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John Lennon zum 30. Todestag: Von Vätern, Söhnen, John Lennon und einem Song

Am 8. Dezember 1980 wurde John Lennon in New York erschossen. Unser Musikexperte H.P. Daniels über den legendären Beatle und seine ganz persönliche Verbindung mit dem Pop-Genie.

He's a real Nowhere Man,
Sitting in his Nowhere Land,
Making all his Nowhere Plans for nobody.

"Nowhere Man" war das erste Lied, das mein Sohn in seinem Leben gehört hat. Als ich ihn kurz nach seiner Geburt im Arm hielt und durch den Kreißsaal trug, während seine Mama noch ärztlich versorgt wurde, habe ich es ihm vorgesungen und ihn angeschaut dabei:

Doesn't have a point of view,
Knows not where he's going to,
Isn't he a bit like you and me?

Das Lied kam einfach so, ganz von selber. Ich habe nicht überlegt, nicht darüber nachgedacht. Aber es passte. Zur Situation, zum Neugeborenen, zu ihm, zu mir. Plötzlich war er da: "He's a real Nowhere Man". An dem Tag war alles wie in Trance verlaufen. Die Zeit zuhause, die Fahrt ins Krankenhaus, und wie sie uns dort wieder weggeschickt haben:

"Gehen Sie erstmal noch eine Stunde spazieren!" Wie wir Spazieren gegangen sind, bis es nicht mehr ging wegen der heftigen Wehen, und wir lieber auf einer Parkbank in der Sonne gesessen haben. Wie sie uns dann noch einmal nach Hause geschickt haben. Der Nachmittag, der Abend, die späte erneute Fahrt ins Krankenhaus. Wehenschreiber. Geburt. Alles wie in Trance.

Nowhere Man.
Nowhere Land.
Knows not where he's going to.

Plötzlich war dieses Kind da: Johann Georg Paul, nein, nicht Ringo. Ein Kind könnte man ja auch nicht Ringo nennen. Oder doch? Warum eigentlich nicht Ringo? Nein: Johann Georg Paul Luca. Plötzlich war dieses Kind da, zwei Minuten nach Zehn. Johann wie John. John Lennon. Und plötzlich war dieser Song im Kopf, sang ich diesem Kind, meinem Kind Johann, einen Song vor: "Nowhere Man" von John Lennon.

Nowhere Man please listen,
You don't know what you're missing,
Nowhere Man the world is at your command!

Nein, die Welt liegt dir nicht zu Füßen, mein kleiner Johann. Du musst sie erst noch kennen lernen, wird schwer genug. Aber hier ist schon mal ein Lied für dich!

Doesn't have a point of view
Knows not where he's going to
Isn't he a bit like you and me.

Bei der letzten Zeile versagt mir die Stimme, da muss ich schlucken: "Isn't he a bit like you and me?" Hat John Lennon das seinem Sohn Julian vorgesungen, als der noch ein Baby und John noch ein Beatle war? John Charles Julian Lennon, John Lennons erster Sohn, wurde am 8. April 1963 in Liverpool geboren. "Er hatte keine Zeit, ein Vater zu sein", erzählte mir Cynthia Lennon, Johns erste Ehefrau und Julians Mutter, bei einem Gespräch im Sommer. "John war meistens auf Tournee. Wenn er zu Hause war, hat er fast nur geschlafen, er war völlig kaputt. Manchmal hat er sich aufgeregt über Julian ... weil der nicht ordentlich mit Messer und Gabel gegessen hat. Ich habe dann zu John gesagt: Wenn du öfter da wärst, wüsstest du, dass Dreijährige noch nicht mit Messer und Gabel essen!" John Lennon, der Rebell, beklagte sich über schlechte Tischmanieren seines Sohnes! Er meinte, es gehörte sich für einen guten Vater, streng zu sein, wenn er schon mal zuhause war.

