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Konzertkritik: Britney Spears: Reizüberflutung unter der Zirkuskuppel

In der O2 World gibt Britney Spears im Rahmen ihrer "Circus"-Tournee ein Konzert, das gar keines ist.

Gemein: Da freut man sich über die Akkreditierung zur bislang erfolgreichsten Pop-Konzerttournee des Jahres und erntet von den Daheimbleibenden nicht etwa Neid und anerkennende Blicke, sondern mitleidige bis hämische Bemerkungen etwa des Tenors, ob man sich freiwillig dafür gemeldet habe oder „was zum in die Ohren stopfen“ mitnehmen werde. Kommentare wie diese mögen belegen, dass die Reputation von Britney Spears unter durchschnittlich popinteressierten Menschen nicht die allerbeste ist. Dem Gelingen des monströsen „Circus“-Projekts tut dies offenbar keinen Abbruch. Wenn Britney im November die neunmonatige Tour in Australien beendet, werden etwa anderthalb Millionen Zuschauer die rund 90 Konzerte besucht haben. Auch Berlins größte Konzerthalle scheint fast ausverkauft zu sein, was angesichts eines desaströsen letzten Berlin-Auftritts vor fünf Jahren keineswegs selbstverständlich war. Gut 15.000 Zuschauer haben sich in der O2 World eingefunden, um das Comeback der zwischenzeitlich abgestürzten Pop-Prinzessin zu begutachten. 

Die „Circus“-Bühne wirkt geradezu minimalistisch, erst recht wenn man sie mit der megalomanen Stadionkrake von U2 vergleicht. Sie besteht aus einer großen und zwei kleineren kreisrunden Plattformen, die durch Stege verbunden sind. Eine bescheidene Zirkusmanege, die einem inmitten der klobigen Hallenarchitektur fast verloren vorkommt. Nach einer spektakulären viertelstündigen Akrobatik-Show hebt sich ein glühend roter Stoffzylinder: Britney Spears schwebt auf einer Art überdimensionierten Anrichte herab und entledigt sich zum Opener „Circus“ rasch der Zirkusdirektorinnen-Uniform mit Puschel-Epauletten. Im bestrassten Wonderbra scheucht sie peitschenschwingend eine Meute Tänzerinnen und Tänzer herum, die mit knappen SM-Ledergeschirren ebenfalls eher ent- als bekleidet sind. Während theatralisch Dampffontänen aus dem Boden schießen, werden immer neue Komparsen an Ringen runtergelassen oder wickeln sich an elastischen Bändern herab. Noch hämmern die letzten Takte von „Circus“ aus den Boxen, da wird bereits ein goldener Käfig auf Rädern ins Rund geschoben. Zum pumpenden Beat von „Piece Of Me“ rüttelt Britney an den Gitterstäben und sucht gleichzeitig Schutz vor den Zudringlichkeiten ihrer Verfolger – der Song stammt von „Blackout“, ihrem ersten Album nach dem Zusammenbruch, und ist eine Allegorie auf die vampiristische Symbiose zwischen Star und Medien. 

Selbstreflexive Anwandlungen bleiben indes die Ausnahme. Der „Circus“ funktioniert als Unterhaltungsmaschinerie, die erst gar nicht den Anspruch erhebt, konventionelle Konzerterwartungen zu befriedigen. Es gibt keine Musiker, der Sound kommt komplett vom Band. Und auch Britneys Gesang ist viel zu makellos, um live zu sein. Lediglich bei der Ballade „Everytime", zu der sie durch ein Regenschirmballett mal wieder Richtung Hallendach entschwebt, könnte die ein wenig brüchigere Stimme tatsächlich in Echtzeit erklingen. Immerhin hält sie durch perfekt synchrone Lippenbewegungen eine Restillusion davon aufrecht. Doch Authentizität ist – wenn überhaupt – nur insofern Thema, als hier wirklich die leibhaftige Britney Spears auf der Bühne steht, die mit der Wiederauferstehung nach dem Totalzusammenbruch einen Nachweis ihrer Nehmerqualitäten abgeliefert hat und genau dafür von ihren Fans geliebt wird.

Stattdessen regiert permanente Reizüberflutung. Zu „Boys“ wird mit glitzernden BMX-Räder herumgekurvt, der Remix von „Me Against The Music“ gerät aufwändig wie die Tanzszene aus einem Bollywood-Schinken, zu „Freakshow“ schwebt ein ganzer Salon im Louis-Quatorze-Stil herab, bei „Touch Of My Hand“ paradiert eine Pseudo-Rockband mit gitarrensolierendem Zwerg über die Bühne. Und zum „Ooh Ooh Baby/Hot As Ice“-Medley wird Britney von einem Zauberer ratzfatz wegillusioniert. Boah! 

Momente des Innehaltens sind rar, selbst die Umkleidepausen werden durch artistische oder clowneske Einlagen zu brachialen Metal- oder Big-Beat-Konservenklängen überbrückt. Die Bühne entpuppt sich als hydraulisches Wunderwerk: Dauernd verschwinden Einzelpersonen oder ganze Gruppen im Boden oder werden auf kleinen Podesten in die Höhe gefahren. Auf die bei Konzerten dieser Größenordnung übliche Videoprojektion des Geschehens wird verzichtet. Das erleichtert zwar die Konzentration, im Gewirbel verliert man jedoch schnell mal den Überblick, wo unter den 15 bis 20 Personen nun gerade der Star des Abends herumwuselt. Im Zweifelsfall ist es immer die am wenigsten grazile Tänzerin. Eine uncharmante, aber zutreffende Feststellung, die dennoch nicht allzu schwer ins Gewicht fällt: Dass Britney mit der Geschmeidigkeit der Bewegungs-Profis nicht mithalten kann und im Vergleich bisweilen etwas ungelenk wirkt, ist selbstverständlich. Dass sie auf ihren mörderischen High Heels überhaupt die körperlichen Strapazen von 90 Minuten Hochleistungsgehopse mit strahlendem Lächeln und ohne sichtbare Schweißbildung übersteht, ist erstaunlich genug. 

Am Ende, als Britney in „Womanizer“ die coole Hot-Pants-Polizistin markiert und sich zum tosenden Jubel mit ihrem vielköpfigen Personal artig in alle Richtungen verbeugt, bleibt man etwas ratlos zurück. „Circus“ ist eine perfekte, aber seelenlose, eine hypersexualisierte, aber komplett unerotische Show, in der die Persönlichkeit ihrer Protagonistin fast völlig hinter dem physischen Spektakel verschwindet. Was nimmt man mit außer staunenswerten, aber flüchtigen Eindrücken choreografischer und artistischer Topleistungen zu zeitgenössich aufpolierter Popmusik? 

Vielleicht dies: In der Abschottung der Inszenierung liegt ein Kontrollversuch, der das Bild der selbstbestimmten Künstlerin umso schmerzhafter als Illusion erscheinen lässt. Nach schweren Zeiten macht Britney die bestmögliche Miene zu dem öffentlichen Spiel, das ihr Leben ist. Mehr kann man gegenwärtig nicht verlangen.

Jörg W, er

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