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© Motor Music

Müller-Westernhagen: "Du wirst ein Produkt? Zerstör es!"

Marius Müller-Westernhagen spricht mit dem Tagesspiegel über die Sechziger, den Blues und sein aktuelles Album "Williamsburg".

Herr Müller-Westernhagen, woran denken Sie, wenn Sie sich an 1966 erinnern?



Dass ich sehr dankbar bin, in dieser Zeit groß geworden zu sein. Zum ersten Mal wurden Jugendliche ernst genommen. Es war eine Zeit der Befreiung, in der sich Popmusik zu Kunst entwickelte. Damals verstand man unter Popmusik Bob Dylan, Led Zeppelin und Jimi Hendrix. Musik hatte eine gesellschaftliche, politische Komponente. Sie war die Stimme der Jugend und nicht nur pures Entertainment.

Ich frage, weil es dieses schöne Lied von Ihnen gibt, „Mit 18“.

Stimmt, 1966 wurde ich am 6. Dezember 18 Jahre alt.

„Meine Mutter nahm mir das immer krumm, ich sollt was Seriöses werden“, heißt es da. Sind Sie Rockmusiker geworden, um zu rebellieren?

Sicherlich auch. Meine Generation hatte es leicht, denn wir wollten alles werden – nur nicht wie unsere Eltern. Heute wollen viele Kinder eigentlich genauso werden wie ihre Eltern, nur besser. Sie haben sehr liberale Eltern, da gibt es nicht so viel, wogegen man sich auflehnen kann. In der Jugend ist es ganz gut, wenn du klare Hindernisse hast, gegen die du angehen musst.

Ihre Band hieß „Harakiri Whoom“. Welche Musik haben Sie gespielt? Haben Sie die Rolling Stones kopiert?

Neee. Wir konnten alle noch gar nicht richtig spielen. Was wir gemacht haben, würde ich als eine Art unfreiwilligen Punk bezeichnen. Ein Riesenkrach. Aber es war mit Stones-Attitüde.

Und mit englischen Texten?

Natürlich.

Haben Sie die auch geschrieben?

Nein, dieses Selbstbewusstsein hatte man in den Sechzigern noch nicht. Wir gingen einmal die Woche in Düsseldorf in den „Liverpool Club“, da sah man englische Bands und hat gestaunt. Man hat sich ja nie in seinem Leben vorstellen können, mal ein Plattenstudio von innen zu sehen. Das war ganz weit weg. Uns hat es aber nicht geschadet, unseren Stil übers Kopieren zu entwickeln.

Sie sind jetzt 60. Ist es schwer, etabliert zu sein und trotzdem Rock’n’Roll-Rebell?

Mir fällt das nicht schwer. Wenn ich eine neue Produktion anfange, geht es immer bei null los. Die Vergangenheit ist abgeschlossen. Ich will mich immer weiter verbessern und mit immer besseren Leuten arbeiten. Man wächst nur an besseren Leuten. Mich interessiert heutzutage die Qualität und nicht mehr die Chart-Platzierung. So was verwischt sich mit dem Alter.

Was meinen Sie mit „besser werden“? Die Songs? Ihre Art, Musik zu machen?

Ich möchte immer mehr an die Substanz kommen. Der Schritt, für die Produktion des neuen Albums nach Amerika zu gehen, war für mich logisch. Ich habe dort mit Musikern aufgenommen, die du erst mal von dir überzeugen musst, wenn du sie im Studio haben willst. Ich dachte: Oh Gott, da ist Larry Campbell, der hat zehn Jahre mit Dylan gespielt. Aber dann hatte ich das große Glück, dass sie meine Songs mochten. Es wurden unglaubliche zwei Wochen. Mit welcher Leidenschaft die das gespielt haben!

Klingt dieses Album anders als eins, das man in Berlin oder Hamburg aufnimmt?

Ich glaube, ja. Das Gute ist, dass die Musiker in Amerika keine Ahnung haben, was du in Deutschland darstellst. Für die geht’s nur um Musik, und du musst dich beweisen. Das gibt mir eine viel größere Befriedigung. Ich bin keiner, der es gut findet, wenn er überall erkannt wird. Das ist für mich eher eine Sache, mit der ich leben muss, die ich auch akzeptiere. Aber ich mag es nicht. Ich arbeite lieber in Ruhe.

