zum Hauptinhalt
Macht Platten statt Therapie. Die Kreuzberger Musikerin Christiane Rösinger.

© Doris Spiekermann-Klaas

Songwriterin Christiane Rösinger: Es ist so arg, arg, arg

"Jetzt mache ich einfach die traurigste Platte aller Zeiten": Die Kreuzberger Musikerin Christiane Rösinger bringt ihr Solo-Debüt heraus. Für ihre Band Britta heißt das nichts Gutes. Eine Begegnung.

Es ist mal wieder Zeit für eine neue Berlin-Hymne. Sie könnte zum Beispiel so gehen: „Wenn die Ökoeltern sich zum Brunchen treffen und die Arschlochkinder durch die Cafés kläffen, wenn der Service hinkt und es nach Babykotze stinkt, ja dann sind wir wieder in Berlin.“ Außerdem treten auf: Laptop-Poser, Hostel- Horden, Stresser-Cliquen, Hundehaufen und natürlich Leute, die laut mit sich selber reden.

„Berlin“ heißt dieses wunderbar lakonische Lied, das – zweistimmig gesungen und begleitet von einem schunkelnden Klavier – an Kurt Weill oder Georg Kreisler erinnert. Der Text jedoch stammt unverkennbar von Christiane Rösinger, seit 25 Jahren Kreuzbergerin und fast ebenso lange eine der besten deutschen Songtexterinnen. „Eigentlich wollte ich eine Persiflage auf alle Berlin-Songs schreiben, die es gibt“, erzählt sie bei einem Kaffee und mehreren Zigaretten. „Es sollte anfangen mit: Ich hab kein Heimweh nach dem Kurfürstendamm.“ Doch dann hatte sie die Idee, ein Stück in der Tradition des Wiener Lieds zu machen. Und das funktionierte viel besser, auch dank der Mithilfe des Ex-Wieners Andreas Spechtl, Sänger und Gitarrist der österreichischen Art-Rock-Band Ja, Panik.

Die beiden kennen sich seit rund vier Jahren. Damals nahm Rösingers Band Britta die Jungs von Ja, Panik als Vorgruppe mit auf Tour. Es entstand eine Freundschaft, die sich vertiefte, als das Wiener Quintett nach Berlin übersiedelte. Später begleitete Andreas Spechtl Rösinger auf der Lesereise zu ihrem autobiografischen Buch „Das schöne Leben“. Unterwegs erwähnte sie, dass sie gerne einmal ein Solo-Album aufnehmen wolle. Spechtl bot an, mitzumachen.

Also traf sich das Team „einen depressiven Winter lang“ einmal wöchentlich, um an den „Songs Of L. And Hate“ zu arbeiten. Rösinger brachte die Melodien und Texte mit, Spechtl dachte sich dazu Arrangements aus. Sie sang und spielte Akustikgitarre, er alle anderen Instrumente vom Schlagzeug bis zur Mundharmonika. Es entstanden zehn wunderbare Pop-Songs, die mal den im Titel zitierten Leonard Cohen anklingen lassen und mal die ruhigeren Stücke von Britta. Mit „These Days“ gibt es auch eine Cover-Version: Christiane Rösinger hat das von Jackson Browne geschriebene und von Nico bekannt gemachte Stück sehr liebevoll auf Deutsch nach- und neugedichtet. Es trifft die Stimmung des Originals genau und passt zudem perfekt in die melancholische Stimmung von „Songs Of L. And Hate“. Die Stücke tragen Titel wie „Sinnlos“, „Verloren“ oder „Desillusion“, und klingen entsprechend mollverliebt und düster.

Waren die Lyrics von Christiane Rösinger noch nie sonderlich optimistisch, hat sie jetzt noch einmal nachgelegt. „So verwüstet und verdüstert, so verhundet und verwundet, so verglommen, so verronnen, so verschuppt, so verschlissen und verrissen“ singt sie etwa in „Verloren“, dem Schwermutshöhepunkt des Albums.

"Andere machen eine Therapie, ich mache eine Platte"

Bei Britta habe es oft Widerstand gegen traurige Stücke gegeben, erzählt Rösinger. Davon befreit beschloss sie: „Jetzt mache ich einfach die traurigste Platte aller Zeiten. Egal, was alle denken, und ohne Rücksicht auf irgendeinen Markt.“ Dabei übertreibt sie die Negativität mitunter bis ins Groteske hinein. So gibt es etwa am Ende von „Es ist so arg“ einen regelrechten Jammerwettstreit, der die vorausgegangene Psychostörungs-Litanei ironisch bricht. Und die beschwingte Up-Tempo-Nummer „Desillusion“ lädt im Refrain zum Mitsingen ein. Das hat durchaus Katharsis-Potenzial – fürs Publikum und für die Musikerin. „Andere machen eine Therapie, ich mache eine Platte“, sagt sie lachend.

Der Sound von „Songs Of L. And Hate“ ist geprägt vom Klavier, einem Instrument, das in der Musik von Christiane Rösinger bisher kaum eine Rolle gespielt hat. Der 49-Jährigen war es wichtig, dass ihr Album anders klingt als der Indie- Rock von Britta, der ihr inzwischen überholt erscheint. Sie wollte es ruhiger und klarer haben, was gut geklappt hat. Für Britta, mit denen sie zwischen 1999 und 2006 vier Alben aufnahm, heißt das nichts Gutes: „Wir haben uns zwar nicht offiziell aufgelöst, aber ich finde es solo eigentlich ganz gut und habe Lust so weiterzumachen“, sagt sie.

Mit einer Band auf Club-Tour zu gehen, kann sie sich jedenfalls derzeit nicht vorstellen. Schließlich hat sie das lange genug gemacht. Vor Britta war sie bereits zehn Jahre bei den Lassie Singers, die mit ihrem witzigen Deutsch-Pop leider nie über den Status der semi-legendären Szenegrößen hinauskamen. Das erste Album der Gruppe ist jetzt auf dem Cover von „Songs Of L. And Hate“ zu sehen. Es ist Teil der akribischen Nachinszenierung des Cover-Motivs von Bob Dylans „Bringing it all back home“ von 1965. Statt des Meisters sitzt nun Rösinger vorne rechts, auf dem Schoß ihre schwarze Katze Mohrle. Und im Hintergrund nimmt Andreas Spechtl, dessen Idee das Foto war, die gleiche Pose ein wie einst die dunkelhaarige Dame.

Außer einer dylanesken Mundharmonika-Stelle gibt es auf dem Album allerdings keine Bezüge zum berühmten Nöler. „Ich mochte den nie so sehr, mir hat Leonard Cohen viel mehr bedeutet,“ sagt Rösinger. Auch Neil Young, mit dessen Songs sie Gitarre spielen lernte, war ihr wichtiger. „Und dass ich überhaupt angefangen habe Musik zu machen, hat viel mit Patti Smith und Nina Hagen zu tun.“

Frauen sind im Rock- und Popgeschäft immer noch unglaublich unterrepräsentiert. Rösinger, die früher mit Flittchen Records ihr eigenes Label besaß, hat das stets angeprangert. Jetzt kommt ihr Album bei Staatsakt heraus, bei dem bisher fast ausschließlich Männerbands unter Vertrag sind. Für Liveauftritte hat sie extra noch eine Frau engagiert. Denn: „Nur noch mit Männern auf der Bühne zu stehen – das hätte ich nicht verkraftet. Mit Frauen ist es ohnehin lustiger.“

„Songs Of L. And Hate“ (Staatsakt). Konzert im HAU 1 am 30. 11. um 20 Uhr.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false