich ein sehr schöner Hinweis darauf, was die Tätigkeit des Remixens für Musiker*innen bedeuten kann: Die norwegische Produzentin Jenny Hval spricht am Ende ihres feinstofflichen Remixes von „Leave“ darüber, wie das Spiel mit Studio-Equipment und verschiedenen Echo-Effekten für sie schon immer eine Art war, sonisch auf Reise zu gehen.

Je nach der Weite eines Echos könne Musik klingen, als höre man sie in einem Tunnel, im Gebirge, in einer kleinen Höhle oder in einer Konzerthalle in einem cooleren Land, sagt Hval. „Und jetzt bin ich hier sozusagen auf Effektreise, statt wirklich zu reisen.“

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Damit wäre man wohl schon bei einem der wichtigsten Gründe für die aktuelle Remix-Welle im Pop: Irgendwie müssen sich Popmusiker*innen ja beschäftigen, und wenn sie gerade nicht auf Tour gehen können aufgrund der Pandemie, scheint es ein willkommener Zeitvertreib zu sein, nicht unbedingt neue Songs zu schreiben (die eigenen vier Wände dürften wenig inspirierend sein), aber: Man kann sich Songs hin und her schicken und gegenseitig bitten, sie zu remixen. So lässt sich der kreative Austausch zwischen Künstler*innen aufrecht erhalten.

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Und so lassen sich auch die Fans zu Hause, die sonst Konzerttickets gekauft hätten, ein bisschen bei Laune halten. So fasste es zumindest Dua Lipa in einer Botschaft an die Fans zusammen, als sie ihr Remix-Album herausbrachte: „Ich hab’ euch zugesehen, wie ihr zu Hause auf euren Zoom-Partys zu ,Future Nostalgia’ getanzt habt, als wärt Ihr mit mir im Club. Das hat mir während meiner Zeit zu Hause so viel Freude bereitet (…) also habe ich entschieden, die Party mit der unvergleichlichen The Blessed Madonna noch ein bisschen doller zu machen.“

Oft sind Remixe für den Dancefloor optimiert. In der Pandemie ist der Dancefloor aber eher kein reeller Ort – es sei denn, man jettet zum Partymachen mal schnell auf einen der sogenannten plague raves, die in Tansania und Mexiko anscheinend ohne jegliche Abstands- und Maskenregeln für Tourist*innen mit genug Geld weiterhin stattfinden. Oder man gehört zu den Erlesenen der Modebranche und wird von einer Luxusmarke wie Bottega Veneta nach Berlin erst zu einer Fashion-Show ins Berghain und danach noch zu einer Party ins Soho House eingeladen.

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Abgesehen von derart fragwürdigen Events sind die Dancefloors aber geschlossen, und so stellt sich die Frage: Auf welchen Partys sollen all die neuen Pop-Remixe überhaupt laufen? Ist das nicht vielmehr Musik für einen schmerzlich vermissten Sehnsuchtsort, für einen Bezugspunkt in der Fantasie? Musik als Glücksversprechen auf eine Zeit, in der die Pandemie hoffentlich vorbei ist und die Tanzfläche endlich wieder größer als der eigene Teppich?

Damit hätte die Remix-Welle eine ziemlich nostalgische Note. Wobei Remixe ja eigentlich nie nostalgisch waren, sondern immer ziemlich innovativ. Die ersten entstanden in den frühen 1970er Jahren, als in New York die schwule Szene ihre ersten Erfolge im Kampf gegen die Diskriminierung feierte und Produzenten wie Tom Moulton erkannten, dass die DJs in den Discos längere Versionen der Hits brauchen, damit sie sich nahtlos ineinandermixen ließen und das Tanzen nie aufhören müsse.

