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Ortstermin in Ramallah: Stereo Total: Sei ein Viereck

Stereo Total in Ramallah: ein Ortstermin mit dem Berliner Elektropop-Duo. Ein „Untergrund-Konzert“ hat das Goethe-Institut angekündigt.

In der Nacht vor dem islamischen Opferfest schiebt sich in Ramallah eine Menschenmasse um den zentralen Kreisverkehr. Die fünf Löwenstatuen in seiner Mitte blicken stoisch auf die strömende, drängende Menge, die das Zentrum der Stadt im Westjordanland in eine große Fußgängerzone verwandeln. Das Bar-Restaurant Zan, ein paar Meter weiter, ist fast leer. Nur ein paar Instrumente in der Ecke weisen darauf hin, dass es laut werden könnte. Ein „Untergrund-Konzert“ hat das Goethe-Institut angekündigt. Es spielt das Elektropop-Duo Stereo Total, Eintritt zehn Schekel, knappe zwei Euro.

„Ich glaube, wir haben nicht so viele Fans hier“, sagt Sängerin Françoise Cactus. Vor drei Tagen kam sie mit ihrem Partner Brezel Göring in Tel Aviv an. Am Flughafen kleine Sonderkontrolle, weil man einfach nicht verstehen wollte, warum die Band ausgerechnet in der provisorischen Hauptstadt der palästinensischen Autonomiegebiete spielen will. Auf dem Weg nach Ramallah war man ein wenig geschockt von dieser Mauer, erzählt Françoise Cactus mit französischem Akzent. „Aber, bon, die Stadt wirkt auf mich sehr offen.“ Eine politische Botschaft habe die Band nicht in diese Gegend mitgebracht, wo eh schon alles politisch sei, sagt Brezel Göring. Sondern, so Françoise Cactus: „Ich wollte schon immer mal hier ein bisschen gucken.“

Nun, es gibt etwas zu gucken: Brezel Görings Keyboard steht neben einem falschen Kamin aus falschem Marmor, auf dem Sims dekorative Cocktailgläser und ein Keramik-Clown mit Akkordeon. Im Séparée tropische Topfpflanzen und Geranien, ein Kellner fragt die Band, ob sie schon Eintrittskarten habe. Ein Pop-Konzert wie dieses hier überhaupt veranstalten zu können, ist außergewöhnlich für das Goethe-Institut. Als man letztes Jahr den Gangsterrapper Massiv aus Berlin da hatte, trat der in Ramallahs Kulturpalast auf – in einem bestuhlten Konzertsaal, wie es hier sonst üblich ist.

Dann ist das Zan voll, ein Teil der Massen von draußen drängt näher. Um die 200 Menschen wollen Stereo Total hören, die Hälfte von ihnen Palästinenser, ansonsten prosten sich Praktikanten der hier ansässigen Stiftungen zu. Kein Kopftuch ist zu sehen, dafür hängt ein blonder Pferdeschwanz über einem Palästinensertuch. „Masah al-Cheer“, einen „erleuchteten Abend“ wünscht Cactus, setzt sich ans Schlagzeug, legt los. An der Wand sitzen ältere Herren in teuren Lederjacken, die als PLO-Kultursekretäre durchgehen würden. Sie schütteln Hände, nippen an Biergläsern und lächeln skeptisch, aber freundlich. „The next Song is about making love with three people at the same time“, kündigt Göring an. Einer der Lederjackenträger hebt eine Augenbraue, dann seine Hand vor den Mund und wippt kichernd auf und ab.

Françoise Cactus, für ihre freizügigen Texte bekannt, wollte sich eigentlich ein wenig zurücknehmen. Cactus singt: „Ich tanze im Viereck, ich tanze konzentriert“ – und eine Gruppe Palästinenser kapert die Bühne. Einer von ihnen nimmt es wörtlich und tanzt konzentriert die Bewegungen von Brezel Göring nach. Der springt in die Menge und zeigt das vielleicht erste Stage-Diving in der Geschichte Palästinas. Was Zugabe wohl nur auf Arabisch heißen mag? „I love you total!“, behauptet einer. So oder so ähnlich, ganz sicher.

Moritz Baumstieger

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