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© AFP

Neues Album: Erykah Badu: Königliche Hoheit

Neo-Soulsängerin Erykah Badu veröffentlicht ein meisterliches Album. Im Diven-Alter von 39 Jahren findet eine große Stimme endlich ganz zu sich selbst.

Von Jörg Wunder

Mangelndes Selbstbewusstsein war noch nie das Problem von Erykah Badu. 1971 als Tochter einer alleinerziehenden Schauspielerin in Dallas geboren, stand sie schon in frühem Kindesalter gemeinsam mit der Mutter auf der Bühne. Zwar war sie mit Mitte zwanzig eine Späteinsteigerin im Popgeschäft, das allerdings 1997 mit einem Paukenschlag: Badus Debütalbum „Baduizm“ verkaufte sich millionenfach und wurde mit zwei Grammys ausgezeichnet. Als „Queen of Neo-Soul“ setzte sie sich an die Spitze einer Bewegung von Musikerinnen wie India.Arie, Jill Scott oder Angie Stone, die der inhaltlichen Verrohung und Brutalisierung des kommerziell vorherrschenden Gangsta-Hip-Hop eine an den Klassikern des Soul und Funk geschulte Formstrenge und Bewusstseinsbildung entgegenhielten.

Auch als Role Model einer Künstlerin, die ihr Geschick tatkräftig in die eigene Hand nimmt, war Erykah Badu der überfällige Gegenentwurf zu einer von männlichen Strippenziehern und ihren Befehlsempfängerinnen dominierten R’n’B- Welt. Durch ihre exzentrischen, wie das Hochamt einer spiritistischen Sekte zelebrierten Konzertauftritte mit wallenden Gewändern, Turban und Priesterinnenstab, durch ihre erratische Veröffentlichungspolitik und nicht zuletzt durch die schillernden Beziehungsdramen mit stets prominenten Lebenspartnern, von denen sie inzwischen drei Kinder hat, festigte sie den Ruf einer leichten Überspanntheit, die man der überragenden Sängerin aber gern verzieh.

Doch auch eine Soul-Königin kann sich mal übernehmen: nämlich mit dem Vorhaben, innerhalb von zwölf Monaten eine Album-Trilogie zu meistern, die unter dem Motto „New Amerykah“ nichts Weniger als eine Bestandsaufnahme der Befindlichkeit des schwarzen Amerika verorten wollte.

Der 2008 erschienene erste Teil mit dem Untertitel „4th World War“ präsentierte eine furiose Abrechnung mit einer in selbstzerstörerischer Passivität verharrenden Gesellschaft, die die fatalen Entscheidungen der Bush-Administration eher mit Resignation als mit leidenschaftlichem Protest begleitete. Musikalisch war die Platte eine unerhörte Fusion von Blaxploitation-Filmmusik, P-Funk, Deep Soul und kantigen Hip-Hop-Beats zu aufregend schroffen, suggestiven Soundcollagen. Ein komplexes, Form und Inhalt kongenial verknüpfendes Meisterwerk, das die Tradition von großen Konzeptalben der Black Music wie Marvin Gayes „What’s Going On“, Stevie Wonders „Songs in the Key of Life“ oder „There’s a Riot goin’ on“ von Sly & The Family Stone aufnahm und in die Gegenwart überführte. Abgesehen von der Hitsingle „Honey“ bot „4th World War“ allerdings kein Chartsfutter und blieb Badus am wenigsten erfolgreiches Werk.

Die Fertigstellung von „New Amerykah Part Two: Return of the Ankh“ hat nun doch zwei Jahre in Anspruch genommen. Wie beim Vorgänger ist das im Fantasy-Comic-Stil gezeichnete Plattencover mit überbordender Symbolik aufgeladen. Wo dort eine zornig blickende Badu dem Betrachter die geballten Fäuste entgegenstreckt, blickt man nun in das sanfte Antlitz eines Cyborgs mit den Zügen der Sängerin. Um dessen metallene Schultern häuft sich der Zivilisationsschrott Amerikas, wird aber bereits von einem psychedelischen Urwald überwuchert, während dem geöffneten Schädel ein reinkarniertes Sternenkind entsteigt – ein Bild, das es an farbenfrohem Esoterik-Kitsch locker mit den 3-D-Panoramen von „Avatar“ aufnehmen kann.

Entpuppte sich Erykah Badu mit „4th World War“ als ungeahnt politische Künstlerin, so ist das Thema von „Return of the Ankh“ das intimste aller Gefühle – die Liebe. Doch der leitmotivische Rückzug ins Privatleben verhält sich komplementär zum agitatorischen Impetus des Vorgängers. Die im Ton verhaltene, in der Sache aber unerbittliche Beschreibung dysfunktionaler Beziehungsverhältnisse spiegelt auf persönlicher Ebene den Zerfall einer Gesellschaft in Partikularinteressen. Was sich als langfristige Entwicklung vor allem beim schwarzen Bevölkerungsanteil der USA bemerkbar machte, wo die einstmals einenden Ziele der Bürgerrechtsbewegung zwischen Aufstiegsmöglichkeiten und sozialer Verelendung zerrieben wurden.

Badus Plattenfirma dürfte mit Erleichterung registrieren, dass ihre Musik wieder zugänglicher geworden ist. In Abgrenzung zur High-Tech-Freakshow aktueller R’n’B-Produktionen gelingen Erykah Badu mit Mitstreitern wie 9th Wonder, Madlib und dem verstorbenen J Dilla elf Songs von zeitloser Eleganz. Da perlen Fender Rhodes, pluckern Synthiebässe, zischeln Hi-Hats, flirren Gitarrenlicks, werden Samples zum tragenden Element vertrackt konstruierter, lässig groovender Stücke. Über die ganze Länge der 50 Minuten klingt Badus sechstes Studioalbum wie ein mit erlesenem Geschmack zusammengestellter Sampler, der vor allem die Soul-Verästelungen der Siebziger exemplarisch nachzeichnet. Innovativ ist das nicht, aber von beeindruckender Souveränität.

Als Sängerin dagegen war Erykah Badu nie besser. Wenn sie in der zehnminütigen Suite „Out My Mind, Just In Time“ das Nicht-darüber-Hinwegkommen mit grenzenlos ermüdeter Melancholie intoniert oder ihr synkopierter Sprechgesang über „Fall in Love (Your Funeral)“ schwebt, werden alle gut gemeinten Vergleiche mit Billie Holiday oder Nina Simone hinfällig. Im reifen Soul-Diven-Alter von 39 Jahren findet eine große Stimme endlich ganz zu sich selbst.

Ob die Botschaft von der universellen Sehnsucht nach der Liebe reicht, der tiefen Spaltung der amerikanischen Öffentlichkeit, die sich aktuell in den hasserfüllten Reaktionen auf Obamas Reform des Gesundheitssystems zeigt, eine einigende Kraft entgegenzusetzen, ist ungewiss. Erykah Badu muss weiterhin zu den wichtigsten Stimmen der schwarzen US-Gesellschaft gezählt werden.

„New Amerykah Part Two: Return of the Ankh“ ist bei Universal erschienen.

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