Es gibt auf der Platte Siebziger-Jahre-Rockelemente, es gibt auch Country. Vor allem aber viele Blues-Elemente. War der Blues auch ein Grund, nach Amerika zu gehen?

Ich habe, glaube ich, früher auch schon Blues gemacht. Ich sang in einer Band und spielte Mundharmonika. Auf dem Album gibt es alle möglichen Strömungen amerikanischer Musik. Zusammen mit Campbell und Peter Stroud, dem Gitarristen von Sheryl Crow, haben wir auch drei, vier Countrysongs aufgenommen. Die passten dann aber nicht ins Album.

Lief das im Studio so Jam-Session-artig?

Ich nehme ganz konventionell auf, wie das heute nur noch die Jazzer machen. Ich versuche, mit der Band live einzuspielen, weil ich finde, dass das Spannende erst entsteht, wenn Musiker einen musikalischen Dialog eingehen. Dafür braucht man exzellente Musiker, aber davon so wenige wie möglich. Jeder hat dann seinen Raum, steht irgendwie auch völlig nackt da. Wenn man ein Instrument nach dem anderen aufnimmt, wie es heute oft gemacht wird – dann zwingt man die Seele raus. Dabei ist Musik doch die Kunst, die einen direkten Zutritt zur Seele hat.

Auf dem Album ist ein Lied über Toleranz, „Aus dir Mutter“: Sind Sie sensibel für das Thema Rassismus, weil Sie seit 20 Jahren mit einer Schwarzen verheiratet sind?

Es geht um Toleranz, aber auch um Mutter Erde. Zurzeit ist die Menschheit bedroht. Wenn ich die Überschwemmungen sehe und die Stürme und unsere Politiker, die immer noch diskutieren, wann sie etwas zu tun gedenken: Das ist Wahnsinn.

Haben Sie als Musiker die Macht, auf solche Themen aufmerksam zu machen?

Aufmerksam machen, ja. Ändern, nein. Musik kann immer nur der Soundtrack sein. Revolutionen haben immer gelebt von ihren Liedern. Aber die Lieder haben die Revolutionen nicht ausgelöst.

In „Schinderhannes“ singen Sie: „In meinem Film bin ich der Retter dieser Welt.“ Sind Sie größenwahnsinnig?

Das da bin ja nicht ich. Wenn du 30 Jahre schreibst, sind die Texte natürlich nicht mehr autobiografisch, sondern Fiktion. Es ist eine Geschichte. Ich hatte mir bei dieser Platte vorgenommen, wieder Geschichten zu erzählen.

Die Platte ist auch ein Neuanfang, weil Sie nicht mehr bei Warner, sondern in Ihrem eigenen Label Kunstflug veröffentlichen.

Das war der nächste Schritt. Majors waren gut, weil sie einen finanziell absicherten, aber das tun sie heute nicht mehr. Kunstflug bedeutet, dass ich immer versuche, Kunst zu schaffen. Ob es mir nun gelingt oder nicht.

Sie haben eine prägnante, aber dünne Stimme. Haben Sie Mut gebraucht, um damit Rockmusiker zu werden?

Ich habe ein ziemlich starkes Organ, um ehrlich zu sein. Mein Hals-Nasen-Ohrenarzt sagt, ich hätte Bänder wie Schiffstaue. Ich glaube, meine Stimme ist sehr variabel. Vom Schreien bis zu sehr zarten Tönen. Das ist es vielleicht, was Sie als dünn bezeichnen. Ich hatte auch ein Jahr klassische Gesangsausbildung.

Wollten Sie mal zur Oper?

Oh nein. Die Lehrerin wollte mir das immer einreden. Sie sagte, du bist ein Bariton, du hast ein riesiges Spektrum in der Stimme. Nach einem Jahr fing ich an, wie ein klassischer Sänger zu klingen, deshalb habe ich das beendet.

Waren Sie schon mal an einem Punkt, an dem Sie dachten: Es geht nicht mehr weiter, ich höre auf?

