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Neues Album: Depeche Mode: Jäger des verlorenen Klangs

Zurück in die Zukunft, schnarrend, fiepend, plärrend: Depeche Mode haben ihr neues Album "Sounds of the Universe" auf antiken Synthesizern aufgenommen.

Schön ist das nicht. Ehrlich gesagt, es ist sogar ein bisschen scheußlich. Es schnarrt, fiept und plärrt wie ein Orchester aus gequetschten Plastiktröten beim Einstimmen. Aber so beginnt tatsächlich das neue Album von Depeche Mode. Ein Fan namens „Johan“, der sich „Sounds of the Universe“ vorzeitig aus dem Internet gezogen hatte, beschreibt den ersten Eindruck in seinem Blog: „Ich dachte, es ist ein Fake.“ Anderthalb Minuten später dann endlich der unverwechselbare Bariton von Dave Gahan. Nein, kein Fake.

Vor dreieinhalb Jahren erschien „Playing the Angel“, das exzellente elfte Album der Briten. Seither entwickelte Martin Gore, das musikalische Hirn von Depeche Mode, eine Leidenschaft für alte Synthesizer. Dutzende gebrauchte Klangmaschinen ersteigerte er im Internet und ließ sie ins Studio liefern – Apparate aus einer Zeit, als Depeche Mode gerade ihre ersten Erfolge hatten. Damals ärgerte man sich über die eingeschränkten Möglichkeiten dieser Kisten. Heute sind sie wegen ihres Klangs begehrt.

Klingt so also die Krise? Seltsam, dass diese Frage vor allem an jene Bands herangetragen wird, die schon lange dabei sind. An U2. Die Pet Shop Boys. Oder Depeche Mode, mittlerweile im dreißigsten Jahr ihres Bestehens. Aber wer seine Lieder nicht auf der Gitarre, sondern mit industriell gefertigten Maschinen zum Vortrag bringt (und damit zig Millionen Platten verkauft), steht der nicht ohnehin mit beiden Beinen hüfttief im Sumpf des Kapitalismus? Wenn überhaupt, dann lässt sich die Krise von dort aus wohl nur so kommentieren, wie es die Pet Shop Boys gerade auf ihrem schillernden Album „Yes“ taten: Mund abputzen, weitermachen, fröhlich sein. So halten es schließlich auch ihre Nachfolger der dritten Generation: MGMT, Empire Of The Sun oder Little Boots feiern mit Super-Pop und Glitzerdisco. Sogar die Junior Boys haben ihre Melancholie abgelegt.

Depeche Mode aber hatten mit der Konsumbejahung und Ironie der Pet Shop Boys nie etwas am Hut, auch in ihren Anfangszeiten nicht, als sie noch die harmlosen Songs von Vince Clarke (später Yazoo, Erasure) intonierten. Als Clarke 1982 durch Alan Wilder ersetzt wurde, trübte sich das Bild gründlich ein. Songwriter Martin Gore schneiderte Sänger Dave Gahan eine zynisch-schwermütige Rockerpose auf den Leib – und Gahan machte sich die Rolle des „korrupten Priesters“ ganz zu eigen. Da wurde gelitten am Leben, und zwar so authentisch, dass Gahan beinahe selbst mit dem Leben bezahlte und Wilder entnervt das Handtuch warf. Nein, der Elektro-Blues von Depeche Mode ist kein Verwandter der Pet Shop Boys. Er ist ihr Antipode: Weihefestspiel in der Kathedrale des narzisstischen Ich.

Wann, wenn nicht jetzt, wäre also ihre Stunde? Wer sonst, wenn nicht Depeche Mode, könnte sie salben, die verlorenen, prekären, gekränkten Seelen unserer Tage? Die erste Single des Albums versprach genau das: wütend, roh und mit insistierender Fortschraubungstendenz verbindet „Wrong“ die zum Markenzeichen gewordene Pose der Selbstzerfleischung mit einer bitteren Klage über versäumte Chancen. Das passt. Gier, Verlust, die Sehnsucht nach Wunscherfüllung und vor allem: die Leere danach. Da sind Depeche Mode ganz in ihrem Element.