Früher wurden Remixe mit Schere und Klebeband erstellt

Remixe waren damals Zeichen eines kulturellen sowie eines technischen Umbruchs – auch wenn sie komplett analog angefertigt wurden: per Hand mit Tonband, Schere, Klebeband. Computer gab es im Musikstudio damals noch nicht. Schlagzeugsequenzen wurden per Band gedoppelt und verdreifacht, ungeliebte Akkordwechsel wurden herausgeschnitten, die euphorischsten Momente wurden verlängert, und so weiter.

Ganz ähnlich war es zeitgleich in der jamaikanischen Hauptstadt Kingston, wo die mächtigen Sound-Systems auf Partys gegeneinander konkurrierten. Bei den Soundclashes unter freiem Himmel versuchten sie sich mit den jeweils neuesten Versions der beliebtesten Songs zu übertrumpfen.

Jamaikanische Produzenten wie Lee „Scratch“ Perry wurden in den 1970er Jahren zu wahren Meistern darin, Songs im Studio nur mithilfe des Mischpults ein neues Gesicht zu geben. Gesang einblenden, Gesang ausblenden, nur ein paar Fragmente übrig lassen, der Snare- Drum einen Monsterhall verpassen und den Bass bis zum Bersten aufdrehen.

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Die Idee dahinter: Es gibt kein Original mehr, jeder Song ist ein offener Quellcode, nur dazu da, neu zusammengesetzt zu werden. Die Versions wurden auf sogenannte Dubplates aus Acetat gepresst und noch am selben Abend beim Soundclash getestet. Wenn sie beim tanzenden Publikum nicht ankamen, wurden sie noch einmal überarbeitet.

Das fehlt in der aktuellen Remix-Welle natürlich total: die enge Abstimmung zwischen den Künstler*innen, die den Song remixen, und dem Publikum, das dazu tanzen soll. Vielleicht klingen deswegen so manche Tracks auf den Remix-Alben von Grimes, Caribou und Perfume Genius nicht unbedingt sehr inspiriert, oder: nicht auf einen Höhepunkt, auf die volle Euphorie hin gerichtet. Andererseits ist man ja gerade auch viel schneller zufriedenzustellen als vor der Pandemie.

Die Fans müssen sich in den nie enden wollenden Lockdowns eben die Zeit vertreiben, sie verbringen in sozialen Medien sehr viele Stunden damit, die neuesten Selfie-Filter auszuprobieren und zu schauen, wie das aussieht, wenn man sich ein süßes Katzengesicht oder dick aufgespritzte Lippen verpasst. So sehen gerade Partys aus. Dazu kann man sehr gut Remixe hören. Von daher: Was sind Remixe anderes als Filter, die man über Songs statt über Gesichter legt?

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Sogar Sir Paul McCartney macht mit. Der Ex-Beatle veröffentlicht am heutigen Freitag sein zweites Remix-Album, es heißt „McCartney III Imagined“. Wobei der 78-Jährige noch ein recht traditionelles Verständnis von Remixen hat. Bitte nichts allzu Modisches oder Experimentell-Elektronisches! Er hat Bands und Musiker*innen wie Beck, Khruangbin, St. Vincent, Damon Albarn und Phoebe Bridgers dazu eingeladen, seine Songs neu zu „imaginieren“, wie es im Albumtitel heißt.

Schon der erste Track, der Remix von „Find My Way“ von Beck, wird auf eine Reise geschickt, er klingt nämlich wie der Sommer am Strand von Ibiza mit klirrenden Eiswürfeln im Sonnenuntergang nach einer Party – hach, entspanntes Prösterchen! Im Original war „Find My Way“ ein angespitzter Britpop-Stampfer. Der Song ist nicht wiederzuerkennen.

Dem Vernehmen nach plant auch Lady Gaga, bald ein Remix-Album ihres „Chromatica“-Albums zu veröffentlichen, mit dem sie im vergangenen Jahr einige Hits hatte, die sie wegen Corona aber nicht auf einer Tournee spielen konnte. Kein Zweifel: Solange die Pandemie nicht vorüber ist, wird auch die Remix-Welle weitergehen.

Jan Kedves

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