Ja, als diese totale Hysterie herrschte. Wenn du deinen eigenen Namen nicht mehr hören kannst, du Umsatzträger einer großen Plattenfirma bist und hohe Vorschüsse kassierst. Als „Theo gegen den Rest der Welt“ Premiere hatte, war ich gerade auf Tour. Seitdem kann ich sagen: Das Klischee des Über-Nacht-Berühmt-Werdens stimmt. Nach „Stinker“, merkte ich, dass ich ein Produkt wurde, konsumierbar. Und dann musst du das zerstören, es geht nicht anders. „Herz eines Boxers“ war eine Analyse dieser Situation. Mit guten Titeln – aber die Produktion war voll in die Hose gegangen. Ein Schock für alle Beteiligten. Aber in 40 Jahren Karriere kannst du nicht immer nur oben auf dem Gipfel stehen und winken. Solche Phasen hat jeder Künstler, der lange da ist. Selbst Lennon und Dylan sind durch Täler gegangen. Die einzige Ausnahme ist Franz Beckenbauer – wenn man Fußball als Kunst versteht.

Sie galten nach dem Film und ersten Plattenerfolgen als der Kumpeltyp, als proletarisch. Was war so schlimm an dem Image?

Jürgen Flimm sagte neulich in einem Interview: Das war gar nicht der Marius. Im Grunde hat der Theo mich auch als Schauspieler behindert. Er legte mich fest. Ich war vorher nicht für Komödien bekannt, sondern für dramatische Rollen, und dann machst du so einen Film und wirst mit der Rolle identifiziert. Heute gibt es eine Generation, die gar nicht mehr weiß, dass ich mal Schauspieler war.

Bedauern Sie das?

Es gibt immer noch Produzenten und Regisseure, die versuchen, mich vor die Kamera zu bekommen. Aber du wirst im Lauf der Zeit eine Legende, und die Medien hätten sicher großen Spaß am Scheitern. Zudem habe ich das Training nicht mehr. Ich weiß auch nicht, ob ich vergessen machen könnte, dass ich Marius Müller Westernhagen bin. Damit haben heute ja sehr viele Schauspieler ein Problem. Weil sie ihr Geheimnis nicht wahren. Wenn du Brad Pitt auf der Leinwand siehst, woran denkst du? An Angelina Jolie, an die Kinder, an Weißichwas. Dagegen anzuspielen, ist schwierig.

Sie hatten eine Phase nach Theo, in der Sie immer in edlen Maßanzügen aufgetreten sind. Eine Flucht in die Arroganz?

Ich ziehe mich gerne so an, wie es mir Spaß macht. Wahnsinn, dass die Leute einem dann immer vorschreiben, wie man sich zu kleiden hat. Ich dachte, ich kann mein Geld ausgeben für was auch immer ich will. Es ist ehrlich verdient. Vielleicht war es eine Flucht. Vielleicht war es ein Art Protest ...

In den Neunzigern gab es riesige Stadientourneen, Sie spielten vor 80 000 Leuten. Warum tun Sie das nicht mehr?

Das war eine Phase unglaublichen Drucks. Man ist eine übergroße Person im Stadion. Zum Schluss waren es eher Messen als Veranstaltungen. Das ist Vergötterung! Aber ich kann weder eine messianische Funktion ausfüllen, noch will ich das. Und wenn ich mich unwohl fühle, dann ändere ich das. Also sagte ich: keine Stadiontournee mehr! Ich war nie so unglücklich wie zu dieser Zeit. Ich musste das ändern.

Das Gespräch führte Christian Schröder.


ZUR PERSON

Marius Müller-Westernhagen, am 6. Dezember 1948 in Düsseldorf geboren, gehört seit drei Jahrzehnten zu den erfolgreichsten deutschen Rockmusikern. Der Sohn eines Schauspielers am Düsseldorfer Theater und einer Angestellten brach mit 14 Jahren das Gymnasium ab und machte sich mit Film- und Fernsehrollen einen Namen.

Seine Musikkarriere begann Müller-Westernhagen als Sänger der Beatband Harakiri Whoom; 1975 erschien sein Solodebüt.Der Durchbruch gelang ihm aber erst 1978 mit seinem vierten Album Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz. Der kurz darauf gestartete Kinofilm Theo gegen den Rest der Welt  katapultierte den Sänger über Nacht in den Rang eines Nationalidols.

1987 erschien Westernhagen; mit dem Album verabschiedete er sich von seinem Kumpel-Image, was viele Fans irritierte. Der Song „Freiheit“ wurde 1989 dennoch zu einer Art Mauerfall-Hymne.

Sein aktuelles Album Williamsburg, das am Freitag auf Westernhagens eigenem Label Kunstflug erscheint, entstand in New York, gemeinsam mit amerikanischen Musikern.

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