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Silver Jews: Der Sohn vom Sohn vom Sohn

Kai Müller über die Dämonen eines Rockmusikers.

Es gibt viele Gründe, eine Rockband aufzulösen. Geldnot, Ideenarmut, Streit. Aber David Berman, Gründer und zuletzt einziges verbliebenes Mitglied der Silver Jews, kennt noch ein besseres Argument: "Nun, da alles vorbei ist", begründet er auf der Band-Webseite seinen Entschluss, "kann ich von meinem größten Geheimnis erzählen, schlimmer als Selbstmord, schlimmer als Heroinsucht - meinem Vater."

Richard Berman heißt er. Unter Washingtons Lobbyisten schätzt man seine Dienste als Anwalt außerordentlich. Er hat aufsehenerregende Kampagnen gegen Tierschützer, Gewerkschaften und Nichtraucher-Initiativen geführt sowie Gruppen attackiert, die sich für ein Alkoholverbot am Steuer einsetzen. Zu den Klienten Bermans zählen Giftgas-Produzenten, Waffenhändler. Für das US-Nachrichtenmagazin "60 Minutes" ist er "Dr. Evil". Was in den Augen seines 42-jährigen Sohnes noch viel zu harmlos ist, der in ihm einen "verachtungswürdigen Mann", "Blutsauger" und "Halunken", kurz: eine "menschliche Plage" sieht. Der Bitte des Musikersohnes, den gut dotierten Job als "Hurensohn vom Dienst" aufzugeben, wollte Richard Berman nicht nachkommen. Seitdem sind die beiden geschiedene Leute.

Das ist natürlich eine Familientragödie von Ibsen'schen Dimensionen. Und es überrascht die Unerbittlichkeit des Tons, mit der ein Star der Indie-Szene seinen alten Herrn angreift und schließlich verkündet, er sei "der Sohn eines Dämons, der den Schaden ausbügeln" müsse.

Als David Berman vor zwanzig Jahren ernsthaft Musik zu machen begann, schleppte er sich an der Universität gelangweilt durch Jurakurse. Er tat, wovon viele junge Menschen träumen. Er suchte sich Mitstreiter, um ein Gegenbild dessen zu kreieren, was ihn von Haus aus als soziale Mitgift zu erdrücken drohte: Karrierezwang, Konformismus. Die Silver Jews waren denn auch anfänglich nur eine fröhlich verhuschte Spaß-Combo mit Schrammelgitarren und übersteuerten Mikrofonen, die die Eltern Berman ihrem Sohn durchgehen ließen. Es gab Signale, die sie bestärkten. Schon das mit den Mitstreitern wollte nicht klappen. Die wandten sich ab und hatten unter dem Namen Pavement mehr Erfolg. Doch statt endlich in Nadelstreifen zu gehen, hielt Berman Junior an den "Jooos" fest und studierte Judaismus. Er machte eine Reihe weithin beachteter Alben, aber er weigerte sich stets, auf Tour zu gehen. "Let's not and say we did" lautete seine Songbotschaft an alle Zweifler und verträumten Bartleby-Gestalten.

Jetzt widersetzt sich Berman auch seinem eigenen Talent. Musik sei zu schwach, findet er, um wiedergutzumachen, was sein Vater angerichtet habe. Ein schlimmer Irrtum. Richtiger ist wohl, dass sie eine Wunde nicht heilen kann, die David seit Kindestagen mit sich herumträgt: "Ich wollte lesen, er wollte spielen."

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