Und doch bleiben sie nur ganz bei sich. Der Titel des Albums, „Sounds of the Universe“, klingt zwar nach dem ganz großen Ganzen. Doch Depeche Mode machen im Gegenteil die Räume wieder eng. Die Klangschichten verbinden sich zu schnarrenden, fusselig verzerrten Clustern, sogar Dave Gahans Stimme klingt leicht gepresst. Schon das Eröffnungsstück, der Cyber-Gospel „In Chains“, verspricht eine Klimax, die nie eintritt. Irgendwann ist das Stück halt verklungen. So ist fast das gesamte Album: Die Musik setzt an und endet später, gelegentlich drängt sich eine schroffe Gitarre in den Vordergrund, aber die großen Momente bleiben aus. Musik, die nicht abheben kann. Oder will.

Für sich genommen ist das gar nicht uninteressant: der Versuch, sich jenseits von Rock neu zu formieren. Erstaunlich auch, dass ein stilistisch sich in ganz anderen Welten bewegender – und sehr viel jüngerer – Künstler wie Kanye West im letzten Jahr ebenfalls das alte Gerät auspackte und auf „808s & Heartbeat“ einen ähnlich irritierenden Eindruck hinterließ.

Das Problem sind die Lieder selbst. Martin Gore ist ein guter Songwriter. Manchmal musste man sich die Elektronik, die Posen, die Lederjacken wegdenken, um das überhaupt noch zu hören. Johnny Cashs Version von „Personal Jesus“ half dabei. Aber nach annähernd 200 Liedern ist Gore offenbar müde geworden. Die drei Liedbeigaben von Sänger Gahan fallen auch nicht weiter auf. Kaum einer der neuen Songs würde in einer Akustikversion überleben. Zum ersten Mal wirkt es, als seien zunächst die Klangschichten entstanden, und Dave Gahan hätte anschließend irgendwie darüber gesungen. Die Songs sind arm an Melodik, unbestimmt, fast gestaltlos. Depeche Modes Musik verlangt zwar häufiges Hören, bevor sie einsinkt – auch darin ein Gegenstück zu den Pet Shop Boys, deren Lieder zum schnellen Verbrauch bestimmt sind. Aber diesmal bleibt es beim ersten Eindruck: Es fehlt Schliff. Das gewollt spröde Klangbild geht mit derart laschen Songs eine unglückliche Verbindung ein. Ziemlich fad.

Dem Vernehmen nach geht es ihnen ja gut. Dave Gahan ließ Drogen und Lebensüberdruss hinter sich. Martin Gore trinkt nicht mehr. Andrew Fletcher erlitt keinen Nervenzusammenbruch, und gestritten wurde auch nicht im Studio. „Ein Laster nach dem anderen geht über Bord“, sagte Fletcher in einem Interview. Manchmal klingen Depeche Mode jetzt wie ihre eigene Coverband.

„There’s a fragile tension, that’s keeping us going“, singt Dave Gahan in „Fragile Tension“, ein Song mit bemerkenswert vulgärer Chorus-Melodie. Und weiter: „It may not last forever, but oh, when it’s flowing.“ Ach, die Spannung ist weg, und fließen tut’s kaum noch. So klingt es wohl, wenn eine Band keine schlechten Angewohnheiten mehr hat. Fast möchte man ihnen neue Laster an den Hals wünschen, etwas, das über Martin Gores Ebay-Kaufsucht hinausgeht. Wenn sie auf diesem Weg weitermachen, werden aus Depeche Mode die Rolling Stones des Elektro-Zeitalters.

„Sounds of the Universe“ von Depeche Mode erscheint am Freitag (EMI)

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