Als John Lennon "Nowhere Man" schrieb, im Herbst 1965, war sein Sohn Julian noch keine drei Jahre alt. Paul McCartney erzählt, dass die Beatles damals schwer unter Druck standen, genügend Stücke für ihr neues Album "Rubber Soul" zusammenzubekommen. Als Lennon fast schon die Hoffnung aufgegeben hatte, fiel ihm "Nowhere Man" ein. Das Lied fiel ihm zu. War plötzlich da. Der Song handle von ihm selber, hatte er zu Paul gesagt. "He's a real Nowhere Man". Nein, Lieder zum Einschlafen habe John seinem Sohn Julian nie vorgesungen, sagt Cynthia Lennon. "Das hat er erst später mit Sean gemacht, dem Sohn, den er mit Yoko hatte."

Sean Tara Ono Lennon, Julians Halbbruder, Sohn von John und seiner zweiten Ehefrau Yoko Ono, wurde am 9. Oktober 1975 in New York geboren. Für Sean – so heißt es jedenfalls – habe sich sein Vater John für fünf Jahre von 1975 bis 1980 völlig aus der Öffentlichkeit und dem Musikgeschäft zurückgezogen. In der Zeit habe er sich nur noch mit dem Kind beschäftigt. Gewickelt, gefüttert, gekocht, gespielt, gesungen, Brot gebacken - während sich Yoko Ono um die Geschäfte kümmerte. John Lennon, der - wie Cynthia erzählte - zur Zeit ihrer Ehe ein typischer nordenglischer Macho gewesen sei, wollte jetzt als "Hausmann" an seinem zweiten Sohn gutmachen, was er beim ersten versäumt hatte. In "Beautiful Boy" besang er Sean 1980 auf "Double Fantasy", seinem und Yokos erstem Album nach fünfjähriger Baby- und Familienpause. In "Beautiful Boy" gibt es die schöne Textzeile: "Life is what happens to you while you're busy making other plans." ("Leben ist das, was mit einem geschieht, während man damit beschäftigt ist, ganz andere Pläne für sich zu entwerfen.") Da schimmert wieder ein bisschen der "Nowhere Man" durch die Zeilen.

Drei Wochen nach Veröffentlichung von "Double Fantasy" war John Lennon tot. Sein Sohn Sean war erst knappe fünf Jahre alt. Julian, sein älterer Sohn, war siebzehn. John Lennon war tot. Ich wollte es nicht glauben, als mich mein englischer Freund Robin mit seinem Anruf aus dem Schlaf riss: "Lennon is dead!" Ich hielt das erst für einen seiner makabren Scherze, aber nein, das sei kein Scherz: "Lennon is dead!" Er habe es gerade in der BBC gehört: John Lennon ist in New York erschossen worden. Ich wollte es nicht glauben. Doch ich hörte es dann auch in den Nachrichten, las es in der Zeitung.

Am Abend des 8. Dezember 1980, als John Lennon mit seiner Frau Yoko Ono auf dem Heimweg war zu ihrer Wohnung im New Yorker Dakota Building, schoss Mark David Chapman vor dem Eingang zum Gebäude vier Mal auf den Ex-Beatle. Der brach getroffen zusammen, wurde in die Notaufnahme des Roosevelt Krankenhauses gebracht, wo nur kurze Zeit später der Tod festgestellt wurde. Noch in der Nacht des Mordes an John Lennon versammelten sich im Central Park vor dem Dakota Building mehrere tausend Beatles- und Lennon-Fans, um seinen Tod zu betrauern und seine Lieder zu singen. "Give Peace A Chance" war der am meisten gemeinsam gesungene Song. Ich sang alleine: "Nowhere Man".

Nowhere man don't worry,
Take your time don't hurry,
Leave it all till somebody else
Lends you a hand!

Der erste Song, den mein Sohn in seinem Leben gehört hat, scheint auch sein Lieblingslied zu sein. Mindestens einmal am Tag singe ich "Nowhere Man" für ihn. Dann lächelt er. Und in ein paar Jahren werde ich ihm erzählen, was es mit dem Song auf sich hat. Und mit den Beatles. Und John Lennon.

Am Mittwochabend (8.12.) findet im Kreuzberger Privatclub in der Pücklerstraße (unter der Markthalle) ein John Lennon Memorial Konzert statt. H.P. Daniels wird daran als Gast teilnehmen, lesen und singen. Weitere Infos unter:

http://www.privatclub-berlin.de/index.php?option=com_calendar&Itemid=32&date=2010-12-08&extmode=view&extid=629

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