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© Davids/Carlos

Lady Gaga: Venus im Mauspelz

Show schlägt Stimme: Lady Gaga gibt in der Berliner Columbiahalle die Discorockerbraut. Als Sängerin ist Lady Gaga bloß Durchschnitt mit Tendenz zur Röhre. Dafür überzeugt sie als Performerin.

Irgendwann geht Lady Gaga ein Licht auf: „Ihr seht alle so jung aus. Ist hier jemand über 19?“ Offenbar ist die 23-jährige New Yorkerin, die von ihren Songs binnen weniger Monate annähernd 20 Millionen kostenpflichtige Downloads absetzen konnte, das Teenie-Idol der Stunde. Gefühlte 80 Prozent der vorwiegend weiblichen Zuschauer in der ausverkauften Columbiahalle dürften die Volljährigkeit noch nicht erreicht haben.

Nach der obligatorischen Hinhaltetaktik mit überflüssigen Support-Acts und Umbaupause zu stumpfer Technobeschallung bricht tosendes Gekreische los, als sich menschliche Umrisse aus dem Trockeneisnebel schälen. Lady Gaga steht hinter verspiegelten Metallplatten, die einer futuristischen DJ-Kanzel ähneln mögen. Sie selbst trägt einen ultrakurzen, glitzernden Tutu mit dreickigem Brustpanzer, dazu nadelspitze Stilettos, während sie von der kannibalistischen Beziehung zwischen Star und „Paparazzi“ singt.

Gagas Garderobe, die alle drei Songs wechselt, ist erlesen exzentrisch. Mal gibt sie die rotbestrapste Lederrockerbraut, die auf einer Vespa von drei muskulösen Tänzern über die Bühne geschoben wird, dann die spitzschultrige Travestie einer Büromaus, schließlich die schaumgeborene Venus im berüchtigten „Bubbles“-Kleid, einem halbtransparenten Nichts mit applizierten Plastikblasen, unter dem sich, keine Bange, noch ein hautfarbener Body befindet.

Die Erotisierung ihrer Bühnenshow, die Lady Gaga durch explizite Gesten und eine gerade noch jugendfreie Verwendung von „dirty words“ unterstreicht, verzichtet auf den missionarischen Ernst und athletischen Perfektionismus von Madonna oder Britney Spears. Vielleicht hat sie die aufreizenden Posen gelernt, während sie sich als Stripperin das Studium finanzierte. Doch als gewiefte Selbstironikerin bleibt Lady Gaga stets Subjekt all der sexuellen Eindeutigkeiten.

Und die Musik? Die gibt's natürlich auch. Sie kommt gar nicht so sehr vom Band, wie man angesichts der monothematischen Eurodisco-Struktur vermuten würde. Vier Musiker, die habituell eher an eine Metal-Band erinnern, verleihen manchem Song ein leichtes Schweinerock-Aroma. So darf „Beautiful, Dirty, Rich“ – die Lady muss sich gerade mal wieder umziehen – in ein längliches Gitarrengegniedel mäandern, das von den Fans eher konsterniert aufgenommen wird. Aber das satte Stampfen von „Just Dance“ oder „Boys Boys Boys“ wird in der Substanz nicht angetastet und entsprechend abgefeiert. Als Sängerin ist Lady Gaga bloß Durchschnitt mit Tendenz zur Röhre. Dafür überzeugt sie als Performerin, was sie gegen Ende der 70-minütigen Show an „Pokerface“ demonstriert. Genüsslich zerpflückt sie in einer lasziven Saloon-Piano-Improvisation ihren größten Hit, ehe dann doch die finale Disco-Rakete gezündet wird.

Kurz zuvor durfte Michael aus Frankfurt, einer ihrer Tänzer, dem Publikum in hessischer Mundart die entscheidende Frage stellen: „Dängs de, die Gaga is säxy?“ – ohrenbetäubender, zustimmender Jubel – „Se dängt, de bist aach säxy!“ In der Illusion dieser affirmativen Symbiose dürfte ein Geheimnis von Lady Gagas Erfolg liegen.

Jörg W, er

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