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Stereo Total

© Promo

Stereo Total: Elektro-Trash auf Tour

Der elektrotrashige Sound und das mehrsprachige Textgemisch des Pop-Duos finden überall Fans. Auf der Bühne kokettiert die Berliner Sprachkünstlerin Francoise Cactus mit ihrem herzergreifenden Akzent.

Von Markus Hesselmann

Die zweite Heimat wurde zur Heimat. "Es ist immer ein besonderes Gefühl, nach Berlin zurückzukommen", sagt Francoise Cactus. "Früher hatte ich dieses Gefühl, wenn ich nach Paris fuhr, jetzt geht es mir so mit Berlin." Seit 22 Jahren lebt die Französin in Berlin. Zurzeit kann sie dort nur selten sein - in den kurzen Pausen der Welttournee, die sie mit Brezel Göring, zweite Hälfte des Popduos Stereo Total, unternimmt. Fast ununterbrochen sind die beiden unterwegs, seit sie im Sommer ihr Album "Paris Berlin" veröffentlicht haben. Australien und die USA sind durch, jetzt ist Europa dran. Nach einem kurzen Besuch in der Heimat traten Stereo Total in dieser Woche in London auf.

Sie sind im "Metro" gebucht, einem Kellerklub in der Oxford Street, wo Einkaufsboulevard und Partyviertel ineinander übergehen. Der Soundcheck ist vorbei, Francoise Cactus plaudert gern ein bisschen über London. "Ich bin immer gern hier", sagt sie. "Leider haben wir diesmal nur wenig Zeit für die Stadt. Wir müssen gleich weiter nach Glasgow." London ist für sie vor allem die Stadt der Punks, der Modemacher - und der Royals. "Ich liebe diese trashigen Geschichten aus dem Königshaus", sagt Francoise Cactus. Ihre Beziehung zum Punk ist offensichtlich, das Erbe der Mach-es-einfach-selbst-Revolution der Siebzigerjahre in der Musik von Stereo Total nicht zu überhören. Und bei der Mode hält sie London dann doch für etwas ausgefallener als Berlin. Francoise Cactus erzählt die Geschichte vom Modezeichner, den sie auf der Zugfahrt von Berlin nach Paris traf. "Was willst du denn in Berlin zeichnen? Da tragen doch sowieso alle nur Sportsachen und H&M", habe sie ihn gefragt. "Ich zeichne ja für H&M", habe der Mann geantwortet.

Stereo Total können sich auf treue Fans auf der ganzen Welt verlassen. Zu ihren Konzerten kommt nicht wie bei anderen deutschen Stars nur die deutsche Gemeinde der jeweiligen Stadt. Ihr elektrotrashiger Sound und das deutsch-französisch-englische Textgemisch finden überall Fans, auch wenn diese Fans unterschiedlich darauf reagieren. "In Südamerika tanzen sie wild und schreien herum, in Asien kreischen sie schon, wenn wir noch gar nicht angefangen haben. Das ist zum Beispiel in Bremen ein bisschen anders." Es gebe aber auch gewisse Konstanten: "Zu unseren Konzerten kommen meist die netten Studententypen", sagt Francoise Cactus. "Es sind immer viele Frauen da. Und unsere Zuschauer werden immer jünger."

Ein junges, studentisches, zu einem großen Teil weibliches Publikum ist an diesem Abend auch ins mit rund 200 Zuschauern ausverkaufte "Metro" gekommen. Passend zu London ist es international sehr gemischt. Man hört Deutsch, Französisch, Englisch, aber auch Spanisch. "Wir machen unsere Ansagen auf Englisch und spielen mehr Lieder mit englischen Texten", hat Francoise Cactus vorher gesagt. Das hielten sie vor allem in angelsächsischen Ländern immer so. Gut, dass es von vielen Stereo-Total-Songs Versionen in verschiedenen Sprachen gibt. Auf der Bühne kokettiert die Sprachkünstlerin Cactus dann in ihrem herzergreifenden französischen Akzent mit angeblichen Sprachdefiziten. Sie habe nie besonders gut Englisch gelernt, sagt sie. "Meine Mutter wollte, dass ich stattdessen Latein und Altgriechisch lerne."

Dass an diesem Abend mehr Englisch gesungen werden soll, geht im kreativen babylonischen Sprachgewirr auf und vor der Bühne ein bisschen unter. "Liebe zu Dritt" gibt es heute in der französischen Version, "Plus minus null" auf deutsch, ekstatisch gefeiert von den Fans. Schon vor dem Konzert hat Francoise Cactus erzählt, dass gerade die deutschen Stücke im englischsprachigen Ausland oft am besten ankommen. Trotzdem hätten sie und Brezel Göring manchmal Hemmungen, mehr deutsche Stücke zu spielen, weil sie ja nun einmal im Ausland kaum jemand versteht. Als kleinen Service erläutert sie den Londoner Fans den Inhalt von "Plusminus null", die Geschichte von der Frau, die mit dem Taschenrechner - "pocket calculator, you know, the song by Kraftwerk" - ausrechnet, ob sich ihre Liebesbeziehung noch lohnt. Zum Schluss kündigt Francoise Cactus "Comme d'habitude" an, eine französische Version von Frank Sinatras "My Way" - dargeboten im Punk-Stil als Reminiszenz an Sid Vicious, den verstorbenen Bassisten der Sex Pistols, der "My Way" in diesem Stil zu singen pflegte. "Wir spielen heute dieses Stück, weil die Sex Pistols morgen wieder einmal in London auftreten", sagt Francoise Cactus. "Vielleicht schaut ja auch ein Phantom vorbei."

Der Sänger der Vorgruppe Miss Pain - die Band kommt aus dem südenglischen Küstenort Brighton und nennt Stereo Total ausdrücklich als Vorbild - steht während des gesamten Konzerts hinter den Boxen am Bühnenrand. Er klatscht und singt mit wie ein Fan. Zur Zugabe bitten Stereo Total ihn, seine beiden Bandkolleginnen und einige Zuschauer zum Tanz auf die Bühne. Das Konzert ist eine Party, der Abend ein totaler Erfolg.

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